Die "Verbindung zur Großen Welt". Die Außenbeziehungen des deutschen Widerstandes 1938-1945

Klemens von Klemperer

Die „Verbindung zur Großen Welt“

Die Außenbeziehungen des deutschen Widerstandes 1938-1945

Festvortrag von Prof. Dr. Klemens von Klemperer am 19. Juli 1989 im Otto-Braun-Saal der Staatsbibliothek Preußischer Kulturbesitz, Berlin

Aller Widerstand beruft sich auf eine Instanz, die über menschliche Satzungen hinausreicht. Menschliche Satzungen geben ein positives, greifbares Mandat für das, was in ihrem Namen getan wird. Aber sie sind natürlich nicht unfehlbar und entsprechen nicht dem „unwandelbaren Gesetz des Himmels“. Die Gesetze einer fehlbaren Welt sind selbst fehlbar und werden deshalb auch im Laufe der fortschreitenden Entwicklung immer wieder ergänzt. Wenn aber die Gesetze offensichtlich ungerecht sind und dazu noch keinerlei Revision unterworfen sind, wenn, wie Friedrich Schiller seinen Stauffacher sagen lässt, „der Gedrückte nirgends Recht kann finden, wenn unerträglich wird die Last“, – dann setzt das Recht zum Widerstand ein. Dies war bestimmt der Fall in unserem Jahrhundert in allen Ländern, die unter das Joch des Nationalsozialismus gerieten.

Das Mandat zum Widerstand ist aber nicht leicht zu begründen. Es beruht schwerlich auf positivem Recht und ganz sicher nicht auf dem Auftrag einer Wählerschaft; vielmehr beruft es sich auf erhabene Leitbilder, das Naturrecht, das Gemeinwohl oder die langfristigen nationalen Interessen, die wiederum in all ihrer Abstraktheit nicht ohne ihre Gefahren und Zweischneidigkeiten sind. Denn kann sich nicht jede Form des Widerstandes, berechtigt oder nicht, aggressiv oder nicht, allzu leicht auf diese hohen Begriffe berufen?

Der deutsche Widerstand gegen den Nationalsozialismus ist oft mit den Widerstandsbewegungen in den vom Dritten Reich besetzten Ländern verglichen worden. Die Letzteren waren gegen Besatzung und Fremdherrschaft gerichtet und konnten sich auf die Unterstützung breiter Volksschichten verlassen. Ihr Befreiungskampf galt nicht nur der Verteidigung fundamentaler Menschenrechte, sondern auch eindeutiger nationaler Interessen. So hatten sie ein klares, unbestreitbares Mandat. Zugleich fanden sie auch fraglose Hilfe von außen. Hugh Dalton, der britische Minister für Kriegswirtschaft, der im Sommer 1940 von Premierminister Winston Churchill mit der Gründung der SOE (Special Operations Executive) betraut wurde mit der Aufgabe, den Widerstandsbewegungen außerhalb Deutschlands Unterstützung zu gewähren, sprach von dem „common struggle“ gegen den Feind.

Der deutsche Widerstand besaß eine solche selbstverständliche Legitimität weder nach innen noch nach außen. Gerade dieser Widerstand, dessen Rechtmäßigkeit doch außer Zweifel stehen sollte, hat seinen Platz in der Geschichte mit einem höchst fragwürdigen Mandat eingenommen. Er hatte keinen Rückhalt beim Volke, und er richtete sich gegen die Hauptanstrengung der Nation – nämlich Kriegspolitik und Kriegführung. Denn ein Erfolg des Komplotts gegen Hitler bedrohte auch den Sieg des Vaterlandes. Die Verschwörer handelten in einer Situation, in der Widerstand an Defätismus und Heldentum an Verrat grenzten.

Die Legitimität des deutschen Widerstandes gegenüber der Außenwelt, mit der ich mich hier besonders befassen will, war auch von dem fragwürdigen Mandat nach innen berührt. Zunächst ist jedoch zu betonen, dass die Lage, in der die deutschen Oppositionellen im totalen Staat sich befanden, wohl einzigartig in der Geschichte war. Die Diktatur in Deutschland war im Gegensatz zur Besatzung und Fremdherrschaft in anderen Ländern „bodenständig“. Das heißt, dass Widerstand jeglicher Richtung auf keinerlei innere Freizonen rechnen konnte. Wilhelm Leuschners Bemerkung einem Freund im Ausland gegenüber, er und seine Freunde seien „gefangen in einem großen Zuchthaus“, war also durchaus berechtigt. Folglich musste der deutsche Widerstand, wollte er den Sturz des Regimes herbeiführen, für eine Strategie der „vorgetäuschten Kooperation“ mit dem zu stürzenden Regime optieren. Diese grundsätzliche Bemerkung soll mitnichten über die unentwegten Anstrengungen der deutschen Linken hinwegsehen, die sich durch besondere Opferbereitschaft auszeichneten; aber den Widerstand von links, ob er nun von sozialdemokratischer oder kommunistischer Seite kam oder von den verschiedenen besonders aktiven linken Kleinorganisationen, war doch im Vorhinein gebrandmarkt und musste sich auf die Selbsterhaltung und auf das Abschleifen – kaum mehr – des Naziregimes beschränken. Der Sturz des Regimes konnte nur von innen heraus erfolgen, und so blieb diese Aufgabe denen überlassen, die in der Lage waren, ein Doppelspiel zu betreiben. Dies war die Vorbedingung für den erhofften Schlag gegen die Tyrannei. Andererseits trug es aber dazu bei, zumal der Außenwelt gegenüber, die Glaubwürdigkeit der Abgesandten der Verschwörung in Frage zu stellen.

