Der Tag der Erhebung

Franz Amrehn
Der Tag der Erhebung
Grußworte des Bürgermeisters von Berlin Franz Amrehn am 19. Juli 1957 in der Gedenkstätte Plötzensee, Berlin

Schweigen und Beklommenheit überkommen den, der den Weg zu dieser Stätte geht. Begegnen ihm schon die hohen Mauern, ehe sich der Eingang zum Innern öffnet, wird er hier gepackt von der Eindringlichkeit, mit der die Steine reden. Sie zeugen von dem Blut, das hier geflossen ist, um uns alle aus der Beengung der Gefahr, der Not und der Todesverstrickung zu lösen. Sie zeugen von den Männern, die in der Freiheit der persönlichen Entscheidung das Opfer gewagt und gebracht haben. Sie zeugen von den Gewissensnöten, in denen Menschen gestanden, die einen Eid geleistet und sich aus höherem Recht über ihn erhoben haben. Sie zeugen von der Läuterung und der Wandlung, derer der Mensch fähig ist und die mancher von ihnen an sich erfahren hat. Sie zeugen auch von dem hohen Gefühl, das sie alle beseelt hat, als sie den Tod in diesen grauen Mauern und in dem Schuppen nebenan vor Augen hatten, den Gürtel der Angst gesprengt, den Sieg ihrer Seele über die Gewalt an sich erlebt haben. Der 20. Juli 1944 bleibt der Tag der Erhebung der vom Geiste getriebenen und durch sie selbst gerechtfertigten Menschentums über die Tyrannei.

Wir grüßen alle, die gekommen sind, um dieses Tages zu gedenken – sich mit seinen Männern und ihren Gedanken aufs Neue zu verbinden. Wir grüßen vor allem, die damals teilhatten an der Erhebung und die Opfer gebracht haben durch sich selbst und ihre Angehörigen. Wir grüßen alle, die dann nach dem Krieg in dieser Stadt das Werk fortzuführen versucht haben und von dieser Stadt einen neuen Teil von Tyrannei abgewendet haben. Unter ihnen darf ich General Rawley nennen. Und ich grüße alle, die gekommen sind, um an dieser Stätte aufs Neue zu bezeugen, dass sie entschlossen sind, den Kampf auch in der Zukunft fortzuführen, bis das Werk der Männer vom 20. Juli seine Früchte und seinen Segen in ganz Deutschland trägt.