Die Entscheidung des Gewissens

Cord von Hobe

Die Entscheidung des Gewissens

Ansprache des Generals Cord von Hobe am 20. Juli 1959 im Ehrenhof des Bendlerblocks in der Stauffenbergstraße, Berlin

In tiefer Ergriffenheit spreche ich hier an dieser Stätte, die vor 15 Jahren Schauplatz eines Geschehens wurde, das die dunkelste Zeit Deutschlands erhellt hat. Damit wird die Erinnerung wach an Männer, die mir als Vorgesetzte besondere Güte erwiesen und als Kameraden menschlich sehr nahe gestanden haben. Ich bin daher dankbar, dass ich an diesem Tage im Auftrag des Bundesministeriums für Verteidigung die Soldaten der Bundeswehr vertreten darf.

Wenn man heute die Männer, die damals in Kenntnis der Gefahren, die Sitte, Recht und Freiheit unseres Volkes bedrohten, ihrem Gewissen folgend, die Verantwortung des Handelns auf sich nahmen, wenn man diese Männer heute fragen würde, was ihnen besonders bitter war in jenen Tagen – sie würden vielleicht antworten, dass sie von vielen, denen sie vertrauten, denen sie wirkliche Kameraden waren, die aus der gleichen Umwelt stammten, nicht verstanden wurden.

15 Jahre liegen nun hinter uns und haben allen die Augen geöffnet. So bekennt sich die Bundeswehr in Ehrfurcht zu dem Opfer jener Männer, das hier in diesem Hof in den Nachtstunden des 20. Juli seinen Anfang nahm.

Aber ein Lippenbekenntnis allein genügt nicht. Es ist nicht die Tat allein, die Verstehen und Ehrfurcht fordert. Die Männer des 20. Juli – und man verzeihe mir, wenn ich in erster Linie die Soldaten nenne, da sie in einer besonderen beruflichen Beziehung zu uns stehen – sagen und verlangen von uns noch mehr.

Sie mahnen uns, über die Enge des täglichen Pflichtenkreises hinaus das Ganze zu sehen, d.h. uns stets zu bemühen in der Erkenntnis dessen, was dem Gemeinwohl unseres ganzen Volkes dient.

Sie zeigen uns, wie notwendig es ist, unser Handeln stets der Entscheidung unseres Gewissens zu unterwerfen, aber nicht eines Gewissens schlechthin, eines Gewissens, das man sich aussucht oder hinter das man sich bequem zurückziehen kann, sondern eines Gewissens, das bestimmt wird durch das natürliche und göttliche Sittengesetz.

Schließlich ist es das Beispiel der Verantwortungsfreude, das uns in einer Zeit, in der Verantwortung so gern auf andere Schultern abgewälzt wird, so viel zu sagen hat. Aber auch hier ist es nicht eine Verantwortung, die sich auf die eigene Person beschränkt oder eine Verantwortung in dem Sinne „ich kann die Verantwortung nicht übernehmen“, sondern vielmehr eine Verantwortung, die man im Hinblick auf das Gesamtwohl für seine Untergebenen und Kameraden, für seine Mitbürger und die Zukunft unseres Volkes auf sich nehmen muss.

Die vornehmste Aufgabe in der Verantwortung der Bundeswehr ist heute, den Frieden in Freiheit zu erhalten. Es ist also eine Fortsetzung des Zieles, das jene Männer angestrebt haben. Diese Aufgabe ist jedoch nicht durch den Soldaten allein zu lösen. Ebenso wie Soldaten in der Erhebung des 20. Juli zusammen mit freiheitlich gesinnten Kräften aus allen Schichten, Konfessionen und Parteien standen, muss die Bundeswehr von unserem ganzen Volke getragen werden.

Es ist das Vermächtnis dieser Männer und Frauen, die Freiheit ihrer Kinder, unserer Kinder und auch die Freiheit derer, die in Unfreiheit leben, zu wahren. Wie groß und schwer diese Aufgabe ist, brauche ich in dieser Stadt angesichts der Sorgen, die uns alle gemeinsam bedrücken, nicht zu sagen.

Wir nehmen Ruf und Verpflichtung auf, denn diese Männer starben für uns. Sie gaben als Soldaten ihr Leben für ihre Brüder.

Diese Männer leben weiter in uns durch ihr Beispiel und nicht zuletzt durch ihre Söhne, die freiwillig die Verantwortung auf sich genommen haben, in der Bundeswehr ihrem Volke zu dienen.

Gemeinsam mit Euch, die Ihr hier und anderswo gestorben seid, haben wir das große Ziel am Ende der Zeiten, dem wir alle irdischen Ziele unterordnen sollten, nämlich die Auferstehung durch Gottes Gnade.

In ehrendem Gedenken legen wir diesen Kranz hier nieder für Euch, unsere tapferen Kameraden, und alle, die mit Euch gingen.





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