Der Ausdruck „Verbindung zu der großen Welt“ stammt von Helmuth James von Moltke. Im Juli 1935 wandte er sich in einem Brief an Lionel Curtis – ein alter Freund seiner Familie mütterlicherseits und sein Mentor –, um ihn auf seine und seiner Freunde völlige Vereinsamung aufmerksam zu machen. Sie alle fanden sich in ihrem Lande ohne jegliche Unterstützung, und wenn sie auch damit rechnen mussten, den Rest ihres Lebens in einer „kleinen Zelle“ zu fristen, so wäre es umso wichtiger für sie, die „Verbindung zu der großen Welt“ herzustellen und aufrechtzuerhalten. Das Verlangen nach einer „Verbindung zu der großen Welt“ war also durch das Zuchthausdasein, das Eingeschlossensein in der „kleinen Zelle“ bedingt. In diesem Verlangen artikulierte sich bestimmt mehr als nur der Wunsch nach Aufnahme von gewöhnlichen Außenbeziehungen. Wir müssen uns immer die einzigartige Lage vor Augen halten, in der sich Moltke sowie Goerdeler, Ulrich von Hassell, Adam von Trott, Dietrich Bonhoeffer und die vielen anderen Männer des Widerstandes befanden, die sich vor und während des Krieges mit dem Ausland in Verbindung setzten. Sie alle wirkten in jener „Grenzsituation“, von der am 10. Jahrestag des 20. Juli Präsident Theodor Heuss so eindringlich und überzeugend sprach, und es war dem gemäß nicht „Außenpolitik“ im üblichen Sinne des Wortes, die sie mit ihren geheimen Memoranden und gewagten Missionen betrieben. Sie waren alle grundsätzlich darum bemüht, Zeugnis vor aller Welt abzulegen, dass auch inmitten des Wahnsinnsstaates noch ein „anderes Deutschland“ fortlebte, das sich den „ewigen ethischen Gesetzen“, wie Goerdeler sich wiederholt ausdrückte, verpflichtet fühlte, um so auch dem Widerstand nach außen hin die nötige Legitimierung zu verschaffen.

Die Außenbeziehungen des deutschen Widerstandes spannen sich über die zwölf Jahre der Naziherrschaft, besonders jedoch die Zeit zwischen 1938 und 1944. Sie fügen sich zu einem breiten Spektrum von Aktivitäten und belegen, dass auch während des Krieges, unter Umgehung offizieller Wege, immer wieder deutsche oppositionelle Emissäre ins Ausland geschleust und Memoranden über die Grenzen versandt wurden. Ihr Ziel war die Kriegsverhinderung und später die Verhandlung mit der anderen Seite über Positionen, die der Strategie der Verschwörung dienlich sein sollten, wie zum Beispiel die zukünftige Grenzsteckung, alliierte Zurückhaltung im Falle eines Umsturzes im Reich und schließlich besonders die Modifizierung der Unconditional Surrender-Formel von Casablanca (24. Januar 1943). Gleich hier ist darauf hinzuweisen, dass gerade diese Desiderata darauf ausgerichtet sein mussten, das Mandat des Widerstandes im Innern zu stärken und ihn besonders den Generälen gegenüber zu legitimieren, um sie so zur Unterstützung des Komplotts zu verpflichten. Aber alle diese Positionen waren wiederum dem höheren Ziel der Legitimierung untergeordnet: Zeugnis abzulegen und damit auch dem „anderen Deutschland“ ein Wort bei der Neugestaltung Europas nach dem Umsturz zu sichern. Aber wie wir alle wissen, waren diese Bemühungen, sowie das Komplott selbst, zum Scheitern verurteilt. Geschichte jedoch handelt nicht weniger von Misserfolgen und Opfern als von Erfolgen und Siegen.

Das Scheitern aller Bemühungen des deutschen Widerstandes um die Außenwelt ist schon verschiedentlich von Historikern unter die Lupe genommen worden, und doch bleibt immer noch hervorzuheben, wie einzigartig die außenpolitischen Unternehmungen des deutschen Widerstandes waren. Zunächst einmal befanden sich die Widerstandsbewegungen außerhalb Deutschlands gar nicht in der Lage, bei den Alliierten auf Anerkennung ihrer Existenz und Ziele drängen zu müssen. Anerkennung und Unterstützung von außen kamen ungefragt. Ansonsten traten sie mit dem Ausland hauptsächlich auf dem Wege ihrer Beziehungen mit den Exilregierungen, insoweit solche existierten, in Verbindung. Was aber die „Außenpolitik“ des deutschen Widerstandes anbetrifft, so war sie vollständig unorthodox. Die Wortführer des Widerstandes hatten dem Ausland gegenüber keinerlei Akkreditierung oder Legitimation. Vonseiten der Linken, soweit man dort überhaupt von „Außenpolitik“ sprechen kann, wurden Kontakte mit dem Ausland durch Parteikanäle geleitet und insbesondere mit Exilgruppen im Ausland hergestellt, die dann wiederum mit den bürgerlich-konservativen Auslandsbestrebungen Berührung suchten. Trott und Moltke bahnten sich ihre Wege mittels Freundschaften. Außenbeziehungen waren für diese zwei „Kreisauer“ dadurch erleichtert und überhaupt erst ermöglicht, dass ihnen von Standes wegen Türen im Ausland offen standen. Im Falle Trotts waren es besonders die Astors, durch die er anlässlich seiner Englandreise im Juni 1939 Lord Halifax und Neville Chamberlain traf; aber gerade diese Beziehung machte ihn dann in England wegen der Appeasement-freundlichen Einstellung des sogenannten „Cliveden Sets“ besonders verdächtig.

Davon abgesehen, hatte Trott viele Oxforder Beziehungen, von denen besonders Sir Stafford Cripps hervorzuheben ist; dieser betrachtete sich als Trotts Mentor und bemühte sich, ihm im Foreign Office Gehör zu verschaffen. Von Genf aus nahm sich Willem A. Visser't Hooft, der Generalsekretär des provisorischen Weltkirchenrates und ein Freund der Mutter Trotts, seiner als Vermittler nach England an. Im Falle Moltkes war es besonders Lionel Curtis, der Vater der Commonwealth-Bewegung und Gründer des Royal Institute of International Affairs, der immer seinem deutschen Freund zugänglich war und sich für ihn einsetzte. Goerdeler hatte anfänglich ein besonderes Verhältnis zu Sir Robert Vansittart im Foreign Office, das auch sorgfältig von dessen Mittelsmann, dem britischen Industriellen Arthur P. Young, gefördert wurde, dann aber in pathologisches Misstrauen von Seiten Vansittarts umschlug. Im neutralen Schweden hatte Goerdeler schon vor dem Kriege Beziehungen zu einflussreichen Bankiers, den Brüdern Wallenberg, angeknüpft, die er dann später weiter ausbauen konnte. Bonhoeffer wiederum war bemüht, seine ökumenischen Kontakte in der Schweiz und in England auszubauen.

