Der deutsche Widerstand und das Ausland

Klaus Jürgen Müller

Der deutsche Widerstand und das Ausland

Festvortrag von Prof. Dr. Klaus Jürgen Müller am 19. Juli 1986 im Otto-Braun-Saal der Staatsbibliothek Preußischer Kulturbesitz, Berlin

Lassen Sie mich mit einer persönlichen Reminiszenz beginnen, die gleichwohl direkt zu unserem Thema hinführt.

Vor kurzem schrieb mir einer der wenigen noch überlebenden großen Männer aus dem Zentrum des deutschen Widerstandes über die heftigen Irritationen, die ihn überkommen hätten, als er an einer deutsch-britischen Konferenz über den Widerstand teilnahm. Ihn habe es unangenehm berührt, wie Historiker die Fülle des guten und bösen Geschehens flink in begriffliche Kästchen einordneten und in Abstraktionen redeten über Menschen, die noch vor knapp fünfzig Jahren gelebt hätten.

Derartige Verständigungsschwierigkeiten zwischen Geschichtswissenschaft und engagierter Öffentlichkeit liegen natürlich nicht darin, dass nachgeborene Historiker – wie oft vorwurfsvoll angemerkt wird – unfähig seien, Zeitgeist und Lebensumstände einer jüngst vergangenen Epoche zu verstehen, nachzuempfinden. Das wird wohl auch nur aus temperamentvoller Reaktion auf vielleicht einseitig anmutende Formulierungen der Fachwelt vorgebracht, denn im Ernst gemeint würde dieses Argument ja das Ende jeder Geschichtswissenschaft bedeuten – die Verneinung der Möglichkeit einer jeden Geschichtswissenschaft.

Die letzten Ursachen dieser Verständigungsschwierigkeiten liegen indessen auf einer anderen Ebene. Sie sind darin zu suchen, dass die Grenzen und Möglichkeiten der modernen Geschichtswissenschaft von einer engagierten Öffentlichkeit nicht richtig eingeschätzt und daher die Relativität geschichtswissenschaftlicher Forschungsergebnisse nicht gesehen wird. Man erwartet meist zuviel von der Geschichtswissenschaft. Meine heutigen Ausführungen zu einem der zentralen Themen der Geschichte des deutschen Widerstandes – dem Verhältnis des Auslandes zum Widerstand – möchten ein wenig dazu beitragen, die Verständigungsprobleme zu mildern.

Zunächst:

Die Geschichtswissenschaft entwickelt sich bekanntlich in einem dialektischen Prozess. Die Forschungsergebnisse von heute sind gleichsam nur eine These auf welche die Forschung morgen mit einer Antithese reagiert, und beide führen übermorgen dann zu einer Synthese, die wiederum nichts anderes ist als die These für eine künftige Antithese und so fort.

Aus dieser Dialektik des Forschungsprozesses resultiert, dass es nie die historische Wahrheit geben kann (sieht man einmal von bloß simplen Faktenfeststellungen ab), sondern nur vorläufige, nur Teil-Wahrheiten, nur eine stets ‚offene’, relative ‚historische Wahrheit’.

Dieser dialektische Charakter geschichtswissenschaftlicher Erkenntnisse zeigt sich sehr deutlich auch bei unserem Thema. In einer frühen Phase hat Ritter von Schramm mit Nachdruck die universale, übernationale, europäische Denkweise der Widerstandsgruppe um Beck und Goerdeler hervorgehoben und hat sie geradezu als frühe Vorkämpfer europäischer Einigungsideen geschildert.

Gleichsam antithetisch dazu hat der amerikanische Politologe und Historiker G. K. Romoser gerade die Fixierung dieser Widerstandsgruppe auf rein nationalen Interessen unterstrichen.

Mitte der sechziger Jahre hat dann Hermann Graml – gleichsam auf höherer Ebene die Synthese dieser beiden Auffassungen herbeigeführt. Er hat dargelegt, dass Äußerungen ‚nationalen Denkens’ einerseits und ‚Bekundungen europäischen Denkens’ andererseits nur zwei Seiten derselben Sache seien: Der deutsche Widerstand habe „eine Entwicklung gekannt“, von nationalstaatlichen Vorstellungen weg, hin zu europäischen Idealen. Unterschiedliche Auffassungen hätten obendrein zwischen den „Kreisauern“ und der Gruppe um Beck/ Goerdeler z. G. bestanden, selbst innerhalb der Gruppen habe es unterschiedliche außenpolitische Vorstellungen gegeben. Schließlich seien sie aber zu einem weitgehenden Konsens gelangt.

Grundlegendes Ergebnis dieser Forschungsdiskussion blieb erstens die Erkenntnis, dass der Widerstand keine monolithische Einheit gewesen ist und zweitens, dass er eine innere Entwicklung durchlaufen habe, Prozesscharakter einerseits und komplexe historische Erscheinung andererseits!

Diese hier grob skizzierte Forschungsentwicklung ist ein klassisches Beispiel für die Dialektik geschichtswissenschaftlichen Erkenntnisfortschritts, wo nichts verloren geht, wo Irrtümer wohl überwunden, Einseitiges in größere Zusammenhänge eingefügt, insgesamt aber die Erkenntnis der oft verwirrenden Vielfalt geschichtlicher Erscheinungen weiterschreitet, das Bild vergangener Wirklichkeit reicher wird, auch komplexer, daher meist komplizierter – im Übrigen dies wiederum auch eine Quelle jener erwähnten Verständigungsprobleme.

Ein weiteres Bewegungsgesetz geschichtswissenschaftlicher Forschung ist sodann der ständige Wandel der Perspektive.

Die Komplexität historischer Erscheinungen lässt sich eben nicht mit einem Blick erfassen. Sie erfordert immer wieder den Wechsel der Perspektive. So setzt sich die (immer nur annäherungsweise möglich) Rekonstruktion vergangener Wirklichkeit, gleichsam wie in einem Kaleidoskop, aus einer Vielzahl verschiedener Perspektiven zusammen.

Für den Historiker gibt es nicht den – einen – archimedischen Punkt, sondern eine Fülle von legitimen Aspekten, die Vergangenheit zu betrachten. Die Vergangenheit ist vielfältig und mannigfaltig, daher gibt es eben auch vielfältige Zugänge zu ihr. Das gilt auch für den Widerstand.

