Hadere nie mit deinem Schicksal, es ist der Weg Gottes mit deiner Seele

Odilo Braun

Hadere nie mit deinem Schicksal, es ist der Weg Gottes mit deiner Seele

Predigt von Pater Odilo Braun am 20. Juli 1977 in der Gedenkstätte Plötzensee, Berlin

Lesung aus dem Buch Deuteronomium:

„Mose sagte zu ganz Jerusalem: Du sollst auf die Stimme des Herrn, deines Gottes, hören und auf seine Gebote und Gesetze achten. Du sollst mit ganzem Herzen und mit ganzer Seele zum Herrn, deinem Gott, zurückkehren. Das Gebot, das ich dir heute auferlege, geht nicht über deine Kraft und ist nicht fern von dir. Es ist nicht im Himmel, so dass du sagen müsstest: Wer steigt für uns in den Himmel hinauf, holt es herunter und verkündigt es uns, damit wir es halten können? Es ist auch nicht jenseits des Ozeans, so dass du sagen müsstest: der fährt für uns über den Ozean, holt es herüber und verkündigt es uns, damit wir es halten können? Nein, das Wort ist ganz nah bei dir. Es ist auf deinem Mund und in deinem Herzen. Du kannst es halten.“

Lesung aus dem Brief an die Kolosser:

„Christus ist das Ebenbild des unsichtbaren Gottes, der Erstgeborene der ganzen Schöpfung. Denn in ihm wurde alles erschaffen im Himmel und auf Erden, das Sichtbare und das Unsichtbare, Throne und Herrschaften, Mächte und Gewalten: alles ist durch ihn und auf ihn hin geschaffen. Er ist vor aller Schöpfung, alles hat in ihm Bestand. Er ist das Haupt des Leibes, der Leib aber ist die Kirche. Er ist der Ursprung, der Erstgeborene der Toten; so hat er in allem den Vorrang. Denn Gott wollte mit seiner ganzen Fülle in ihm wohnen, um durch ihn alles zu versöhnen und alles auf Erden und im Himmel zu Christus zu führen, der Frieden gestiftet hat durch das Blut seines Kreuzes. „

Evangelium nach Matth. 5, 1-12:

„In jener Zeit, als Jesus die Scharen sah, stieg Er auf einen Berg. Als Er sich gesetzt hatte, traten Seine Jünger zu Ihm. Und Er tat Seinen Mund auf, und lehrte sie:

Selig sind die Armen im Geiste, denn ihrer ist das Himmelreich.

Selig sind die Sanftmütigen, denn sie werden das Land der Verheißung besitzen. Selig, die Trauernden, denn sie werden getröstet werden.

Selig, die hungern und dürsten nach der Gerechtigkeit, denn sie werden gesättigt werden. Selig die Barmherzigen, denn sie werden Barmherzigkeit erlangen.

Selig, die reinen Herzens sind, denn sie werden Gott schauen.

Selig, die Friedfertigen, denn sie werden Kinder Gottes genannt werden.

Selig, die Verfolgung leiden um der Gerechtigkeit willen, denn ihrer ist das Himmelreich. Selig seid ihr, wenn euch die Menschen schmähen und verfolgen und verleumderisch alles Böse gegen euch reden um Meinetwillen: freut euch und frohlocket, denn euer Lohn ist groß im Himmel.“

Meine Freunde,

es gibt ein altes Sprichwort, das lautet: Hadere nie mit deinem Schicksal, es ist der Weg Gottes mit deiner Seele. Aus den Lesungen können wir die Wichtigkeit dieses Sprichwortes deutlich ablesen. Schon im Alten Bund wird den Menschen gesagt, dass Gottes Wort und Gottes Stimme auf Seinem Mund und in Seinem Herzen wären. Sie sind da, man braucht sie nicht erst aus dem Himmel herunter oder über den Ozean herbeizuholen. In ihnen liegt auch für den Menschen die Kraft, Gottes Gebot getreulich zu erfüllen. Paulus führt uns noch tiefer in dieses Geheimnis der Liebe Gottes, das heißt: Seines Weges mit unserer Seele hinein. Er spricht von dem menschgewordenen Gottessohn, der als Erlöser gekommen ist, um uns zu helfen, wenn wir versagt haben, aus unserer Gottesferne herauszukommen. Er macht es sich nicht leicht, um uns zu helfen setzt Er alles, sogar das Leben ein.

Wie war es in der schrecklichen Zeit in unserem Lande! Gottes Wort und Gebot waren von der Tagesordnung abgesetzt, Christus und der Glaube an ihn wurden lächerlich gemacht, an seine Stelle ein Mythos des 20.Jahrhunderts gesetzt. Kein Wunder, dass die Würde des Menschen, der doch Ebenbild Gottes sein sollte, verloren ging, dass, wie man Gott verachtete, auch den Menschen keine Ehrfurcht mehr zu schulden glaubte. Lüge, Unrecht, Gewalttat, Schändung und erbarmungsloses Morden waren an der Tagesordnung.

Das war die Stunde, in der die Männer und Frauen, derer wir heute gedenken, sich verpflichtet fühlten aufzustehen. Gottes Stimme und Wort war trotz allem in ihnen lebendig geblieben. Sie haben dann auch gezeigt, dass ihr Erlöserglaube stark war, so stark, dass sie alle Qual und Pein wie selbstverständlich auf sich nahmen. Wir wissen es aus ihren Aufzeichnungen, die später in unseren Besitz gelangten. Ich selbst habe es erfahren dürfen, wenn es mir gelungen war, Mithäftlingen die heiligen Sakramente zu spenden.