Davon abgesehen diente auch das Exil als Bindeglied zwischen dem Widerstand und dem Ausland. Es wäre ganz verfehlt, Widerstandsforschung hie und Exilforschung da zu betreiben. Sicher war das politische Exil ein Ausdruck des Widerstandes, sowie wiederum der Widerstand ein Ausdruck des Exils war, genauer gesagt: des inneren Exils. Ob nun der Grenzübertritt ein „bequemerer Weg“ war, ein Ausweg sozusagen, bleibe dahingestellt. Tatsache ist, dass Moltke, Bonhoeffer, Trott ganz bewusst die Möglichkeit, im Ausland sich niederzulassen beziehungsweise zu bleiben, abschlugen. Bonhoeffer fühlte sich nach eigenem Bekunden verpflichtet, die Leiden seines Volkes, so, wie er sie wahrnahm, zu teilen, um nachher auch berechtigt zu sein, am Wiederaufbau christlichen Lebens in Deutschland teilzunehmen. Carlo Mierendorff soll seinen Freunden, die ihm zur Flucht verhelfen wollten, geantwortet haben: „Was sollen unsere Arbeiter denken, wenn wir sie allein lassen? ... Sie können doch nicht alle an die Riviera ziehen.“

Gleichwohl schulden wir es den Exilanten, ihr Exil als eine Form des Kampfes gegen die Diktatur anzuerkennen. Für viele politische Flüchtlinge bedeutete das Exil eine Fortführung des Kampfes. So entfaltete der spätere Bundeskanzler Willy Brandt, wie allbekannt, von seinem norwegischen und schwedischen Exil aus eine unermüdliche Tätigkeit in Verbindung mit sozialistischen sowie konservativen Widerstandsgruppen im Reichsgebiet. Gedenken wir hier auch eines schlagenden Beispiels von Identität von Widerstand und Exil, nämlich der Sozialistin Hilda Meisel (alias Hilda Monte), die ins Exil ging, um als Untergrundkämpferin zurückzukehren: Sie wurde im Frühjahr 1945 auf dem Rückweg von österreichischem Gebiet in die Schweiz von einer SS-Patrouille erschossen.

Hier aber muss ich mich, wenn auch nur kurz, der engen Zusammenarbeit zwischen Widerstand und Exil zuwenden. Viele der Exilanten machten es sich zur Aufgabe, den Emissären des Widerstandes im Ausland die Wege zu bahnen. So bemühte sich der sonst so zurückhaltende Ex-Kanzler Heinrich Brüning wiederholt 1938 und 1939 um ein Treffen zwischen Carl Goerdeler und Winston Churchill, und im November 1939 setzte er sich, wenn auch erfolglos, bei Präsident Delano Roosevelt für den jungen Adam von Trott ein. Ex-Kanzler Joseph Wirth wiederum vermittelte, allerdings auf recht ungeschickte Art, zwischen dem ehemaligen Reichswehrminister Otto Geßler und Vansittarts Geheimdienst. Der frühere Zentrumsführer Prälat Ludwig Kaas, seit seiner Emigration im Dienste des Vatikans, stellte um die Jahreswende 1939/ 40 für den Beauftragten des Widerstandes Josef Müller die Verbindung zwischen dem Papst und dem englischen Botschafter beim Vatikan, Francis d'Arcy Osborne, her, die, wie wir sehen werden, den Widerstand einem Einvernehmen mit den Briten nahe brachte. Ein besonders rührendes Beispiel des Einstehens des Exils für den Widerstand lieferte der Staatsrechtler Gerhard Leibholz, Bonhoeffers Schwager, der mit seiner Familie nach England emigrieren musste. Aufgrund einer Einführung durch Bonhoeffer kam er so mit dem Bischof George Bell von Chichester in Verbindung und wurde im Laufe des Krieges einer seiner Berater für deutsche Angelegenheiten. Der Briefwechsel zwischen Leibholz und Bell ist eine eindrucksvolle Dokumentation des Einsatzes von Leibholz für Bonhoeffer und seine Freunde. Ohne die Beratung durch Leibholz wäre die starke Fürsprache des dem britischen Außenminister Anthony Eden so unbequemen Bischofs für die Belange des Widerstandes und auch seine uneingeschränkte Verurteilung des „Vansittartismus“ und der Unconditional Surrender-Politik, undenkbar. Des Weiteren nahmen sich in der Türkei zwei deutsche emigrierte Wissenschaftler, nun im Dienste Atatürks stehend, Helmuth von Moltkes an. Sie waren dafür verantwortlich, dass zumindest Moltke einsah, dass es unratsam für den Widerstand sei, auf Ablehnung von Unconditional Surrender zu bestehen. Diese Beispiele sollten hier nur stellvertretend für viele andere erwähnt werden, die auch im Exil, wie Otto Wels sich wiederholt von der Fremde aus ausdrückte, „mit dem Gesicht nach Deutschland“ lebten. Doch war es gerade die überwiegend patriotische Einstellung des politischen Exils, die unter den Alliierten Misstrauen erweckte und es als wirksamen Fürsprecher des Widerstandes disqualifizierte. Im Übrigen wurden jegliche Bestrebungen seitens des deutschen Exils, eine Exilregierung zu bilden, in London und Washington unterbunden.

Letzten Endes aber trafen alle Anstrengungen des Widerstandes, ob nun direkt oder mit Hilfe des Exils, sich an das Ausland zu wenden, auf unvermeidliche Schwierigkeiten. Ist es nicht auch verständlich, dass die Schritte der deutschen Dissidenten im offiziellen London zunächst einmal grundsätzlich auf Misstrauen stießen, gingen sie doch von Männern aus, die noch im Amt waren? In vielen Fällen waren sie tatsächlich beides, da der Geheimdienst der Wehrmacht, das Amt Ausland/ Abwehr, selbst tief in die Verschwörung verstrickt war und die Auslandsreisen von Leuten wie Moltke und Bonhoeffer deckte. So glaubte die „offizielle“ britische Diplomatie, besonders als nach dem sogenannten „Sitzkrieg“ der Krieg unnachgiebig seinen Lauf nahm, sich über die Annäherungsversuche des Widerstandes hinwegsetzen zu müssen. Die von Winston Churchill im Januar 1941 verordnete Politik der absolute silence gegenüber jeglichen Friedensfühlern, der Kriegseintritt der Vereinigten Staaten im Dezember 1941, die Schweißung der „Grand Alliance“ mit Russland und endlich die Proklamation der Unconditional Surrender-Formel in Casablanca im Jahr 1943 jagten dann den Krieg seinem bitteren Ende zu und ließen die deutschen Abgesandten mit ihrem fragwürdigen Mandat und ihren oft schlecht konditionierten Plänen im Abseits liegen.