So hat man das Thema ‚Außenbeziehungen des Widerstandes’ unter mehrfachem Wechsel der Perspektive untersucht.

Einmal unter dem Aspekt der verschiedenen außenpolitischen Konzeptionen. Sodann unter der Fragestellung ihrer konkreten Durchsetzbarkeit und der außenpolitischen Aktivitäten. Des Weiteren wurde die Haltung des Auslandes analysiert. Es war also gleichsam ein mehrfacher Perspektivenwechsel.

Dabei trat dann wieder die schon erwähnte typische Dialektik auf:

Zum einen wurde die These entwickelt, der Widerstand sei am Unverständnis und der mangelnden Unterstützung durch das westliche Ausland gescheitert – gleichsam eine Art umgekehrter Dolchstoß-Legende.

Dieser These wurde dann die Antithese entgegengestellt, der deutsche Widerstand sei nicht im Ausland, sondern an sich selbst gescheitert. Mit seinen Revisionsforderungen habe er bei den Westmächten den Eindruck erweckt, es handele sich um eine Neuauflage wilhelminischen Hegemonialstrebens, das nicht erst von Hitler, sondern schon früher von den traditionellen Machteliten vertreten wurde.

Beiden Thesen gemeinsam ist der implizite politisch-moralische Charakter ihrer Interpretation: Sie beinhalten nämlich entsprechende Postulate.

Die eine, dass es eigentlich moralische Pflicht des Auslandes gewesen wäre, dem Widerstand in seinem Kampf gegen Hitler beizustehen.

Die andere, dass der Widerstand sich völlig von deutschen Großmachttraditionen hätte lösen müssen.

Beides sind gut gemeinte, aber total unnütz, weil sinnlose Forderungen an die Vergangenheit und an die einst Handelnden. Die Formulierung solcher Art historischer Optative ist mit Sicherheit nicht Aufgabe der Geschichtswissenschaft. Ein sinnvoller geschichtswissenschaftlicher Forschungsansatz müsste über derartige Thesen hinausgelangen und zu einer weiterführenden Synthese zu gelangen versuchen.

Dazu vermag wiederum ein Wechsel der Perspektive zu verhelfen.

Statt in unhistorischer Weise zu fragen, was das Ausland oder der Widerstand ‚eigentlich’ hätte tun sollen, müsste eher gefragt werden, welche Wirkung die Demarchen des Widerstandes auf das Ausland etwa hatten und warum sie gerade diese Wirkung hatten; es müsste also nach der Perzeption durch die ausländischen Ansprechpartner gefragt werden.

Das führt dann weiter zu der Frage, welchen Stellenwert für die Briten, beziehungsweise die Amerikaner der Widerstand jeweils hatte, damit zu der Frage, welche Priorität das Deutschlandproblem für den jeweiligen Ansprechpartner tatsächlich besaß. So eröffnet sich wiederum eine weitere Perspektive, die der internationalen Politik – die Einbettung der historischen Erscheinung ‚Widerstand’ in das komplizierte Kräftespiel internationaler Machtpolitik.

Eine solche Bündelung verschiedener Perspektiven führt zu einem analytischen Zugriff, welcher der Vielschichtigkeit der geschichtlichen Erscheinung angemessen zu sein scheint.

Betrachten wir in einem solchen multi-perspektivischen Ansatz einige Phasen und Problemkomplexe des Verhältnisses von Widerstand und Ausland im Kontext der internationalen Politik.

Sudetenkrise 1938 und deutsch-polnische Krise 1939 waren dramatische Höhepunkte internationaler Politik; sie waren zugleich entscheidende Phasen in der Entwicklung des deutschen Widerstandes.

1938 versuchte die Opposition erstmals und intensiv, geheime Kontakte zu den Briten zu knüpfen.

Um die britische Reaktion auf die Demarchen der Opposition zu verstehen, muss man sich klar machen, dass Deutschland für Großbritannien keinesfalls das einzige, anfangs nicht einmal das vordringlichste Problem war, sondern nur ein Faktor in einer Kombination vielfältiger Probleme. Der Ferne Osten, Indien, das Mittelmeer, der Nahe Osten, das Verhältnis zu den Dominien – all das stand damals – wie der britische Historiker David Dilks eindrucksvoll dargelegt hat – auf der Tagesordnung britischer Sorgen.

1938/39 standen beispielsweise mehr britische Truppen in Palästina, als für den Kriegsfall in Europa vorgesehen waren. Und den Dominien war für den Fall einer japanischen Aggression die Entsendung der gesamten Homefleet nach Ostasien versprochen worden.

In Whitehall war man sich der Interdependenz zwischen Europa und Fernost ständig bewusst.

So haben die für die britische Sicherheitspolitik unmittelbar Verantwortlichen das Kabinett wiederholt darauf hingewiesen, dass bei einem deutsch-britischen Konflikt in Europa die Japaner sehr wahrscheinlich der Versuchung nicht widerstehen könnten, die Gelegenheit in Fernost beim Schopfe zu packen. Und noch im Sommer 1939 gestand der Außenminister seinen Kabinettskollegen, dass ihn Japan mehr als jedes andere weltpolitische Problem besorgt mache.

Diese wenigen Hinweise machen deutlich: Für die Verantwortlichen in Whitehall war Hitler-Deutschland nur als ein Problem unter vielen anderen nicht weniger bedrohlichen, zudem eines, das nicht isoliert betrachtet werden könne.

Angesichts der vielfältigen Bedrohungen war es nicht so erstaunlich, dass die britische Lagebeurteilung in der Sudetenkrise düster ausfiel. Die britischen Botschafter in Berlin und Prag sowie die obersten Militärs in London waren sich einig, dass die CSR mit militärischen Mitteln nicht gerettet werden könne. Man solle sie daher auch nicht politisch durch eine Garantieerklärung unterstützen. Auf dem Höhepunkt der Krise akzeptierte das britische Kabinett dann die Lagebeurteilung des britischen Geheimdienstes und die daraus resultierenden Konsequenzen: Auf Russland dürfe man nicht zählen, die Italiener müsse man sich durch Zugeständnisse vom Leib halten, die Japaner müssten besänftigt (appeased) werden und die Sudetengebiete an Deutschland abgegeben werden.

