Grußwort Feierstunde

Grußbotschaft vom 19.07.2020 an die Angehörigen der Stiftung 20. Juli 1944

Feierstunde der Bundesregierung und der Stiftung 20. Juli 1944 am 20. Juli 2020 um 10:00 Uhr in der Gedenkstätte Plötzensee, Berlin, anlässlich des 76. Jahrestages des 20. Juli 1944


Michael Müller, MdA, Regierender Bürgermeister von Berlin


Anrede


Der 20. Juli ist der Tag, an dem wir gemeinsam an den Widerstand gegen die nationalsozialistische Gewaltherrschaft erinnern. An Männer und Frauen, die unter größten Gefahren und unter Einsatz ihres Lebens versuchten, den verbrecherischen NS-Staat zu stürzen.


Und auch wenn wir ihr Andenken nicht im gewohnten Rahmen ehren können, bin ich dankbar, heute in der Gedenkstätte Plötzensee zu sein. Denn dieser Gedenktag ist ein unverzichtbarer Teil gelebter Demokratie in unserem Land – gerade auch hier in Berlin.


Vor nun 76 Jahren scheiterten die Widerständler um Claus Schenk Graf von Stauffenberg mit dem Attentat auf Adolf Hitler und der „Operation Walküre“. Stauffenberg und mehrere führende Köpfe des Umsturzversuches wurden noch in der Nacht auf den 21. Juli erschossen. Die Verschwörer und ihr Umfeld wurden von den Nazis unerbittlich und auf grausame Art verfolgt: Allein hier in Plötzensee ermordete das NS-Regime in der Folge 89 Menschen, die mit dem Widerstand des 20. Juli 1944 verbunden waren.


Die Nazis taten alles, um die Verschwörer als kleine Gruppe von Verrätern und Ehrgeizlingen zu diffamieren. Diese Propaganda wirkte nach der Befreiung vom Nationalsozialismus weiter. Auch deshalb musste die angemessene Würdigung der Leistungen der Männer und Frauen des 20. Juli erst über viele Jahre hinweg errungen werden. Das Engagement ihrer Angehörigen und Nachkommen war dabei seither von großer Bedeutung.


Eine bleibende Lektion des gescheiterten Umsturzversuches vor 76 Jahren ist, dass Widerstand gegen Unrecht auch unter schwierigsten Bedingungen und auch in der Schaltzentrale des menschenverachtenden NS-Regimes möglich war. Sich der totalitären Herrschaft zu beugen, war nicht die einzige Handlungsmöglichkeit.


Das lehren uns ausdrücklich auch all jene anderen Einzelpersonen und Gruppen, die sich gegen Hitler und das nationalsozialistische Deutschland auflehnten. Ihre Geschichten erfüllen uns mit tiefer Ehrfurcht und dem allergrößten Respekt.


Die Erinnerung muss uns immer wieder aufs Neue bestärken, jeder Leugnung und Relativierung der NS-Verbrechen und jedem Versuch der Abwertung und Ausgrenzung von Menschen entschlossen entgegenzutreten.


Und das auch heute, auch wenn Berlin die Hauptstadt eines freien und demokratischen Deutschlands ist. Denn wir wissen, dass Freiheit und Demokratie nicht selbstverständlich sind. Dass sie nicht nur mühsam errungen werden mussten, sondern auch große Anstrengungen nötig sind, um sie zu bewahren. Das wurde uns in den vergangenen Monaten durch erschütternde Ereignisse wie den Anschlag auf die Synagoge in Halle, den Anschlag in Hanau oder durch den Mord an Walter Lübcke eindringlich vor Augen geführt.


Ja, es gibt sie auch heute in unserem Land: Feinde eines friedlichen Zusammenlebens und unserer offenen Gesellschaft. Menschen, die antisemitischen, rassistischen oder anderen menschenverachtenden Ideologien anhängen, die sich organisieren und aus deren Worten erschreckende Taten werden. Wir müssen diese Gefahren ernstnehmen und uns ihnen gemeinsam und noch entschlossener entgegenstellen. Wir müssen möglichst viele Menschen ermutigen, aktiv für unsere Freiheit und Demokratie einzutreten.


Das Engagement von Zeitzeuginnen und Zeitzeugen sowie von den Angehörigen und Nachkommen derjenigen, die gegen die Nationalsozialisten Widerstand leisteten, bleibt vor diesem Hintergrund von unschätzbarem Wert. Sie lassen uns an ihren Geschichten und an denen ihrer Familien teilhaben. Sie verdeutlichen eindringlich das Ausmaß des Unrechts der Nazi-Herrschaft. Und sie geben seit Jahrzehnten gerade auch jungen Generationen einen persönlichen Zugang zur Auseinandersetzung mit unserer Geschichte. So kann das Gedenken langfristig bewahrt und gestärkt werden – und das ist unverzichtbar für unsere gemeinsame Zukunft in Frieden, Freiheit und Demokratie.


Der 20. Juli fordert uns heute dazu auf, die Erinnerung daran wachzuhalten, wohin menschenverachtende Ideologien führen können. Diese Erinnerung an den Widerstand gegen den Nationalsozialismus und der Einsatz für Freiheit, Demokratie und Menschenrechte gehen Hand in Hand.


Lassen Sie uns gemeinsam beides bewahren und stärken – heute und in Zukunft.

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