Aus all dem schon Gesagten ergibt sich nun, wie mir scheint, dass es wenig Sinn hat, Widerstandsforschung, insbesondere im Gebiet der Außenbeziehungen des deutschen Widerstandes, von der Rathausperspektive aus zu betreiben. Die Frage nach der schuldigen Partei in dem Scheitern aller Bemühungen der Widerstandsemissäre sowie auch – bis Frühjahr 1940 – des britischen Außenamtes um ein gegenseitiges Verständnis, muss doch hinter die grundlegende historische Fragestellung zurücktreten, welche Ziele beiden Seiten im Bereich des Möglichen erschienen, und warum sie letzten Endes nicht miteinander abgestimmt werden konnten.

Die Frage der außenpolitischen Zielsetzung des deutschen Widerstandes führt uns wieder dem Problem seines zweifelhaften Mandats nach innen zurück. So war die Absicht Goerdelers, Hassells, Trotts und sogar Bonhoeffers auf eine wenigstens vorübergehende Ablösung des Dritten Reiches durch ein autoritäres Regime sowie ihr Bestehen in Fragen der Grenzziehung auf den nationalen Belangen des Reiches hauptsächlich durch die Überlegung bedingt, die für den Erfolg eines Staatsstreiches so wichtigen aber immer zögernden Generäle für die Verschwörung verpflichten zu müssen. Auch sollte der Historiker nicht darüber erstaunt sein, dass die deutsche Opposition sich gegen die Politik des Unconditional Surrender wehrte und auf eine Formulierung der Kriegs- und Friedensziele drängte. Hätte der Widerstand dem deutschen Volk und besonders den Generälen nichts als Niederlage und Demütigung zu bieten gehabt, dann hätte er von Anfang an auf deren Unterstützung verzichten müssen. Auch war es vonseiten der Kritiker des Unconditional Surrender nicht zu weit hergeholt, die Interessengemeinschaft zwischen der deutschen Opposition und den Westmächten zu betonen. Es kann nicht von der Hand gewiesen werden, dass der Widerstand eine nicht völlig unrealistische Alternative zum Unconditional Surrender zu bieten hatte. In Widerstandskreisen hoffte man, dass eine solche Alternative es ihnen wiederum ermöglichen würde, auf entschlossenere Unterstützung der Generalität, wenn nicht überhaupt der deutschen Bevölkerung, zu rechnen; sie hätte den Krieg verkürzt und, wie Churchill selbst zugestand, Hunderttausende von Leben auf den Schlachtfeldern gerettet. Auf weitere Sicht hin hätte sie die russische Beherrschung Mittel- und Osteuropas verhindern können. Diese Aktiva der Widerstandspolitik müssten natürlich gegen die Gefahr abgewogen werden, dass ohne „bedingungslose Kapitulation“ ein Reich, das wie 1918/ 19 nicht auf die Knie gezwungen würde, leicht einer erneuten Dolchstoßlegende hätte verfallen können – dies befürchtete besonders Präsident Roosevelt – und dass außerdem die Gefahr eines Zerfalls des Bündnisses mit Russland heraufbeschworen worden wäre.

Auf alliierter Seite wogen verständlicherweise alte Angstvorstellungen vor wilhelminischer Expansionspolitik schwer. So kam Vansittart letztendlich zu dem Schluss, sein einstiger Schützling Goerdeler sei doch nur ein „Schrittmacher für deutsche militärische Expansion“ und als solcher gar nicht von den Nazis unterscheidbar. Ganz entscheidend aber waren Bündniserwägungen. Wohl verstand es die Regierung Neville Chamberlains, geschickt zu lavieren zwischen einerseits den kompromisslosen Forderungen ihres Bündnispartners Frankreich nach Festlegung auf gemeinsame Kriegsziele und „substanzielle Garantien“ gegen ein Wiederaufleben eines deutschen Imperialismus und andererseits der Hoffnung, eine Unterscheidung zwischen einem „guten“ und „bösen“ Deutschland aufrechterhalten zu können, um so mit dem ersteren doch noch zu einem Settlement zu kommen. Dann aber kam mit Churchills Gebot der absolute silence eine deutliche Absage an jegliche offizielle Kontakte mit der anderen Seite sowie die britische Entschlossenheit, den Krieg militärisch zur Entscheidung zu bringen. Auch wurde seit dem deutschen Angriff auf die Sowjetunion im Juni 1941 und dem Eintritt der Vereinigten Staaten in den Krieg im Dezember 1941 die Rücksichtnahme auf das Bündnis mit Russland und dem gemäß die Verhütung einer möglichen Spaltung dieses Bündnisses durch irgendwelche Sonderverhandlungen ein Hauptanliegen der Grand Alliance.

So haben wir also allen Grund, uns vor der Versuchung zu hüten, allzu schnellfertig die Schuld für das Scheitern der Widerstandsdiplomatie dieser oder jener Seite zuzuschreiben. Ganz abgesehen von der Einzigartigkeit der deutschen Schritte im Ausland und der Fragwürdigkeit sowohl der Akkreditierung der deutschen oppositionellen Abgesandten als auch der Glaubwürdigkeit der vielen Botschaften, die London und Washington erreichten, müssen wir uns vor Augen halten, dass es sich hier weniger um eine Schuldfrage als um Interessengegensätze handelt. Der beste Wille zur Zusammenarbeit, der sicher seitens des Widerstandes und auch auf britischer Seite bestimmt anfangs bestand, musste immer wieder auf die harten britischen Realitäten stoßen, die schwer zu überprüfen waren. Das „nationale Interesse“, wie Anthony Eden es auch dem Bischof Bell von Chichester darlegte, erlaubte es Großbritannien nicht, auch mit Oppositionellen auf der anderen Seite Verbindung zu pflegen. Auch Willem A. Visser't Hooft, wie Bischof Bell einer der großen Fürsprecher des deutschen Widerstandes im Ausland, musste zugeben, dass es „sehr schwierig“ für eine Regierung sei, mit einer Gruppe in einem Feindesland zu verhandeln, über deren politisches oder militärisches Gewicht man sich im Unklaren sei; dennoch fügte er hinzu, dass ein wenig mehr „politische Einbildungskraft“ auch dieses Problem hätte lösen können. Aber ganz im Gegensatz zu den deutschen Widerstandskreisen fehlte in Großbritannien nach dem Ausbruch der Feindseligkeiten im Frühjahr 1940 sowie in den Vereinigten Staaten überhaupt der Wille dazu.