Die Vertreter der Dominien in London waren zu noch viel weiter gehenden Zugeständnissen geneigt. Auf der anderen Seite hatte Großbritannien Rücksicht auf den französischen Partner zu nehmen, der mit der CSR durch ein Bündnis verbunden war. Bei dieser Lage hatten die Abgesandten der Opposition, – der „German dissidents“ wie sie in London genannt wurden – welche die Briten zur Härte gegenüber Hitler veranlassen wollten und eine britische Kriegsandrohung als Startsignal für einen Staatsstreich herbeizuführen suchten, keinerlei Chance.

Kleist-Schmenzin fand in London keinen einzigen Gesprächspartner – nicht einmal Churchill -, der für eine entsprechende Drohung gegenüber Hitler zu gewinnen gewesen wäre.

Kordts Vorschlag, die Briten sollten eine Rundfunkbotschaft an das deutsche Volk richten, quittierte der Staatssekretär im Foreign Office, Alexander Cadogan, mit der Bemerkung, dies wäre verhängnisvoll und gefährlich. Mehr noch, er meinte, ein solcher Vorschlag mache den Überbringer in seinen Augen nur verdächtig.

Diese Bemerkung verweist auf die britische Perzeption jener Demarchen, die London aus Kreisen der Opposition erhielt.

Sie waren nämlich für die Briten nur Teil eines sehr umfangreichen Informationsflusses, der viele sich widersprechende Meldungen enthielt. Von den einen wurde Hitler zum Beispiel als der kriegswütige Diktator dargestellt, von den anderen als ein zwischen ‚Gemäßigten’ und ‚Radikalen’ eingeklemmter ‚Führer’. Der NS-hörige Sudetenführer Henlein erzählte jedem Briten, den er traf, Hitler wolle den Krieg. Weizsäcker hingegen hielt eher Reichsaußenminister Ribbentrop für den Kriegstreiber. Hinzu kam, dass die Vorschläge, welche die Abgesandten der Opposition in London unterbreiteten, widersprüchlich waren: Die einen verlangten eine demonstrative öffentliche Geste der Briten gegen Hitlers Aggressionspolitik, die anderen – wie Weizsäcker – diskrete, wenngleich nachdrückliche Einwirkungen auf Hitler. Die Briten vermochten sich daher kein klares Bild von den Kräften zu machen, die hinter den Demarchen standen. Die Opposition erschien ihnen damals als unklares, unkoordiniertes Kräfte-Konglomerat.

Dies hatte im Übrigen auch zur Folge, dass der Meinungsbildungsprozess in London zwischen Foreign Office, Geheimdiensten, im Kabinett durchaus kontrovers verlief.

Alle diese Faktoren:

- die weltweiten Probleme, denen sich Großbritannien gegenübersah

- die Fülle der sich widersprechenden Informationen über den Widerstand

- das unklare Bild, das die Opposition in London bot

- die komplexe Meinungsbildung in Whitehall

all dies trug dazu bei, dass die deutsche Opposition in den Erwägungen Londons nur einen relativ geringen Stellenwert besaß.

Das zeigte sich auf dem Höhepunkt der Sudetenkrise und deren Lösung im Kompromiss von München.

Jene Widerstandskräfte waren tief enttäuscht, die gehofft hatten, Hitler bei einer drohenden britischen Kriegserklärung stürzen zu können.

Diejenigen dagegen, deren Ziel nicht primär Umsturz, sondern Kriegsverhinderung gewesen war, – wie Weizsäcker und Halder -, waren erleichtert.

Die britische Politik konvergierte offensichtlich mit den Bestrebungen der deutschen Anti-Kriegs-Partei (zu der damals auch Göring wohl gehörte), nicht aber mit jenen der Umsturzgruppe.

Das britische Interesse war ausschließlich auf friedliche Problemlösung, nicht aber auf Förderung eines Umsturzes in Deutschland gerichtet. Die innerpolitischen Verhältnisse in Deutschland waren London völlig gleichgültig. Sie interessierten dort nur unter dem Aspekt ihrer Auswirkungen auf die internationale Politik.

Es ist klar: Der Widerstand hatte nur in dem Maße Aussicht auf Unterstützung durch das Ausland, wie seine Ziele mit denen der jeweils angesprochenen Macht identisch waren.

Das war 1938 bei der Anti-Kriegs-Partei der deutschen Opposition der Fall, nicht aber bei der Umsturzgruppe.

Das zeigte sich auch im Winter 1938/39, wie die Forschungen von L. Kettenacker und Richard Lamb gezeigt haben. Goerdeler hatte den Briten damals einen Armeeputsch in Aussicht gestellt, wenn sie eine ermutigende Botschaft veröffentlichten und wenn ein außenpolitisches Arrangement zustande käme. Dazu übermittelte er ein Grundsatzmemorandum. In Whitehall wurde es als repräsentativ für die Auffassungen der deutschen Opposition angesehen; es wurde eingehend analysiert, kommentiert, dem Premierminister vorgetragen und von diesem schließlich verworfen. Die Gründe der Ablehnung sind aufschlussreich:

Zunächst: man sah in den Vorschlägen keinerlei Vorteile für Großbritannien. In Aussicht gestellte deutsche Gegenleistungen bestünden nur in wohlfeilen Versprechungen.

Sodann: hatte man den Eindruck, man solle für die innerpolitischen Zwecke der Opposition eingespannt werden. Das Risiko, bei einem Fehlschlag als Komplize eines Anschlags gegen die Regierung eines fremden Staates dazustehen, erschien den Briten als untragbar. „These people must do their own job.“ schrieb der Ständige Unterstaatssekretär im Foreign Office, Alexander Cadogan, dazu.

Weiterhin: man sah in der Argumentation der Opposition eine Art Erpressung. Cadogans Stellvertreter schrieb: diese Angebote seien alle nach demselben Erpressungsmuster konstruiert: entweder sorge Großbritannien für weit reichende Konzession an Deutschland, dann werde Hitler stürzen; oder Hitler bleibe an der Macht und würde bald einen großen Krieg beginnen.

Hier wird der erste zentrale Vorbehalt erkennbar, auf den die Opposition fortan immer wieder stoßen sollte: Die Opposition sah eine britische Unterstützung als Voraussetzung für einen Machtwechsel in Berlin an, die Briten hingegen sahen im Machtwechsel überhaupt erst die erforderliche Voraussetzung für die Geschäftsfähigkeit der Opposition.

