Dem Leben zugewandt

Für die Gestapo war die „Rote Kapelle“ eine Spionageorganisation der Sowjetunion, die sie Ende 1942 brutal zerschlägt. Unter den hingerichteten „Landesverrätern“ sind auch Hilde und Hans Coppi. Ihr Sohn Hans ist da gerade erst geboren. Obwohl er seine Eltern nur aus Erzählungen, Fotos und Briefen kennt, begleiten sie ihn bis heute:

Hilde und Hans Coppi sind meine Eltern. Ihnen verdanke ich mein Leben. Es begann Ende November 1942 in der Entbindungsstation des Berliner Frauengefängnisses. Am 9. Dezember wurde meine Mutter mit mir in die Prinz-Albrecht-Straße 8 gebracht. In der Gestapozentrale gab es das einzige familiäre Zusammentreffen mit meinem Vater. Zehn Tage danach verurteilte der 2. Senat des Reichskriegsgerichts den 26-jährigen Dreher Hans Coppi zum Tode. Drei Tage darauf wurde er in der Hinrichtungsstätte Plötzensee ermordet.

Hilde Coppi
Hilde Coppi © Privat
Hans Coppi mit Karl Grabbe
Hans Coppi mit Karl Grabbe © Privat

Meine Mutter hatte nach dem am 20. Januar 1943 gefällten Todesurteil ein Gnadengesuch eingereicht, das Hitler Mitte Juni 1943 ablehnte. Am 5. August 1943 wurde die Angestellte Hilde Coppi und weitere in Berliner Haftanstalten weggesperrte Frauen und Männer in einer „grünen Minna“ abgeholt. Am Abend wurden die Todesurteile in Plötzensee vollstreckt.

Zwei Tage zuvor übergab mich eine Aufseherin an Hedwig Raasch, meine Großmutter mütterlicherseits. Nach dem Kriegsende nahmen mich die Eltern meines Vaters, Frieda und Robert Coppi, auf. Wir wohnten in einer noch im Krieg zerstörten und danach wieder aufgebauten Laube in der Kleingartenkolonie „Am Waldessaum“ in Borsigwalde. Dort hatten meine Eltern vom Mai 1941 bis zu ihrer Festnahme am 12. September 1942 die glücklichste Zeit ihres Lebens verbracht. Ich lernte meine Eltern aus Erzählungen ihrer Freunde und meiner Großeltern kennen. Erhalten sind Fotos und Briefe meines Vaters und meiner Mutter aus der Haft. Sie bleiben für mich lebendige und berührende Dokumente.

Hans Coppi mit seiner Großmutter Frieda Coppi
Hans Coppi mit seiner Großmutter Frieda Coppi © Privat

„Mir ist es wie ein Symbol, dass Du gerade an jenem Maitag wie der leibhaftige Frühling in unser Häuschen kamst“, schrieb mein Vater am 25. November 1942 in der Gefängniszelle an seine geliebte Hilde. „Weißt Du noch, wie schwer Dir, Dein ´Ja´ für unsere gemeinsame Zukunft wurde? Es war für uns beide der Beginn eines neuen Lebens. Damals war es Frühling, der Sommer birgt den Inhalt, war so lang, war so kurz, man kann ihn nicht messen nach dem Kalen¬der, gab er uns doch alles, was wir ersehnten. Nun kommt der Herbst. Er bringt uns die Ernte unseres gemeinsam Erlebten, unser Kind, Erfüllung.”

Als Kind wünschte und hoffte ich, dass meine Eltern eines Tages wiederkämen. Meldeten sich doch Anfang der 1950er Jahre manchmal verschollene geglaubte Kriegsgefangene wieder. Auch wenn sich meine Sehnsuchtsträume nicht erfüllten, begleiteten mich Hans und Hilde Coppi ein Leben lang.