Sicher muss die vom Widerstand so begehrte „Verbindung zu der großen Welt“ erst einmal am Maßstab der Machtpolitik beurteilt werden. Doch auch in dieser Hinsicht ist zu bemerken, dass die oppositionellen Fühler in England bis in die Zeit des Sitzkrieges hinein keineswegs in einem Vakuum lanciert wurden. Namentlich die Initiativen vor der deutschen Westoffensive erreichten die „andere Seite“ und wurden dort auch eingehend erwogen, wenn sie auch letzten Endes zu nichts führten. Die Signale, die von den sogenannten moderates aus Berlin kamen, ob nun von Staatssekretär Ernst von Weizsäcker und seinen Schützlingen im Auswärtigen Amt oder von Trott und Goerdeler oder von den vielen Einzelgängern wie Ewald von Kleist-Schmenzin, dem Grafen Gerhard von Schwerin und Fabian von Schlabrendorff, waren alle darauf gerichtet, den Briten Standhaftigkeit in ihrer Haltung gegenüber der Expansionspolitik des Dritten Reiches nahe zu legen. Die Identifizierung der Deutschen mit den Belangen der Engländer ging so weit, dass Goerdeler sich daran erinnern musste, dass es doch nicht seine Aufgabe sei, „für das Britische Empire zu disponieren“. Wiederum warnte selbst Vansittart, der bestimmt kein Deutschenfreund war, den Secretary of State noch nach Hitlers Besetzung der Rest-Tschechei, dass es „ziemlich verheerend“ wäre, die deutschen moderates zu verlieren, und das Foreign Office fand sich auf lange Zeit bereit, auf Vorschläge deutscherseits einzugehen, die auf eine Revision des Versailler Vertrages oder auf ethnische Grenzen hinzielten. Schließlich wurde auch Weizsäckers Rat im Juni 1939 an das Foreign Office, Großbritannien solle den Nazis gegenüber un silence menaçant einhalten, deutlich in London verstanden.

Es gab auch Pannen, wie zum Beispiel den bekannten Venlo-Zwischenfall an der deutsch-holländischen Grenze am 9. November 1939, als zwei britische Geheimdienstoffiziere in Erwartung eines Treffens mit Abgesandten des deutschen Widerstandes sich an die deutsch-holländische Grenze begaben, dort aber von einem SS-Kommando nach Deutschland verschleppt wurden. Das beiderseitige Misstrauen wurde dadurch noch größer, und dennoch erbrachten die von Generaloberst Ludwig Beck über die Abwehr in die Wege geleiteten Vatikan-Sondierungen, die sich von Oktober 1939 bis April des folgenden Jahres hinzogen, ein ganz erstaunliches Einvernehmen zwischen deutscher und englischer Seite. Doch versagte ihm dann die Generalität, insbesondere der Oberbefehlshaber des Heeres, Generaloberst Walther von Brauchitsch, die nötige Unterstützung. Der bevorstehende Norwegenfeldzug brachte die Führung des Heeres wieder in den Bann Hitlers, und dementsprechend wurde auch der Widerstand jeglicher Möglichkeit eines Mandats nach innen beraubt. Josef Müller, der die Verhandlungen für den Widerstand geführt hatte, wurde dann noch einmal Ende April von General Beck nach Rom geschickt, um dem Papst und, durch Vermittlung des Papstes, auch den englischen Gesprächspartnern sein Bedauern über das Scheitern der Vatikanverhandlungen auszudrücken. Die Absicht Becks war es, die Legitimität des Widerstandes nach außen hin sicherzustellen und so, wie auch Müller bezeugte, „den Weg nach Westen für die Zukunft offen zu halten“.

Wenn auch die Außenpolitik des deutschen Widerstandes, soweit wir sie verfolgt haben, bestimmt nur am Rande der großen Politik geführt wurde, so nahm sie doch, wie wir gesehen haben, ihren Platz im verwickelten Koordinatensystem der europäischen Diplomatie sowohl der Vorkriegszeit wie auch der Periode des Sitzkrieges ein. Danach aber, besonders seit den Geboten der Absolute Silence und des Unconditional Surrender, verringerten sich die Chancen der Widerständler, den Kriegslauf zu ihren Gunsten zu beeinflussen, auf ein Minimum, und man kann nicht umhin, auf die tiefe Ironie hinzuweisen, dass die Politik der Festigkeit und der silence zuerst von den Deutschen den Engländern aufgedrängt, dann aber von den Alliierten gegen die Deutschen gewandt wurde.

Die objektiven Schwierigkeiten, die dem Gelingen des Zwiegesprächs zwischen den deutschen Oppositionellen und Großbritannien entgegenstanden, waren also überwältigend, und es war wohl, trotz aller Bemühungen besonders von der deutschen Seite, vorauszusehen, dass sie früher oder später im Sande verlaufen mussten; sie konnten ganz einfach nicht gegen das Gewicht der politischen Realitäten aufkommen. Sowie auch auf der einen Seite der wildgewordene Vansittart – seit 1941 Lord – das seinige dazu tat, die Verbindung endgültig zu unterbrechen, so haben auf der anderen Seite auch die Deutschen ihren Teil dazu beigetragen. So hatte der siegreiche Frankreichfeldzug in Widerstandskreisen, bei aller Niedergeschlagenheit, die Wirkung, einen gewissen Nationalstolz wieder aufkommen zu lassen. Staatssekretär von Weizsäcker, von dessen jungen Protegés doch so viele Fühler ins Ausland gegangen waren, verstieg sich sogar, wenn wir dem Botschafter von Hassell Glauben schenken können, zu der Bemerkung, „man müsse sich damit trösten, dass große Wandlungen in der Geschichte sehr oft unter Verbrechen herbeigeführt würden“. Die Friedenspläne, die zu jener Zeit vom Widerstand ausgingen, glaubten die gewonnene Machtstellung des Reiches berücksichtigen zu können und stießen, soweit sie in britischen Dienststellen ankamen, dem gemäß auf Ablehnung.

Ganz eindeutig allerdings drückte sich Helmuth von Moltke um diese Zeit aus: „Wer aber jeden Tag weiß, was gut ist und was böse und daran nicht irre wird, wie groß auch der Triumph des Bösen zu sein scheint, der hat den ersten Stein zur Überwindung des Bösen gelegt“.

