Der 20. Juli 1944 ist ein schwieriger Tag für die deutsche Nation.

Rüdiger von Voss

Der 20. Juli 1944 ist ein schwieriger Tag für die deutsche Nation.

Gedenkworte von Rüdiger von Voss am 20. Juli 1976 im Ehrenhof der Gedenk- und Bildungsstätte Stauffenbergstraße, Berlin

Der 20. Juli 1944 ist ein schwieriger Tag für die deutsche Nation. Der 20. Juli bleibt ein schwerer und auch bedrückender Tag für alle diejenigen, die ihrer Toten mit Liebe und Trauer gedenken, – die allein gelassen wurden. Der Tod der Frauen und Männer – ihr schreckliches Ende und Martyrium wirkt bis in die heutigen Tage fort.

Der 20. Juli, der Gedenktag für diejenigen, die gegen die Herrschaft der Unmenschlichkeit, gegen Terror und Unfrieden aufstanden, ist ein schwieriger Tag für Deutschland geblieben. Deutschland ist auch an diesem Tag geteilt.

Beide Teile Deutschlands haben ein getrenntes Verhältnis zu ihrer eigenen Geschichte.

32 Jahre nach dem letzten Versuch, der Schreckensherrschaft der Nationalsozialisten ein Ende zu bereiten, ist umstritten, wer die Nachfolge derjenigen angetreten hat, die einen neuen Anfang in Freiheit, Gerechtigkeit und Solidarität mit dem Einsatz ihres Lebens erkämpfen wollten. Die Jugend in unserem Lande weiß zu wenig von den Tagen, die den Freiheitswillen der Deutschen bewiesen haben.

Ich selbst gehöre einer Generation an, die dieser Jugend nahe steht. Wir müssen gerade ihr erneut vom Freiheitswillen der Deutschen berichten.

Der 20. Juli ist ein Tag, aus dem wir im Interesse der Freiheit lernen müssen. Wilhelm Hennis hat vor einigen Jahren die Bedeutung dieses Tages zu erfassen versucht, als er sagte: „Der 20. Juli 1944 bezeichnet das Ende der deutschen Staatsmetaphysik, das Ende des Glaubens an den Staat als solchen.“

Die eigentliche Bedeutung des 20. Juli 1944, des Widerstandes gegen den Nationalsozialismus liegt darin, dass die Führungselite selbst die Ordnung, die sie miterdacht, mitermöglicht und mitverantwortet hat, in sich überwunden und den Versuch unternommen hat, dieses System zu beseitigen. Das bedingungslose Engagement für die Wiederherstellung einer humanen, freiheitlichen, rechtsstaatlichen Ordnung, der furchtlose Glaube an die Notwendigkeit einer dem Menschen dienenden sittlich-moralischen Verordnung als Voraussetzung für eine humane, freiheitliche und gerechte politische Ordnung macht die eigentliche Bedeutung dieses Tages auch heute noch aus. Ohne ihr Opfer, ohne ihr persönliches Eintreten für Menschlichkeit, Recht und Moral, – für Freiheit, Gerechtigkeit und Solidarität in der Gesellschaft wäre der Neubeginn 1949, die Schaffung unserer Ordnung, in der wir in Freiheit leben können, nicht so möglich gewesen.

Der 20. Juli 1944, der Widerstand der Militärs, der Politiker aus allen Lagern, der Sozialdemokraten, der Arbeitnehmer und Gewerkschaftsführer, der Konservativen und Liberalen, der Kommunisten, der Pfarrer und Pastoren, der Hochschullehrer und Künstler, aller Bürger, auch unserer jüdischen Mitbürger, die ihr Leben eingesetzt und geopfert haben, verpflichten die Deutschen als Nation. Die geschichtliche Trennung unseres Landes kann hierüber nicht hinwegtäuschen!

Die Worte des ersten Bundespräsidenten der Bundesrepublik Deutschland, Theodor Heuss, gelten: „Das Vermächtnis ist noch in Wirksamkeit, die Verpflichtung noch nicht eingelöst“.

„Nur Freien bleibt ein freies Vaterland“, – diese Verszeile aus einem Gedicht von Rudolf Hagelstange, geschrieben in den Wochen des Juli 1944, gilt auch für morgen.

Den Opfern des Widerstandes gegen den Nationalsozialismus gedenken wir in Ehrfurcht. Sie mahnen uns zur Wachheit des Gewissens und zur persönlichen Verantwortung im Interesse der Freiheit.