"Er selbst ist das ewige Geheimnis des Empfangens"

Gedenkstätte Deutscher Widerstand

Karl Meyer

„Er selbst ist das ewige Geheimnis des Empfangens“

Predigt von Pater Dr. Karl Meyer, OP am 20. Juli 2006 in der Kirche Maria Regina Martyrum, Berlin

Mt. 11, 28: „Kommt alle zu mir, die ihr mühselig und beladen seid, ich will euch erquicken.“ (aus dem Evangelium des Tages)

Ich schaue um mich: Viele Menschen tragen schwere Lasten. Die Welt ist ein Meer voller Not. Viele haben den Boden unter den Füßen verloren. So wie es beim Erdbeben eine unvorstellbare Not ist, den festen Grund zu verlieren, so ist es auch in der geistigen Existenz.

Bei allen äußeren Bedrohungen liegt die eigentliche Not und Unsicherheit doch im menschlichen Herzen. Der Mensch ist an den Rand des Nichts gebaut. Denn er ist aus dem Nichts geschaffen und hat keinen bleibenden Grund in sich.

Nöte und Ängste möchte man beseitigen. Die eigene Standfestigkeit wird dagegen bestärkt, die innere Stärke. Aber reicht es aus? Viel besser ist es, wenn uns einer in den Arm nimmt und tröstet, so wie es unsere Mutter früher getan hat: „Es wird alles wieder gut.“ Mütter haben dieses göttliche Urwissen.

Dieses Urwissen hatte auch Jesus von Nazareth.

Und wir dürfen die befreiende Botschaft verkünden von diesem Menschen, der das Geheimnis des Menschen aufgedeckt hat. Wir können nicht richtig über ihn reden, wenn wir nicht sagen: Er selbst ist das ewige Geheimnis des Empfangens, er ist der ewige Sohn. Und so wohnt Gott mit seiner ganzen Fülle in ihm.

Er hat alle Not und Verlassenheit erfahren, und konnte doch an Gott festhalten. Seine Jünger wollten ihm durch ihr Vertrauen Stütze sein, doch er musste ihnen sagen: „Glaubt ihr jetzt? Die Stunde kommt und sie ist schon da, in der ihr versprengt werdet, jeder in sein Haus, und mich werdet ihr allein lassen. Aber ich bin nicht allein, denn der Vater ist bei mir. (Joh. 16, 31b-32)

Er hat die Treue des ewigen Vaters bis in den Tod bezeugt. So lebt er als wahrer Mensch nun ein für alle Mal aus Gottes lebendiger Fülle.

Deswegen kann er sagen: Kommt alle zu mir, die ihr mühselig und beladen seid. Er ist die bleibende Quelle des Lebens in der Menschheit, er ist der bleibende Halt inmitten der Menschheit bei allen Stürmen. Gott hat uns in IHM seine sichtbare Nähe gegeben.

Da er unser Bruder ist, lädt er uns ein, seinen Weg zum Menschsein zu gehen. Das ist kein Weg der Macht, kein Weg zum Übermenschentum, sondern der Weg der Wahrheit und der demütigen Liebe. Es ist ein einladender und letztlich jeden Menschen überzeugender Weg, aber es ist auch ein Weg, vor dem man zurückschrecken möchte. Aber der Weg lässt sich in herzlicher Verbindung mit Jesus und aus dem Geist, den ER schenkt, gehen.

Viele Beispiele aus der Geschichte führen uns das immer vor Augen. Zu ihnen gehören die Menschen, die uns am Gedenktag des 20. Juli nahe verbunden sind.

In diesem Jahr sind zeitlich ganz nahe beieinander Nina Gräfin Stauffenberg und Barbara von Haeften gestorben, beide so unmittelbar von den Erschießungen im Bendler-Block betroffen. Ich habe in diesen Tagen noch einmal Barbara von Haeftens Bericht „Aus unserem Leben 1944-1950“ gelesen. So treten sie und ihr Mann Hans-Bernhard von Haeften, der am 15. 8. 1944 erhängt wurde, wieder vor mein Auge als eindrucksvolle Zeugen der Wirklichkeit Jesu Christi.