Ein Zweites kam hinzu:

Die Briten glaubten nicht, dass die Gefahr einer Destabilisierung Europas schwinden würde, wenn die hinter Goerdelers Vorschlägen stehenden Kräfte an die Macht kämen. Mann sah in ihnen bloß – wie Vansittard schrieb – die expansionistischen Ideen der deutschen Armee. Ein Eingehen auf sie sei schlichter Selbstmord. Cadogan bemerkte sogar, dieses Programm ähnele dem Hitlers nur zu sehr ( ... it resembled ‚Mein Kampf’, too closely ... ).

Die Opposition sah ihre außenpolitischen Zielsetzungen als legitime Aspiration einer deutschen Großmacht an, die sich substantiell von den ausschweifenden Eroberungsplänen Hitlers unterschieden. In britischer Sicht lag der Unterschied höchstens in der Methode. Hitler und die konservative Opposition waren für London nur zwei verschiedene Erscheinungsformen des deutschen Problemsyndroms, des deutschen Strebens nach der Vormachtstellung in Europa.

Hier kommt – abgesehen von der Verkennung Hitlerscher Endziele – die stark historisch bedingte Perzeptionsweise der Briten zum Ausdruck: Sie sahen in der Opposition nur dieselben Machteliten am Werk, die schon einmal, 1914, den Griff nach der Vormachtstellung in Europa versucht hatten. – Der fatale Irrtum der Opposition lag in der Annahme, die Interessen der Westmächte seien im Grunde mit ihren eigenen identisch. Genau dies war in britischer Sicht nicht der Fall!

Mit Kriegsausbruch veränderten sich die Rahmenbedingungen nicht nur für den Widerstand, sondern auch für die Briten.

Londons politischer Spielraum war durch die Rücksicht auf den französischen Bündnispartner eingeschränkt. In Paris wurde man zum Beispiel schon unruhig, als die britische Kriegspropaganda einen Unterschied zwischen Deutschen und Nazis machte. Die Franzosen fürchteten, die Briten könnten bei einem bloßen Regierungswechsel in Deutschland auf Kosten französischer Sicherheitsinteressen einlenken. London musste unter Hinweis auf eine Rede des Premierministers nachdrücklich versichern, dass ihnen dies fern liege. Chamberlain hatte in dieser Rede ohne eine Distinktion davon gesprochen, es sei britisches Kriegsziel „Europa von der beständig und wiederkehrenden Sorge vor deutscher Aggression zu befreien“.

Hier zeigt sich schon: Großbritannien war nicht bereit, seine Allianz zuerst mit Frankreich, später dann mit den USA und der Sowjetunion, durch irgendwelche Geheimabsprachen mit dem Kriegsgegner oder mit der Opposition zu gefährden. Das blieb auch im Laufe des Krieges bestimmendes Element der britischen Politik.

Das schloss jedoch nicht aus, dass – im Gegensatz zum zunehmend skeptischeren Foreign Office – manche Kabinettsmitglieder anfangs die Möglichkeit nicht ausschließen mochten, dass der Krieg durch eine Revolution in Deutschland durch einen Umsturz abgekürzt werden könne.

Daher wurden damals alle Versuche geheimer Fühlungnahmen aus Deutschland in London mit größtem Interesse aufgenommen. Das gilt für Kontaktversuche aus den Reihen der Opposition (über den Vatikan oder in der Schweiz) als auch von Persönlichkeiten, die Göring nahe standen.

Als jedoch nichts geschah, als weder ein innerer Zusammenbruch des Regimes erfolgte noch ein Staatsstreich, der von den verschiedenen Emissären des Widerstandes – wenn auch vage – in Aussicht gestellt worden war, da breitete sich in Whitehall Ernüchterung und Skepsis aus. Diese wuchs sich rasch zu einer grundsätzlich negativen Einstellung gegenüber der deutschen Opposition aus. „Diese Herren“ – so heißt es in umfassenden Analysen des Foreign Office – „haben nie irgendeine detaillierte Diskussionsgrundlage vorgelegt und nie irgendeinen Beweis für ihre Fähigkeit geliefert ... den versprochenen Umschwung in Deutschland herbeizuführen; zugleich gaben sie keinen Beweis, dass sie vertrauenswürdiger sind als die alte Regierung.“

Es ist sicher nicht falsch, wenn Lothar Kettenacker, einer der besten Kenner der Materie, zu dem Schluss kommt, nichts habe dem Widerstand in London mehr geschadet als die Tatsache, dass er 1939/40 nicht zur Tat geschritten sei.

Aber diese Feststellung ist zu relativieren – ganz abgesehen von der Frage, ob damals überhaupt ein Staatsstreich Erfolgschancen gehabt hätte.

Zur negativen Einschätzung der Opposition in London hat nämlich ebenfalls beigetragen, dass die Briten sie nicht klar von anderen Kräften unterschieden, die aus vielerlei Gründen damals ebenfalls Kontakte mit London suchten.

Bei der verwirrenden Vielzahl von Kontaktversuchen war es für sie schwer festzustellen, ob es sich um geheimdienstliche Aktivitäten zur Desinformation handelte oder um semi-offizielle Fühler oder um echte Widerstandskontakte. Aktionen wie die des SD in Venlo, wo die SS zwei britische Geheimdienst-Offiziere kidnappten unter der Vorspiegelung, es ginge um ein Treffen mit deutschen Widerstandsvertretern, verwirrten die Briten noch mehr.

Als dann mehrfach auch Göring als Alternative zu Hitler genannt wurde und außerdem territoriale Vorstellungen expansiver Art vorgebracht wurden, da verfestigte sich in Whitehall endgültig die Auffassung, die ein hoher Beamter des Foreign Office in die Worte kleidete: „Zweifellos gibt es in Deutschland prominente Militärkreise, die einem Kompromissfrieden nicht abgeneigt wären, wenn sie nicht bald einen vollständigen Sieg erringen können; aber wir haben keine Indizien dafür, dass sie 1) fähig oder vorbereitet wären, sich Hitlers zu entledigen, noch 2) dass sie auf lange Sicht viel besser als die gegenwärtig in Deutschland regierende Bande wären.“

Dieses undifferenzierte Negativ-Image der deutschen Opposition floss dann zusammen mit einem perspektivisch verengten Deutschlandbild, das in einer Denkschrift der Foreign Office klassisch zum Ausdruck kommt, in der es heißt:

„Ohne Hitler mag Deutschland vielleicht weniger böse sein, aber wohl nicht zwangsläufig weniger gefährlich. Solange seine militärische Macht nicht gebrochen ist, wird ein Friede wohl nichts anderes sein können, als nur eine kurze ungemütliche Atempause.“

Sehr früh war also schon eine Zielsetzung formuliert, die dem deutschen Widerstand im Prinzip keine Chance mehr zu einem Arrangement mit den Briten auf der Basis der Erhaltung eines deutschen Großmachtstatus ließ.