Meine Eltern und ihre Mitstreiter*innen galten im heraufziehenden Kalten Krieg im Westen Deutschlands und Berlins wegen ihres Widerstandes in der „Roten Kapelle“ als „Landesverräter“. Dies hatte zur Folge, dass die 1946 nach meinen Eltern benannte Hauptstraße in Tegel 1948 wieder in Hatzfeldtallee rückbenannt wurde. Im August 1950 entschlossen sich meine Großeltern, in den Ostteil Berlins nach Karlshorst zu ziehen. In der DDR trugen bald Kinderheime, Kindergärten, Straßen und Schulen die Namen meiner Mutter und meines Vaters. Meine Eltern waren zu Helden des Widerstands geworden. Es war für mich nicht einfach unter dem Schirm toter Helden aufzuwachsen. Manchmal empfand ich sie als Bürde. Nach dem Ableben meiner Großeltern wurde ich Anfang der 1960er Jahre eingeladen, über das Leben meiner Eltern zu sprechen. Ich erzählte, was ich über das Leben meiner Mutter und meines Vaters sowie ihre Beteiligung am Widerstand erfahren und gelesen hatte.

Ende der 1980er Jahre konnte ich mich gründlicher mit den umstrittenen Geschichten der „Roten Kapelle“ auseinandersetzen. Ich wollte wissen, was wirklich passiert war. In den zugänglichen Veröffentlichungen fand ich kaum Antworten auf meine Fragen. In den 1990er Jahren brachten meine Recherchen in (vorübergehend) geöffneten Moskauer Archiven und in Archiven Deutschlands, der USA und Belgiens weitere Erkenntnisse. Überrascht war ich, dass in Moskau kein einziger Funkspruch meines Vaters angekommen war. Wie sich später herausstellte, war die Reichweite des Funkgerätes zu gering gewesen. Die Moskauer Recherchen verdeutlichten, dass die Berliner Widerstandskreise der sogenannten Roten Kapelle weder von der Moskauer Auslandsleitung der KPD angeleitet worden waren (SED-Interpretation), noch standen sie „im Dienste einer fremden sowjetischen Macht“ (BRD- Interpretation).

Flugblatt
Flugblatt © Privat

Die „Rote Kapelle“ war der Fahndungsname der Gestapo. Nach den Recherchen und Veröffentlichungen ergibt sich ein anderes Bild: Aus freundschaftlichen Begegnungen entwickelten sich heterogene Freundes- und Widerstandskreise. In ihrer Gegnerschaft zum NS-Staat fanden über 150 Frauen und Männer, Jüngere und Ältere unterschiedlicher sozialer Herkunft sowie politischer und weltanschaulicher Ansichten in Diskussionen und Aktionen zusammen. Als Metapher hat für mich die „Rote Kapelle” eher einen Bezug zu einem vielstimmigen Orchester. Mit ihren Unterschieden und ihren Gemeinsamkeiten ist die „Rote Kapelle” ein integraler Bestandteil des europäischen und deutschen Widerstands gegen das Naziregime.

Seit den 1990er Jahren habe ich über meine Eltern nicht nur in Berliner Schulen gesprochen. Mich erreichten Einladungen aus zahlreichen Orten von Flensburg bis München und von Aachen bis Frankfurt an der Oder aber auch aus Frankreich, Belgien, Italien und Israel. Dort berichtete ich über den Widerstand meiner Eltern und der zahlreichen Frauen und Männer der „Roten Kapelle“ und ihre Rezeption nach 1945.

Seit 2014 treffen sich Nachkommen von Verfolgung, Widerstand und Exil zu Angehörigentreffen. Die dort diskutierte Idee, den 20. Juli 1944 als einen gesetzlichen Gedenktag des gesamtdeutschen Widerstandes gegen den Nationalsozialismus zu begehen, wurde sehr begrüßt. Aber es bedarf noch der Umsetzung.

Dr. Hans Coppi
Ehrenvorsitzender der Berliner VVN -BdA
Freier Mitarbeiter an der Gedenkstätte Deutscher Widerstand in Berlin

 

Eine Kurzbiographie von Hans Coppi und weitere Literaturhinweise finden Sie hier.

Eine Kurzbiographie von Hilde Coppi und weitere Literaturhinweise finden Sie hier.