Der Widerstand und Aufstand gegen Hitler ist gewiss ein Ereignis von größter sittlicher und politischer Tragweite, doch das Ertragen der Wut Hitlers und seines verbrecherischen Anhangs, wie wir es bei vielen der Opfer finden, trägt noch viel weiter durch die Weltgeschichte. Sie verkündet überwindende Kraft des Heiligen Geistes.

Durch den Mund dieser Männer deckt der Geist den Hintergrund und das Ziel der Geschichte auf, Themen, um die sich die Kreisauer gemüht haben.

Mit der Gabe der Unterscheidung der Geister und mit Freimut bringt Hans Bernd von Haeften, von Freisler zur Treuepflicht gegenüber dem Führer befragt, die Sache auf den Punkt:

„Diese Treuepflicht habe ich nicht mehr empfunden ... nach der Auffassung, die ich von der weltgeschichtlichen Rolle des Führers habe, nämlich, dass er ein großer Vollstrecker des Bösen ist ....“

Das aus Christi Kraft getröstete Leiden baut Gottes Reich weltweit auf.

Der Gründer von Salem Curt Hahn, ein politischer Freund von Haeftens, lässt sich unter dem Eindruck des 20. Juli taufen. „Es sei ihm klar geworden, dass ihr Christenglaube unseren Männern die Kraft gab, zum Einsatz ihres Lebens und zur „Neuordnung im Widerstand“. (Barbara von Haeften, S. 74f.)

Von mehreren SS-Leuten gibt es das Zeugnis, wie sehr diese Männer beim Sterben Halt im Glauben hatten. Es ist wie das Echo des römischen Hauptmanns, der beim Tode Jesu ausruft: Dieser Mann war wirklich gerecht, war wirklich Gottes Sohn!

Dann haben wir den bewegenden Abschiedsbrief von Hans-Bernhard von Haeften an seine Frau. Es ist ein Zeugnis aus der Ruhe des jenseitigen Ufers, aber noch in der Welt geschrieben.

Da ist zuerst das tiefe Vertrauen in Gott:

„Liebste Frau, ich sterbe in der Gewissheit göttlicher Vergebung, Gnade und ewigen Heils; und in der gläubigen Zuversicht, dass Gott all das Unheil, Schmerz, Kummer, Not und Verlassenheit, das ich über euch gebracht habe und das mir das Herz abpresst, in seinem unermesslichen Erbarmen in Segen wandeln kann, dass Er euch alle an Seinen Vaterhänden auf Euren Erdenwegen geleiten und endlich zu sich ziehen wird.“

Und dann folgt das wunderbare Bekenntnis zu einer gemeinsamen Zukunft:

„Deine Liebe wird die gleiche bleiben, denn ‚sie höret nimmer auf’.

..... Bitte vergib mir allen Mangel an Liebe. Ich habe Dich sehr viel mehr lieb, als ich Dir gezeigt habe. Aber wir haben eine Ewigkeit vor uns, um uns Liebe zu erweisen.“

Und diese Perspektive weitet sich aus:

„Ich bin gewiss – sei du es auch – dass wir beide mit allen unseren Lieben wieder vereinigt werden in Gottes unaussprechlichem Frieden (der vollkommene Ruhe und zugleich seligste Bewegung in göttlichem Dienst ist), in der Anbetung und unmittelbaren Erfahrung göttlicher Liebe, in der wunderbaren Geborgenheit in des Heilands Gnade und Güte, in der erlösten Seligkeit der Gotteskindschaft.“

Diese Einheit sieht er nicht nur in einem fernen Jenseits, sondern auch schon hier und jetzt:

„Auch schon auf Erden gehörst du zum Leibe Christi, dessen Gliedschaft aufs innigste erfahren wird im Sakrament des Altars, in der Gegenwart des Herrn, der alle die Seinigen – sie mögen vor oder hinter der großen Verwandlung stehen – auf wunderbare Weise zusammenschließt.“

Aus dieser Perspektive wächst die Freude – die Freude mitten im Leid:

Da er Sich und die Seinen Gott empfohlen hat, kann er sagen:

„So will ich glaubensfroh sterben. ... So grüße ich euch, meine Liebsten, mit dem alten Grußwort: „Freuet euch – freuet euch in dem Herrn allewege und abermals sage ich: Freuet euch! Und der Friede Gottes bewahre eure Herzen und Sinne in Christo!“

Was für eine Kraft, die den Tod als eine Schwelle in dem großen zusammenhängenden Lebensraum sehen kann. So endet der Brief „mit den tiefsten flehendsten Wünschen für Zeit und Ewigkeit“.