Der Beginn der deutschen Westoffensive am 10. Mai 1940 machte es offenkundig: Der deutsche Widerstand hatte die Ausweitung des Krieges nicht verhindern können.

In der machtpolitischen Optik der Briten konnten daher die bewusst von Beck und Oster lancierten Mitteilungen der deutschen Angriffsabsichten und -termine nicht mehr den beabsichtigten moralischen Effekt gewinnen.

Das zeigte sich dann auch nach dem Zusammenbruch Frankreichs im Sommer 1940. Die Briten zogen sich, noch starrer als zuvor schon, auf eine Haltung strikter Verweigerung zurück.

Im Herbst 1940, auf dem Höhepunkt der Luftschlacht um Endland, wiesen sie Kontaktversuche von deutschen Exilpolitikern (dem einstigen Reichskanzler Wirth und dem ehemaligen RW Minister Geßler), die offensichtlich Verbindung zu frondierenden deutschen Militärs hatten, mit dem Hinweis zurück, diese Leute seien nicht vertrauenswürdig und hätten bislang immer versäumt, „die versprochene Ware zu liefern“ (to deliver the goods).

Als im Frühjahr über schwedische Kontaktpersonen aus Görings Bekanntenkreis Gesprächsbereitschaft unter bestimmten Bedingungen signalisierten, fällt Churchill eine Grundsatzentscheidung, die fortan die britische Haltung bestimmte:

Gegenüber allen deutschen Demarchen und Kontakten sollte hinfort „absolutes Schweigen“ herrschen: „Our attitude towards all such enguiries and suggestions should be henceforward absolute silence.“ (Anweisung vom 20.1.1941).

Das war nicht nur eine Absage an alle offiziellen und semi-offiziellen Geheimkontakte, das war auch das ‚Aus’ für alle Bemühungen des Widerstandes, Absprachen zum Zwecke der außenpolitischen Absicherung eines Staatsstreiches zu treffen.

Auf den ersten Blick gesehen scheint die britische Haltung paradox:

Zu keinem Zeitpunkt schien Großbritannien größeren politisch-diplomatischen Handlungsspielraum zu haben.

Das Bündnis mit Frankreich war zerbrochen, neue Bündnisverpflichtungen noch nicht eingegangen, die Gefahr einer deutschen Invasion war gebannt.

Warum trotzdem diese starre ablehnende Haltung?

Es gab dafür wohl mehrere Gründe. Zunächst musste Großbritannien jeglichen Anschein vermeiden, kriegsmüde zu sein. Vor allem in den USA wäre ein solcher Eindruck verheerend gewesen. Sodann hatte man – das beweisen zahlreiche Dokumente – kein Vertrauen mehr in die deutsche Opposition, man traute ihr keinen Umsturzversuch mehr zu.

Und schließlich schreckte ab, dass die außenpolitischen Vorschläge und Forderungen, wie sie von einigen Emissären vorgebracht wurden, sich mit den deutschen Siegen schrittweise ausgeweitet hatten. Zunächst waren die Grenzen von 1938 als Verhandlungsgrundlage angeboten worden, dann die von 1939, später sogar jene von 1914 sowie Forderungen, die an expansionistische Programme vom September 1914 erinnerten.

So verfestigte sich in Großbritannien die Meinung, man dürfe überhaupt keine Verhandlungen beginnen, sondern müsse den Krieg bis zum Sieg durchfechten.

Während das außenpolitische Denken des deutschen Widerstandes – nicht unbeeindruckt von den Erfolgen deutscher Waffen – damals (soweit wir sehen können) noch um die Frage kreiste, welches Ausmaß deutscher Machtausdehnung und welche Ordnungsfunktion des Reiches in Mitteleuropa noch im Konsens mit den Briten erreicht werden könnte, hatte man sich in London bereits die Zerschlagung der deutschen Machtposition überhaupt zum Ziel gesetzt.

Damit hatten sich die Briten schon ein Jahr vor der Verkündung der US-Forderung auf eine Politik festgelegt, die dem Widerstand keinerlei Ansatzpunkte mehr für ein außenpolitisches Arrangement bot.

Als Hitlers Überfall auf die Sowjetunion den Briten wieder einen Bundesgenossen beschert hatte und als auf der Atlantik-Konferenz auch eine britisch-amerikanische Prinzipien-Übereinkunft getroffen worden war, da war nach der zuvor getroffenen Grundsatzentscheidung der Briten nunmehr ihr politisch-diplomatischer Handlungsspielraum ganz konkret abgesteckt. Die Rücksichtnahme auf den sowjetischen Verbündeten und auf die befreundete USA bestimmten nunmehr zusätzlich die britische Politik auch gegenüber dem deutschen Widerstand.

In einer Weisung an das Foreign Office schrieb Churchill:

„ ... wir sollten nicht von unserer Politik des absoluten Schweigens abgehen. Nichts würde unsere Freunde in den Vereinigten Staaten mehr beunruhigen und gefährlicher für unser Verhältnis zu unseren neuen Alliierten, Russland, sein als die Vorstellung, wir unterhielten derartige Kontakte (mit den ‚German dissidents’)“. Deutlicher konnte die Allianzgebundenheit der britischen Politik gegenüber dem deutschen Widerstand nicht formuliert werden.

Die Kriegsallianz hatte fortan für die Briten absolute Priorität gegenüber allen Avancen von Seiten des Widerstandes.

Immer wieder betonte Churchill, man dürfe nicht auf einen inneren Zusammenbruch des NS-Regimes rechnen, sondern müsse ihn durchfechten. Selbst wenn wirklich ein Umsturz einmal geschehe, dann werde die Macht dort auf die Generäle übergehen, „ ... und die werden keineswegs bereit sein, die Bedingungen anzunehmen, die Großbritannien und die USA zur Gewährleistung der künftigen Sicherheit der Welt für notwendig halten.“(Mitte 1942).