Die deutsche Invasion Russlands im Juni 1941 stellte den Widerstand vor neue Aufgaben. Insoweit das außenpolitische Denken des Widerstandes sich ganz auf die zukünftige Friedensordnung richtete, wurde somit die Frage nach der geopolitischen Orientierung eines Nachkriegs-Deutschlands akut. Das Reich, darüber war man sich in allen Widerstandskreisen einig, sollte erhalten bleiben, und es herrschte ähnlich darüber Übereinstimmung, dass ein „erhalten bleibendes Deutschland“ dem Interesse sowohl des Ostens als auch des Westens entgegenkomme. Auch Adam von Trott, der im frühen Sommer 1944 ein „nun leider verlorenes“ Memorandum über „Deutschland zwischen Ost und West“ vorbereitet hatte, argumentierte, dass Deutschland nicht in der Lage sei, sich ausdrücklich für ein Zusammengehen mit Russland oder ausschließlich für ein Zusammengehen mit den Westmächten zu entscheiden; man müsse mit beiden Seiten in ein „erträgliches Verhältnis“ kommen.

Sicher gab es in den Reihen des Widerstandes in der Frage der Aufgaben des Reiches in seiner europäischen Mittellage unterschiedliche Akzentsetzungen. So waren die sogenannten „Honoratioren“ um Beck und Goerdeler eher in den machtpolitischen Gedankengängen Bismarcks verfangen und wiesen die Möglichkeit eines „Mühlespielens“ zwischen „entweder“ Russland „oder“ den Angloamerikanern, wie Hassell sich ausdrückte, nicht von sich, während die jüngeren Kreisauer auf eine europäische Förderation hinsteuerten.

Aber die Unterscheidung in den „Kaltenbrunner-Berichten“ zwischen drei gleichgewichtigen Gruppen, die sich innerhalb des Widerstandes in Fragen der Außenpolitik herausgebildet hätten – eine „Ostlösung“, eine „vermittelnde Lösung“ und eine „ausgesprochene Westlösung“ – ist irreführend. Wohl strebte die kommunistisch ausgerichtete „Rote Kapelle“-Gruppe einen Sonderfrieden mit Russland an, und der letzte Botschafter in Russland, Graf Friedrich Werner von der Schulenburg, glaubte aufgrund seines besonderen Vertrauensverhältnisses zu Marschall Stalin eine Verbindung mit der Sowjetunion wiederherstellen zu müssen, um so die Rote Armee vor den Toren Europas aufzuhalten. Doch war ohne Zweifel der überwiegende Teil des Widerstandes nach dem Westen ausgerichtet; bei allem „Mühlespiel“ zog Hassell bestimmt den Westen vor und nahm nur „zur Not“ die Verständigung mit Russland in Kauf, und alle Bemühungen Goerdelers und Trotts waren von Anfang bis Ende darauf ausgerichtet, vom Westen Garantien zu erhalten, um so den Erfolg der Verschwörung zu ermöglichen. Unter den Verschwörern herrschte allgemeine Übereinstimmung, unter allen Umständen einer Besetzung des Reiches durch russische Armeen zuvorzukommen, und als Stalin seit Anfang 1942 in Ungeduld über die Frage der Eröffnung einer Zweiten Front sich direkt über den Kopf Hitlers hinweg an das deutsche Volk wandte und im Sommer 1943 zur Gründung erst des Nationalkomitees „Freies Deutschland“ und dann des Bundes Deutscher Offiziere in schwarz-weiß-roter Aufmachung schritt, rührte sich der deutsche Widerstand nicht. Die deutschen Verschwörer stimmten im Großen und Ganzen mit dem Obersten Graf Claus von Stauffenberg überein, dass von „Proklamationen hinter Stacheldraht“ nicht viel zu halten sei.

So entbehrt es nicht der Ironie, dass gerade die grundlegende Westorientierung der Verschwörer ihnen in London und Washington verstärktes Misstrauen einbrachte. Großbritannien, seit Mai 1942 durch einen Bündnisvertrag an Russland gebunden, und nicht weniger die Vereinigten Staaten, waren höchst empfindlich gegen das sogenannte „communist bogy“, war doch die Heraufbeschwörung dieses Schreckgespenstes eine der Karten, die auch die Diplomatie Ribbentrops immer wieder ausspielte. So wurden alle Warnungen auch von Seiten des Widerstandes oder des politischen Exils gegen die bolschewistische Gefahr als Versuche zur Spaltung der Grand Alliance angesehen.

Das Bewusstsein der deutschen Mittelstellung zwischen Ost und West und der Gefahr einer Besetzung des Reiches steigerte sich natürlich in den letzten Phasen des Krieges, und dem gemäß sind die letzten Planungen und Schritte der Verschwörer weniger kühlen politischen Erwägungen als verzweifelten Fieberträumen zuzuschreiben. Ob nun Schulenburg wirklich mit der Möglichkeit rechnete, sich durch die deutschen Linien der Ostfront „durchschleusen“ zu lassen, um mit Stalin ins Gespräch zu kommen; ob Trott, tief enttäuscht über die negative Einstellung der westlichen Mächte, ernstlich eine Ostlösung in Betracht zog; ob Stauffenberg wirklich erhoffte, mit den Generälen Eisenhower oder Marshall eine Verhandlung „von Heerführer zu Heerführer“ zustande bringen zu können, bleibe dahingestellt. Die harte Tatsache war nun aber, dass der Widerstand alle seine Karten ausgespielt hatte und nun darauf angewiesen war, kurz vor Torschluss den Staatsstreich ohne Sicherung nach außen durchzuführen.

Es wäre jedoch verfehlt, die Bemühungen des Widerstandes um das Ausland ausschließlich am realpolitischen Maßstab zu messen. Dass es ihm im Kampf gegen den Nationalsozialismus um Freiheits- und Menschenrechte ging, ist gleichwohl unbestreitbar. Und wenn er von seinem belagerten Posten aus Brücken nach außen zu schlagen bemüht war, so tat er dies grundsätzlich im Namen der „ewigen ethischen Gesetze“. Die Suche nach der „Verbindung zu der großen Welt“ hatte, wie schon angedeutet, von Anfang an Dimensionen, die weit über den politischen Bereich hinausgingen. Man könnte argumentieren, dass der Widerstand überschätzt hat, was im Bereich des Möglichen lag, und seine politischen Ansprüche dem Ausland gegenüber hätte herunterschrauben müssen, um dort anzukommen. Aber er konnte nicht dem Dilemma entgehen, sich nach innen und nach außen immer wieder legitimieren zu müssen. Auf realpolitischer Ebene war es schier unmöglich, diese zwei Gesichtspunkte miteinander abzustimmen, und so war eine auswärtige Sicherung der Verschwörung kaum zu erwarten; sie blieb denn auch ohne nennenswerten Erfolg. Übrigens konnten auch die nichtdeutschen Widerstandsbewegungen, vor allem im Westen, bei aller alliierten Hilfe wenig konkrete Erfolge buchen; ihre Wirkung war praktisch minimal. Das war aber nicht das Entscheidende. Es kam darauf an, dass der europäische Widerstand die Ehre der jeweiligen erdrückten Nationen wahrte und ihre Hoffnung aufrecht erhielt. So war letzten Endes aller Widerstand ein symbolischer Akt.