Das alles ist ein Zwiegespräch mit seiner wunderbaren Frau: Sie ist die starke Frau, die seinem Handeln zustimmt als Frucht gemeinsamen Denkens, die ihn beim Abschied darin bestärkt, nicht Selbstmord zu begehen, die ihn erinnert an den Beistand des Heiligen Geistes vor Gericht. Sie selbst macht schwere Zeiten durch, darf aber immer seiner schützenden Nähe gewiss sein.

Was ist für uns zu tun?

Mit Freude und Dankbarkeit dieses große Zeugnis mit dem Herzen vernehmen.

Und dankbar sein dafür, dass es nicht allein steht, sondern dass „wir von einer Wolke von Zeugen umgeben sind“.

Uns einfach mitfreuen, dass diese beiden jetzt eine Ewigkeit haben, um sich Liebe zu erweisen.

An unserer Stelle der Weltgeschichte dem Leben Raum schaffen, dem Leben in Fülle aus Jesus Christus.

Vorsorge treffen, damit in schweren Zeiten die Quellen der Kraft sprudeln können.

Und so können wir uns und die kommenden Generationen in die Reihe der fünf Kinder der Haeftens stellen, über die es heißt:

„Lass die Kinder viel auswendig lernen an Bibeltexten und Liedern, damit sie es einmal in der Not im Herzen tragen. Es kommen Zeiten des Zweifels und der Entfernung, aber das Leben wird die Kinder zu dem festen Grunde zurückbringen, wenn er in der Jugend gelegt ist. Christus est via veritas et vita.“

Dabei auf die lebendige Gemeinschaft mit Jesus Christus und mit seinen Freunden und Freundinnen vertrauen.

In Bombennächten hatte die einfache Hausangestellte in Berlin gebetet: Lieber Herr von Haeften, bitte für uns.

Es gibt viele Notlagen, in denen wir der Fürbitte der Vollendeten gewiss sein dürfen. Denn der Herr, der alles vermag, liebt es, sie an seinem Werk zu beteiligen.

Wenn ein Katholik so Wunderbares von der Gemeinschaft der Heiligen hört, dann sieht er Maria, das von Gott uns gegebene Urbild des tröstenden und schützenden Raums, das Bild der himmlischen Kirche. Haeftens nennen sie nicht, aber Gott holt Hans-Bernhard von Haeften heim am Fest der Aufnahme Mariens in den Himmel: ein unüberhörbarer Zusammenklang.

Gebet zum Schuldbekenntnis:

Herr Jesus Christus, wir kommen aus einer Welt glänzender Oberflächen, aber in uns ist es häufig finster. Du aber kennst die Herzen der Menschen, du weißt, was in uns ist, du liebst unser Herz und gibst unserem Leben Sinn und Licht. Wir rufen zu dir: KYRIE ELEISON

Herr Jesus Christus, noch immer leben wir in einer Welt voll Hass und Zerstörung, Israel, deine erste Liebe findet immer noch keine Ruhe und Sicherheit. Doch du bist der Friedensfürst, der sich in demütiger Liebe durchsetzt in den Herzen der Menschen. Wir rufen zu dir: KYRIE ELEISON

Herr Jesus Christus, dein Vater ist Herr über Leben und Tod, wir erschrecken vor seiner Heiligkeit, vor der nichts bestehen kann, doch du hast dem Tod den Stachel genommen, hast das Ende verwandelt zum Anfang neuen Lebens. Wir vertrauen dir unser Leben an und rufen zu dir: KYRIE ELEISON