Fühlungnahmen von deutscher Seite, von wem sie auch immer kommen mochten, sollten fortan nur noch unter dem Gesichtspunkt ihres Wertes für die alliierte Kriegführung betrachtet werden. Konkret hieß dies, dass Kontakte mit den ‚German dissidents’ nur noch zur Informationsgewinnung, nicht aber zu Verhandlungen erfolgen durften.

Auf Bonhoeffers Kontaktversuche reagierte das Foreign Office zum Beispiel nur mit dem Hinweis, es sei ganz interessant zu erfahren, was solche Gruppen wohl ausrichten könnten. Und an einem Memorandum Adam von Trotts fanden die Briten nur aufschlussreich, dass die Opposition jetzt wohl bereit zum Tyrannenmord sei. Im Übrigen: absolute silence!

Zur Verhärtung der britischen, aber auch der amerikanischen Position gegenüber dem Widerstand trug in besonderem Maße bei, dass die west-östliche Kriegskoalition lange Zeit noch als ungefestigt angesehen wurde. Die Allianz mit Moskau war bis zu den Konferenzen von Moskau und Teheran Ende 1944 hin in gewissem Sinne immer ein ‚brüchiges Bündnis’.

Schon bei den britisch-sowjetischen Verhandlungen im Dezember 1941 in Moskau war der tief gehende Dissens über die Kriegsziele zutage getreten. Stalin hatte dies mehrfach beklagt und eine Klärung der beiderseitigen Vorstellungen wiederholt angemahnt. Roosevelts Casablanca-Formel der Unconditional Surrender-Forderung hatte in diesem Zusammenhang auch die Funktion, einen Minimalkonsens unter den Verbündeten wenigstens formal herzustellen.

Dennoch kam es alsbald zu starken Irritationen.

Das ganze Jahr 1942 hindurch bis zum Herbst 1943 gab es Meldungen und Gerüchte über deutsch-sowjetische Geheimkontakte und japanische Versuche, eifrig bemüht, zwischen Deutschland und der Sowjetunion zu vermitteln.

Mitte 1943 spitzte sich die Problematik zu. Roosevelt hatte im Juni dem sowjetischen Diktator mitteilen müssen, die seit langem versprochene zweite Front in Europa könne im Jahr 1943 nicht mehr errichtet werden. Stalin verhehlte daraufhin nicht, dass diese Nachricht schwerste Zweifel an der Aufrichtigkeit und Bündnistreue der Westalliierten bei ihm aufkommen ließen.

Nicht ohne drohenden Unterton schrieb er an Churchill, er könne sich mit einer solchen Missachtung der lebenswichtigen Interessen der Sowjetunion im Kampf gegen den gemeinsamen Feind nicht abfinden.

Als dann im selben Monat erneut Meldungen über Geheimkontakte zwischen Sowjets und Deutschen aus Stockholm eintrafen, und als die Sowjets einen Monat später die Gründung des Nationalkomitees Freies Deutschland bekannt gaben, der Mitte September die Gründung des BDO folgte, da schrillten in den westlichen Hauptstädten die Alarmglocken: War Stalin etwa drauf und dran, eine neue Schwenkung seiner Deutschlandpolitik einzuleiten, wieder die Seite zu wechseln, nochmals ein Geschäft mit Hitler auf Kosten des Westens zu machen?

War doch ein Zusammengehen zwischen Deutschland und der Sowjetunion seit Rapallo immer wieder ein Alptraum westlicher Kabinette gewesen!

Was immer auch hinter diesen Meldungen und Gerüchten gestanden haben mag – aus der Sicht der Westmächte waren es ernste Gefahrensignale.

Die westlichen Alliierten taten daher alles, um die Allianz zu festigen, vermieden alles, was dem Bündnis schaden konnte.

So wurden der Allianz nicht nur am Jahreswechsel 1943/ 44 die Interessen der polnischen Exilregierung geopfert, die interalliierte Bündnispolitik beeinflusste zuvor schon nachhaltig die westliche Haltung gegenüber dem deutschen Widerstand.

Briten und Amerikaner waren hinfort stets peinlich bemüht, den Sowjets alle Kontaktversuche von deutscher Seite sofort mitzuteilen. Moskau sollte nicht der geringste Vorwand geliefert werden, das Bündnis aufzukündigen.

Bei dieser Sachlage mussten alle deutschen Warnungen vor einem sowjetischen Machtzuwachs in Europa bei einem deutschen Zusammenbruch auf tiefes Misstrauen bei den Alliierten stoßen. Dies umso mehr, als derartige Argumente nicht nur aus den Reihen des Widerstandes kamen. Auch die Nazi-Propaganda und Ribbentrops Diplomaten, ja auch deutsche Emigranten in den angelsächsischen Ländern bedienten sich dieser Argumentation.

So unterschiedlich die Motive dieser verschiedenen Gruppen auch waren – die Alliierten sahen in dieser – gleichsam gesamtdeutschen – Argumentation nur ein Indiz für das allgemeine Bestreben, die west-östliche Kriegskoalition aufzubrechen, der Kriegskoalition, deren Sicherung sich die Westmächte so sehr zu eigen gemacht hatten.

Hier wird eine grundverschiedene Sicht der Dinge erkennbar: Der Widerstand argumentierte mit dem Machtvakuum-Gedanken. Ein Zusammenbruch des Reiches würde in Mitteleuropa ein Machtvakuum entstehen lassen. Die Sowjetunion würde dort hineinstoßen, das könne nicht im Interesse der Westmächte sein.

Diese Argumentation konnte bei den Angelsachsen nicht überzeugen. Erstens würde kein Machtvakuum entstehen. Alliierte Besatzungstruppen würden die Funktion der Ordnungsmacht übernehmen. Zweitens war der Sowjetunion ein konstruktiver Part in der Nachkriegsordnung zugedacht. Nicht nur die künftige Weltfriedensordnung werde auf einem Konsens zwischen den Angelsachsen und der Sowjetunion gegründet werden müssen; auch bei der Neuordnung Europas nach der endgültigen Beseitigung der deutschen Gefahr sollte der Sowjetunion eine wichtige Rolle zusammen mit Großbritannien zufallen; dies umso mehr, als die Briten nicht ausschließen mochten, dass die USA nach Kriegsende Europa wieder verlassen würden.

