Der 20. Juli ist eine Ermutigung, für Recht und gegen Unrecht einzutreten.

Christian Schmidt

Der 20. Juli ist eine Ermutigung, für Recht und gegen Unrecht einzutreten.

Ansprache des Bundesministers für Ernährung und Landwirtschaft Christian Schmidt am 20. Juli 2017 in der Gedenkstätte Plötzensee, Berlin

Wir sind zusammengekommen, um der Männer und Frauen um Claus Schenk Graf von Stauffenberg zu gedenken. Vor 73 Jahren, am 20. Juli 1944, haben sie das Attentat auf Adolf Hitler und den Staatsstreich gegen das nationalsozialistische Unrechtsregime gewagt.

Wir verneigen uns vor ihnen und ihren Familien, vor ihrem persönlichen Mut, ihrer Weitsicht und Entschlusskraft. Viele von ihnen haben für ihre Überzeugung mit dem Leben bezahlt. Andere wurden verhaftet, verhört, eingesperrt, auch gefoltert und sind nur mit Glück dem Tod entkommen. Sippenhaft lautete oftmals die Antwort des Regimes, barbarisch und hilflos zugleich. Heute sind einige unter uns, die damals als Kinder durch diese Seelenhölle gegangen sind.

Als 1949 die Bundesrepublik Deutschland begründet wurde, haben viele der Männer und Frauen vom 20. Juli gefehlt, und es hat gedauert, bis der 20. Juli in den offiziellen Erinnerungskalender gelangt ist.

Bis heute bleibt der 20. Juli ein unbequemer Tag: Er konfrontiert uns damit, dass es in den dunklen Jahren Menschen gab, die eine Alternative zum Wegsehen und zum Mitmachen ergriffen, aber auch damit, dass es zu wenige waren, die ihrem Gewissen folgten oder folgen konnten.

Wir dürfen und wir werden die Männer und Frauen vom 20. Juli nicht vergessen. Deshalb kommen wir Jahr für Jahr zusammen, um ihrer zu gedenken. Wir gedenken an diesem Tag aller, die gegen das nationalsozialistische Unrechtsregime aufgestanden sind!

Meine Damen und Herren, der 20. Juli ist eine permanente Anfrage an Politik, Wissenschaft und Bildungsarbeit zugleich: Jeder von uns ist angesprochen. Es sind bohrende Fragen: Wie hätten wir uns damals verhalten? Wo sehen wir heute beiseite, ohne dass uns dafür Konsequenzen drohen würden? Wie tragen wir zum nationalen und europäischen Zusammenhalt bei? Wieviel Kraft verwenden wir für die Bewahrung unserer Demokratie?

Die Geschichte des deutschen Widerstands handelt von inneren Kämpfen, vom Ringen mit dem Gewissen, von Anstand und Ehre, von Mut und Zivilcourage. Altmodische Themen? Ich sage: zeitlos gültige Themen. Es sind diese großen Themen, die das Fundament bilden, auf dem unsere Bundesrepublik Deutschland errichtet ist.

Um dieses geschichtliche Erbe geht es, wenn Symbole des Widerstands gegen Hitler heute von Leuten besetzt werden, die nichts aus der Geschichte gelernt haben und sie für ihre trüben Ziele missbrauchen. Dies dürfen wir nicht zulassen! Deshalb müssen wir in Regierung, Parlament und Öffentlichkeit noch mehr Kraft darauf verwenden, die Geschichte des 20. Juli für unsere Gegenwart und für den europäischen Zusammenhalt wachzuhalten!

Meine Damen und Herren, die deutsche Geschichte macht es uns nicht einfach, sie beunruhigt unsere Identität. Wir tun gut daran, unbequeme Fragen zu stellen. Wieso haben sich die Klischees, mit denen die nationalsozialistische Regierung die Frauen und Männer des 20. Juli verunglimpfte, so lange noch in der Bundesrepublik halten können?

Die Bundesregierung lässt gegenwärtig in Kommissionen die Vergangenheit ihrer Ressorts untersuchen. Die Ergebnisse, die bislang vorliegen, werfen kritische Fragen auf: Wollten wir nach 1945 wirklich immer die ganze Wahrheit kennen? Aber wir werden auch mit einzelnen vorbildhaften Beispielen vertraut gemacht: So nimmt etwa die von mir eingesetzte Unabhängige Historikerkommission eine Persönlichkeit wie Andreas Hermes in den Blick.

Andreas Hermes, der im März 1920 zum Reichsminister für Ernährung und Landwirtschaft in der Weimarer Republik ernannt wurde, war eng an den Vorbereitungen zum 20. Juli beteiligt. Er wurde festgenommen, zum Tode verurteilt, ins Konzentrationslager Ravensbrück und später ins Zellengefängnis Lehrter Straße verbracht. Er überlebte nur durch Glück.

Schon am 7. Mai 1945, kurz nach seiner Entlassung aus dem Zellengefängnis, wurde er vom sowjetischen Stadtkommandanten zum Leiter des zentralen Ernährungsamtes von Berlin und Beauftragten für das Ernährungswesen ernannt. Welche persönliche Überzeugungskraft, welcher Einsatz muss vorhanden gewesen sein, um in dieser Konsequenz im Angesicht der Niederlage und in den wohl schwierigsten Stunden Verantwortung zu übernehmen? Zudem half Hermes den überlebenden Angehörigen hingerichteter Mitverschwörer, wo er konnte. Demokratien brauchen Vorbilder wie Andreas Hermes. Sie brauchen Mut und Konsequenz von einzelnen.

Meine Damen und Herren, nur scheinbar sind die Männer und Frauen des 20. Juli mit ihrem Handeln gescheitert. Joachim Fest hat in diesem Zusammenhang einmal vom „Lohn der Vergeblichkeit“ gesprochen. Der 20. Juli ist Aufruf zum Handeln: eine Ermutigung, für Recht und gegen Unrecht einzutreten.

Die großen Entscheidungen sind oftmals Entscheidungen in Einsamkeit und Freiheit. Erinnern wir uns immer daran: Es waren außergewöhnliche Persönlichkeiten, die damals vor über 70 Jahren, dem Ruf ihres Gewissens gefolgt sind!

Vielen Dank!






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