Nun spielte die symbolische Erwägung im deutschen Fall eine besonders wichtige Rolle, weil es galt, im Ausland eine Mauer des Misstrauens zu durchbrechen, je mehr die anfängliche Unterscheidung, zumal in England, zwischen dem „guten“ und „bösen“ Deutschland im Laufe des Krieges verblasste und außerhalb Deutschlands die allgemeine Annahme sich durchsetzte, dass alle Deutschen hinter ihrem Regime standen. Die Gefängnisgitter, hinter denen die deutschen Widerständler saßen, waren zum Teil auch von den Alliierten geschmiedet.

So mussten besondere Wege gefunden werden, im Ausland Gehör zu finden: das heißt Ausland nicht qua Ausland, sondern qua Weltgewissen. Wenn Helmuth von Moltke inmitten des Krieges immer die London „Times“ und die Parlamentary Debates studierte, so geschah es, um aus dem Zuchthausdasein der Sprachregelungen und Missinformationen auszubrechen oder ganz einfach, wie man es englisch sagt, „for sanity sake“.

Auf zwei weitere, sehr wichtige Dimensionen der Außenbeziehungen des Widerstandes soll noch hingewiesen werden. Unerachtet aller realer Hindernisse zu einem Zwiegespräch zwischen den deutschen Oppositionellen und den Alliierten spannen sich besonders in den letzten Jahren des Krieges auch ökumenische Verbindungen an; nach Genf, wo der Generalsekretär des provisorischen ökumenischen Rates der Kirchen, Visser't Hooft, nach Schweden, wo im Nordischen Ökumenischen Institut der rührige Dr. Harry Johansson sich um den Widerstand bemühten, und endlich nach England, wo der tapfere, wenn auch unbequeme Bischof Bell unentwegt dafür plädierte, dem deutschen Widerstand Gehör zu schenken.

Schon Anfang 1940 war Visser't Hooft darum bemüht, die Stellung der Kirchen zum Kriege zu definieren. Obgleich von den Kirchen in den verschiedenen Ländern nichts anderes erwartet werden konnte, als dass sie sich loyal hinter ihre weltlichen Obrigkeiten stellten, war grundsätzlich der Krieg nicht der ihre. Sie führten, wie Visser't Hooft formulierte, einen „Krieg hinter dem Krieg“, dem gemäß sie letztlich für eine christliche Weltordnung einstehen würden, auf die sie Freund und Feind zugleich verpflichten könnten. Auch im Nazideutschland gäbe es Tausende von Christen, die darum bereit seien, sich der antichristlichen Ideologie des Nationalsozialismus entgegenzustellen. Diese Einstellung eröffnete also Männern wie Trott, Bonhoeffer und Moltke die Türen. So kam es zu wiederholten ökumenischen Begegnungen in der Schweiz und in Schweden. Wenn auch Visser't Hooft und Johansson immer bereit waren, die Vermittlung zwischen den deutschen Emissären und ihren britischen Freunden zu übernehmen, um so doch noch – besonders über Bischof Bell, Sir Staffort Cripps und Lionel Curtis – auf die Kriegs- und Friedenszielformulierung Einfluss auszuüben, so trat dieses Motiv doch immer mehr hinter dem, wie Bischof Bell es nannte, „moralischen“ Motiv zurück. Trott gab diesem Gedankengang in seinem ein wenig umständlichen Englisch Ausdruck, als er nach seinem Besuch in Schweden im September 1942 in einem Dankesbrief an Johansson schrieb:

„Ich habe den Eindruck, daß Sie gut verstanden haben, daß wir nicht beabsichtigen, um Hilfe oder auch nur Ermutigung von unseren Freunden auf der anderen Seite zu flehen – aber daß wir die Notwendigkeit einer Bewegung gleichgesinnter und repräsentativer Menschen im ganzen christlichen Europa bezeugen wollen, die die Rettung ermöglichen könnte.“

Vor der Welt für das „andere Deutschland“ Zeugnis abzulegen, wurde sein und seiner Freunde Hauptanliegen.

In der zweiten Hälfte des Krieges nahm der Widerstand auch mit den Widerstandsbewegungen in den besetzten Gebieten, besonders in Norwegen und Holland, Verbindungen auf, bei denen auch die Ökumene eine wichtige Rolle spielte. Moltke spielte in einem seiner Briefe an seine Frau Freya auf diese Verbindung an, als er von der „Übersetzung auf das europäische Niveau“ schrieb. Hier war also ein Fall reinster Widerstands-Außenpolitik, nämlich ein Zusammentreffen von Widerstandsgruppen verschiedener Nationalitäten, die auf die Überwindung nationalstaatlichen Denkens und die Errichtung eines europäischen Föderalismus hinsteuerten. Was also Foreign Office und State Department dem deutschen Widerstand verweigerten, waren nun die europäischen Widerstandsbewegungen bereit, ihm zu erweisen: Vertrauen und Anerkennung.

Es soll hier auch betont werden, dass die Ablehnung der deutschen Initiativen von Seiten der Westmächte nur zum Teil auf Misstrauen gegenüber dem außergewöhnlichen Vorgehen der deutschen Emissionäre zurückging, auf Argwohn gegen ein Wiederaufleben deutscher hegemonialer Ansprüche oder auf die alliierten Verpflichtungen gegenüber Russland, die Sonderverhandlungen mit der anderen Seite ausschlossen. Sie war nicht weniger ein Symptom einer wachsenden Spannung zwischen den alliierten Regierungen und den europäischen Widerstandsbewegungen. Walter Lipgens hat betont, dass am Anfang des Krieges die Nachkriegsplanung Großbritanniens und der Vereinigten Staaten auf eine europäische Föderation in der einen oder anderen Form hinauslief und so im Einklang mit den Plänen des europäischen Widerstandes stand, dass diese Politik aber auf Druck der Vereinigten Staaten in der zweiten Hälfte 1943 aufgegeben wurde, um den sowjetischen Forderungen auf territoriale Konzessionen entgegenzukommen, denen dann auch im November 1943 in Teheran entsprochen wurde. So wurde im Denken der alliierten Regierungen die europäische Neuordnung von einem Annexionsdenken verdrängt, das vor allem den Interessen der außereuropäischen Supermächte diente. Der europäische Widerstand jedoch blieb der Zukunft Europas verpflichtet, und in dieser Beziehung waren sich der deutsche und außerdeutsche Widerstand einig.