Die Kooperation mit der Sowjetunion war somit zentrales Element sowohl der alliierten Kriegspolitik als auch ihrer Nachkriegsplanung.

So standen die Bemühungen des Widerstandes erneut quer zu den bestimmenden Trends der internationalen Machtpolitik. Ihr Machtvakuum-Argument und ihre Warnungen vor der Sowjetunion musste in dieser Situation kontraproduktiv wirken. Die Westmächte begriffen gar nicht die Argumentationslogik des Widerstandes. Sie sahen darin nur einen Angriff auf das Kernelement ihrer Kriegs- und Nachkriegspolitik.

Manche Vertreter des Widerstandes haben dies lange nicht zu akzeptieren vermocht. Bis in den Sommer 1944 hinein suchten sie noch nach Möglichkeiten, ein Arrangement mit den Westmächten doch noch herbeizuführen.

Hierbei hat sicher der Eindruck eine wichtige Rolle gespielt, den die Gespräche mit den verschiedenen Vertretern des amerikanischen Geheimdienstes erweckten, mit denen sie seit Ende 1942 Kontakt aufgenommen hatten, da sich die Briten ja verweigerten.

Gewiss haben OSS-Repräsentanten ihnen expressis verbis keine Hoffnungen auf ein Arrangement unter Ausklammerung der Sowjetunion gemacht.

Andererseits kann es ihnen aber auch nicht entgangen sein, dass wichtige OSS-Vertreter durchaus mit dem Gedanken spielten, ob man nicht den Krieg durch Kooperation mit den deutschen ‚dissidents’ abkürzen und so zugleich die Sowjets eindämmen könnte. Der OSS-Chef Donovan hat mehrfach bei Roosevelt für einen geschmeidigeren Umgang mit dem deutschen Widerstand plädiert. Vor allem hat der OSS-Vertreter in Bern, Allen G. J. Dulles, in seinen Berichten immer wieder sich die Argumentation des Widerstandes zu eigen gemacht und ist für eine Abmilderung der Unconditional Surrender-Forderung und der Absolute Silence-Devise eingetreten. Natürlich erhielt er aus Washington nie eine positive Antwort. Der amerikanische Geheimdienst hatte eben keinerlei Einfluss auf die Grundsatz-Entscheidungen der westlichen Kriegspolitik.

Präsident Roosevelt erklärte in diesem Zusammenhang dem politischen Berater Eisenhowers, Botschafter Murphy, klipp und klar, vornehmstes Ziel der amerikanischen Politik sei die Sicherung der amerikanisch-sowjetischen Zusammenarbeit nach dem Kriege. Sie sei unabdingbare Voraussetzung für den künftigen Weltfrieden und die gemeinsame Besetzung Deutschlands das Versuchsfeld dafür.

Hinzu kam, dass auch innerhalb des amerikanischen Geheimdienstes durchaus andere Meinungen existierten als die Donovans und Dulles. So passte in die Strategie des Präsidenten sehr gut ein zusammenfassender Bericht des OSS vom Mai 1944, der – im Übrigen wohl informiert – die Regierung nachdrücklich vor den Verschwörern warnte und ihre Entschlossenheit zur Tat infrage stellte.

Noch negativer klang ein britischer Bericht vom Juni 1944, in dem es hieß, es existiere wahrscheinlich gar keine organisierte Opposition in Deutschland. Etwaige Friedensfühler dissenter Generäle würden mit politisch unannehmbaren Forderungen verbunden sein. Zur Verkürzung des Krieges hingegen würden sie nicht beitragen.

Einig waren sich Briten und Amerikaner indessen, dass diese Opposition höchstens im Sinne der politischen Kriegsführung ausgenutzt werden könne. Vielleicht – so meinten die Briten – könnte sie dazu benutzt werden, die Moral der höheren Wehrmachtführung zu untergraben.

Dulles in Bern hat seine Gesprächspartner aus den Reihen des Widerstandes gewiss nicht in diesem Sinne manipuliert, als er die Möglichkeiten eines alliierten Entgegenkommens im Falle eines Umsturzes in Berlin andeutete. Er war sicher aufrichtig; aber diese Andeutungen passten durchaus in die Linie der machiavellistischen alliierten Taktik gegenüber dem Widerstand. Den deutschen Widerstand jedoch hat dies zeitweilig wenigstens – zu einer unzutreffenden Einschätzung der westlichen Haltung veranlasst. Gisevius meldete jedenfalls damals aus Bern, Verhandlungen könnten wohl doch noch möglich sein.

Während der Widerstand glaubte, im abendländischen Wertesystem eine gemeinsame Basis mit den Westmächten im Kampf gegen Hitler zu haben, sah der Westen das Phänomen Widerstand rein instrumental unter dem Nutzen-Aspekt für die alliierte Kriegsführung, also unter dem Aspekt internationaler Machtpolitik.

Die tiefste Ursache für die nahezu totale Kommunikationslosigkeit zwischen Westmächten und Widerstand lag in den grundsätzlich unterschiedlichen Interessendefinitionen und der daraus resultierenden beiderseitigen Perzeptionsverzerrungen. Das haben die Untersuchungen von Kettenacker, Klemperer und Hedva Ben-Israel eindrucksvoll gezeigt.

Der Widerstand sah sich in einer gemeinsamen Front mit den Westmächten gegen den gemeinsamen Feind – Hitler und sein Regime – stehen. Aus dieser Gemeinsamkeit des Gegners heraus unterstellte er auch eine Identität der Interessen.

Für die Westmächte hingegen gab es diese Interessenidentität nicht. Sie hatten ein anderes Feindbild: das deutsche Großmachtstreben, das sie – wenngleich mit graduellen Unterschieden – sowohl im NS-System Hitlers verkörpert sahen als auch in dem ‚preußisch-deutschen Militarismus’, wie sie es chiffrenartig nannten. Daher vermochten sie nicht zwischen Hitlers Deutschland und dem „anderen Deutschland“ zu unterscheiden.

Der Widerstand unterstellte aus dem Bewusstsein der Wertgemeinschaft mit dem Westen, dass ein Zerschlagen des Deutschen Reiches und ein Einrücken der Sowjetunion an seine Stelle in Mitteleuropa nicht im Interesse der Westmächte liege. Der Westen sah jedoch zu dieser Zeit in der Sowjetunion kein potentielles Gefahrenelement, sondern einen Partner.

Es ist gesagt worden, das Dilemma des deutschen Widerstandes habe darin gelegen, dass er zugleich Verbündeter der Westmächte (gegen Hitler) gewesen sei, als auch alternative Regierung eines Kriegsgegners der Alliierten. Das trifft zu, es ist jedoch aus der Sicht des Widerstandes gesehen. Die Westmächte dagegen hatten eine andere Perspektive. Für sie war auch der Widerstand ‚Feind’, Kontrahent jedenfalls, insofern und insoweit er beanspruchte, die Interessen des Reiches als einer europäischen Großmacht zu vertreten – und zwar gegen Hitler wie gegen die alliierten Kriegsgegner. Daran scheiterten alle Versuche des Widerstandes, den Dialog mit dem Westen zu beginnen, oder ihn gar zu erzwingen mit Mitteln, die – wie die Drohung mit einer Hinwendung zum Osten – kontraproduktiv waren, oder die – wie die Angebote, militärische Operationen der Alliierten zur Abkürzung des Krieges zu unterstützen – als militärisch uninteressant und politisch unerwünscht angesehen wurden.

Alles in allem: Es gab keine Gemeinsamkeit im Feindbild, keine Gemeinsamkeit der Interessen, keine Gemeinsamkeit der Umweltperzeption. Damit gab es praktisch keine Chance eines konstruktiven Dialoges.

Dagegen gab es auf einer ganz anderen Ebene – und wenngleich nur punktuell, jedoch von großer prinzipieller Bedeutung – die Solidarität mit den nicht-deutschen Widerstandsbewegungen im besetzten Ausland.

Diese haben – besser als die alliierten Regierungen – die Gemeinsamkeit der Wertvorstellungen erkannt.

Kontakte, die Männer wie Moltke, Trott, Staehle und andere während des Krieges zu nicht-deutschen Widerstandsbewegungen anknüpften, beruhten – wie eindrucksvolle Quellenzeugnisse belegen – genau auf dieser Wertgemeinsamkeit.

K. von Klemperer sieht gerade in diesen spezifischen Beziehungen des deutschen Widerstandes zur nicht-deutschen Resistance geradezu das Urbild der „reinsten Widerstandsaußenpolitik“.

Jedoch – diese „Übersetzung auf das europäische Niveau“, wie Moltke es einmal genannt hat – dieses Handeln aus den gemeinsamen Wertvorstellungen heraus, scheiterte letztlich in der Konfrontation mit der internationalen Machtpolitik.

Hierzu nur ein Beispiel, das eine niederländische Widerstandsgruppe erfahren musste, die Ende 1943 versuchte, für ihre deutschen Freunde aus dem Kreisauer Kreis über die niederländische Exilregierung Kontakte mit den Briten herzustellen. Sie erhielten nur die kühle Weisung, derartige Kontakte sofort abzubrechen.

Zwar konnte sie angesichts dieser Haltung keine politische Hilfestellung für die deutschen Widerständler geben, aber sie brachen die Kontakte mit diesen nicht ab, denn sie erkannten – wie später eine der niederländischen Widerstandskämpfer sagte – dass die Deutschen „aus Treue zur Menschheit“ gehandelt hätten. Auf dieser Basis blieb trotz allem die Solidarität tragfähig. Die niederländischen Widerstandskämpfer hatten diesen Versuch eines Neuansatzes europäischer Politik aus dem Geist des Widerstandes heraus bewusst getragen. Die alliierten Regierungen, eingebunden in vielfältige machtpolitische Bezüge, vermochten dies nicht.

Betrachten wir zum Schluss die gesamte Problematik in einem größeren historischen Zusammenhang, dann erkennt man, dass der deutsche Widerstand ebenso ein Opfer der machtpolitischen Interessendurchsetzung kriegführender Großmächte geworden ist, wie Teile des nicht-deutschen Widerstandes.

So sind zum Beispiel die nicht-kommunistische polnische Heimatarmee, die Armja Krajowa, ebenso zu nennen wie die royalistischen Cetniki des jugoslawischen Generals Mihailowitsch – ohne die spezifische Eigenart und Unvergleichbarkeit dieser Gruppierungen mit dem deutschen Widerstand übersehen zu wollen.

Und hier ist auch zu verweisen auf die Tatsache, dass die außenpolitischen Zukunftsvisionen vieler westeuropäischer Widerstandsgruppen nach dem Kriege an den Interessen und Interessengegensätzen der Großmächte scheiterten.

Sie alle gerieten – wenn auch in unterschiedlicher Weise, die einen physisch, die anderen intellektuell – in den Mahlstrom der „internationalen Machtpolitik mit ihrer ganzen Härte und Kälte“ (A. Hillgruber) wie es auch dem deutschen Widerstand widerfuhr.

Jedoch – auch ohne Hegels ‚List der Geschichte’ beschwören zu wollen – gerade in dem Scheitern des deutschen Widerstandes in seinem unbarmherzigen Ausgeliefertsein an die Interessen internationaler Machtpolitik der Kriegführenden lag die Chance seiner historischen Größe beschlossen:

Als in der katastrophischen Lage des Sommers 1944 – die alliierte Invasion war gelungen, die Heeresgruppe Mitte im Osten zerschlagen, alle Fühlungnahmen zu den Alliierten gescheitert – als in dieser Lage General von Tresckow die entscheidende Parole ausgab, die uns in Schlabrendorffs Worten überliefert ist, als er zur freien Tat jenseits allen realpolitischen Kalküls aufrief, da war dies das eigentliche, das ‚echte Politikum’, das Zeichen aufgerichtet vor der Welt und der Geschichte – und damit die eigentliche Quelle der geschichtlichen Wirksamkeit des Widerstandes.

Dem Charakter eines Vortragsmanuskriptes entsprechend wurde auf Einzelnachweise verzichtet. Eine erweiterte und mit Anmerkungen versehene Fassung des vorliegenden Vortrags erscheint Ende des Jahres in der Schriftenreihe der „Gedenkstätte Deutscher Widerstand“ Berlin und ist von dort zu beziehen.