Im Gegensatz zu den großen Weltmächten bestanden die europäischen, besonders die nichtkommunistischen Widerstandsbewegungen im Großen und Ganzen darauf, das deutsche Volk, zumal den Widerstand, nicht mit den Nationalsozialisten gleichzusetzen und ihm so in einer Neuordnung Europas einen ehrenvollen Platz einzuräumen. „Es ist besser“, so konnte man in einer holländischen Untergrundpublikation lesen, „für unser Ideal eines erneuerten Europas zu kämpfen als in die Klauen der großen Raubtiere zu geraten in der Hoffnung, ein Stück ihrer Beute zu ergattern.“ So waren letzten Endes auch die europäischen Widerstandsbewegungen in Visser't Hoofts „Krieg hinter dem Krieg“ verwickelt.

Die Botschaft des deutschen Widerstandes kam also, wenn nicht in London und Washington, so doch bei der Ökumene und den anderen Widerstandsbewegungen an. Anthony Eden, in der Sache des Widerstandes von Sir Stafford Cripps und Bischof Bell angesprochen, glaubte, überzeugende Argumente anführen zu können, die ihn in seiner ablehnenden Stellungnahme bestärkten. Warum hatte Trott als Gegner des Nazi-Regimes nicht die Konsequenz gezogen und den öffentlichen Dienst verlassen? Warum hatte die deutsche Opposition keine aktiven Schritte unternommen – er schrieb dies im August 1942 – um das Terrorregime zu stürzen? Entscheidend für ihn war aber, dass er den Verkehr mit den Deutschen als nicht mit dem „nationalen Interesse“ vereinbar ansah, – und aus den oben angeführten Gründen traf das wohl auch zu.

Die von Visser't Hooft angesprochene „politische Einbildungskraft“ hat Eden allerdings nicht walten lassen; so weit ging sein Horizont nicht. Es war auch bestimmt nicht seine Aufgabe, sich auf ein so gewagtes Spiel einzulassen; und wenn er es auch einmal mit aller Vorsicht versuchen wollte, wurde er gleich vom Premierminister zurechtgewiesen. So verliefen jegliche Verhandlungen im Sand; Memoranden wurden in London und Washington zur Seite geschoben, und die gelegentlich auch in England von offizieller Seite sowohl als auch von Exilkreisen lancierte Version des deutschen Widerstandes als eines Bündnispartners der demokratischen Mächte kam zu nichts.

Die Aufgabe, einen politischen Dialog zu eröffnen und die Gegensätze zu reduzieren, wäre im Sinne Moltkes zu lösen gewesen, der den Briten eine „feste Verbindung“ mit dem Widerstand vorschlug, wobei er für diese Rolle seinen Jugendfreund Michael Halfour im Sinn hatte. Aber ihm wurde keinerlei Folge geleistet. Der in Bern stationierte amerikanische Geheimdienstleiter Allan W. Dulles, der eine Beziehung zum deutschen Widerstand herstellte und sogar geneigt war, ihm entgegenzukommen, stand unter strikter Weisung von Washington, sich jeglicher politischen Stellungnahme zu enthalten. Er hatte bestimmt keinerlei Befugnisse, von der offiziellen Linie Washingtons abzuweichen. Seine von den Verschwörern – namentlich Hans Bernd Gisevius, Eduard Waetjen und Adam von Trott – inspirierten Vorlagen, die von seinem Vorgesetzten in Washington, dem USS-Direktor William J. Donovan, dem Präsidenten wiederholt vorgesetzt wurden, blieben jedoch unbeachtet. All dies muss auch im Zusammenhang damit berücksichtigt werden, dass sogar von Seiten der britischen Generalstabsleitung und dem alliierten Oberkommando genau wie von den Geheimdiensten Druck auf 10 Downing Street und das White House ausgeübt wurde, die Unconditional Surrender Politik zu modifizieren. Aber nichts Derartiges geschah. Nicht genug sei über die öffentliche Meinung im Reich bekannt, so argumentierte der amerikanische Präsident, um sich auf solch ein unsichtbares Unterfangen (er gebrauchte die Redewendung „fishing expedition“) einzulassen. – Der „Krieg hinter dem Krieg“ wurde von den machtpolitischen und strategischen Interessen der Großmächte übertönt.

So muss es eben dabei bleiben, dass die Bemühungen des Widerstandes, sich nach außen wie nach innen zu sichern, zum Scheitern verurteilt waren. Dennoch kann ihm das Mandat im Sinne eines höheren Rechtes nicht abgesprochen werden. Die Fragwürdigkeit des Mandats wurde letzten Endes durch die Bereitschaft der Verschwörer zur letzten Konsequenz aufgehoben. Nach außen hin war es keiner Seite „Schuld“, sondern eine Tragödie, dass die Interessen der Alliierten und die der deutschen Opposition nicht miteinander abgestimmt werden konnten. Insofern die „Verbindung zu der großen Welt“ darauf abzielte, mehr als machtpolitischen Zwecken zu dienen, ist sie in der Tat hergestellt worden und hat auch ihrerseits zur Legitimierung des Widerstandes beigetragen. Sie signalisierte der Außenwelt, dass es auch in dem „großen Zuchthaus“ ein „anderes Deutschland“ gab.

Abschließend möchte ich noch dies hinzufügen: Die Bemühungen des deutschen Widerstands um die „große Welt“ verdienen heutzutage wohl mehr Anerkennung. Die Beharrlichkeit der deutschen Abgesandten, trotz aller Hindernisse sich außerhalb ihres Landes Gehör zu verschaffen, hat sicher als Präzedenzfall gedient für die vielen Dissidenten und Freiheitsbewegungen, die sich in unserer immer wieder von Unterdrückung geplagten Welt im Namen der Menschenrechte an das Gewissen aller freien Menschen wenden, und die in unserem Jahrzehnt endlich auch Gehör finden.







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