Welcher Dank und welcher Jubel war in ihnen, weil sie dem Herrn in Seiner Erniedrigung so nahe sein durften. Nie vergessen werden darf der Satz aus dem Abschiedsbrief, den Nikolaus Groß an seine Frau und an seine sieben Kinder geschrieben hat: „Wenn ich heute noch einmal vor die Frage gestellt würde, ob ich das wieder tun würde, weshalb man mich zum Tode verurteilt hat, dann würde ich, auch mit dem Wissen, dass der Tod am Galgen auf mich wartet, genau so entscheiden. Denn ich tat es für Gott und um der Menschen willen.“ Selig, die Verfolgung leiden um der Gerechtigkeit willen, denn ihrer ist das Himmelreich.

Wir singen in der Kirche ein altes Lied: „Gelobt sei Jesus Christus in alle Ewigkeit, der für uns Mensch geworden aus lauter Gültigkeit und dreiunddreißig Jahr' im Fleisch gehorsam war. Gelobt sei Jesus Christus in alle Ewigkeit.“

Immer wieder ging mir in den letzten Wochen dieses Lied im Kopf herum, denn wir begehen heute den 33. Jahrestag. Als wir mit unserem Gedenken vor 33 Jahren begannen, da waren wir noch so von Abscheu erfüllt über das, was wir hatten erleben müssen. Wir meinten, so etwas könne und dürfe nicht wieder geschehen, wir seien mitverantwortlich dafür zu sorgen, dass nun eine bessere, eine heile Welt entstehen müsse. Nach 33 Jahren ziehen wir Bilanz: Damals sprachen wir hinter der Hand flüsternd davon, dass durch die Euthanasie Menschen umgebracht würden. Man sprach von lebensunwertem Leben. Im Dritten Reich war man so klug, diese Mordtaten nicht offen zuzugeben, heute wird ungeborenes Leben getötet und dieses Töten wird Quasi zum Gesetz erhoben. Wenn morden für straffrei erklärt wird, dann meint jeder, dass er auch morden dürfe. Die Folgen sind katastrophal. Man will solche Untat beschönigen, indem man von verschiedenen Indikationen spricht. Bei 70-80 % von erfolgten Abtreibungen hat man die soziale Indikation als Begründung angegeben. Ein Skandal für einen Sozialstaat, der ein Wohlstandsstaat ist. Im Dritten Reich gab es Konflikte in den Familien, Generationskrisen nannte man es. Kinder wurden aufgehetzt, ihre Eltern zu bespitzeln und im Bedarfsfalle sie anzuzeigen, wenn sie sich An- und Aussprüchen der Hitlerjugend widersetzten.

Heute spricht man ganz offen von antiautoritärer Erziehung. Sexualaufklärung als Schulfach, die sogar bis in die Kindertagesstätten und Kindergärten hineinreicht, zieht katastrophale Folgen nach sich. Nichts gegen eine gute, gesunde Aufklärung, aber sie muss getragen werden von der Ehrfurcht und einer heiligen Bereitschaft, das kleine Geschöpf Gottes vor Bösem zu bewahren und ihm zu helfen, ein sauberes und gottfrohes Leben zu führen. Schillers Wort: „Da lösen sich alle Bande frommer Scheu, der Gute räumt den Platz dem Bösen und alle Laster walten frei!“ erhält hier wieder seine volle Bedeutung. Wo man nicht mehr Scheu hat vor dem Töten und vor dem Verbrechen des Verführens unschuldiger Kindheit, da brauchen wir uns nicht zu wundern, dass die unheilvolle Sucht zu zerstören vor nichts mehr Halt macht. Für 100 Millionen werden öffentliche Telefoneinrichtungen in einem Jahr mutwillig zerstört. Das geschieht aus reiner Zerstörungslust, ohne dass die Gier nach Besitzenwollen eine Rolle spielt. Das, was ich hier sage, hat nichts mit parteipolitischen Dingen zu tun, sondern es geht einfach darum, die Stimme Gottes auf dem Mund und im Herzen zu tragen, für die Rechte des heiligen Gottes und die Würde des Menschen einzutreten.

Graf Galen, der Bischof von Münster, stieg auf die Kanzel und brandmarkte mit klaren Worten die Euthanasie. Seine Predigten wurden vervielfältigt und in Umlauf gebracht, gelangten sogar bis an die vorderste Linie der Front. Drei Kapläne und ein evangelischer Pfarrer aus Lübeck wurden deswegen zum Tode verurteilt und auch umgebracht. Es gab doch Eltern und Erzieher, die sich dem Ungeist entgegenstellten in dem Bewusstsein, dass sie einmal vor Gott würden Rechenschaft ablegen müssen. Gerade in den letzten Tagen hat ein maßgebender Jurist erklärt, dass er erschreckt sei über das rapide Ansteigen der Kriminalstatistik, besonders der Jugendkriminalität. Er meinte, es könnte seinen Grund haben in den Mängeln bei der Erziehung in Schule und Kinderheimen. Er regte an nachzudenken, ob nicht die Zehn Gebote Gottes wieder ihren Platz bei der Kindererziehung haben müssten.

Es gibt ein schönes Wort der Heiligen Schrift: „Oh, wie schön ist ein keusches Geschlecht im Tugendglanze, vor Gott und den Menschen steht es in Ehren.“ Völker, die Gottes Gesetz nicht mehr kennen und anerkennen, die unehrlichem Streben nach Besitz nachgeben, die dem Laster verfallen, weil sie keine Ehrfurcht mehr kennen vor Leib und Leben, müssen zugrunde gehen.

Schenk von Stauffenbergs letzte Worte waren: „Ich grüße das heilige Deutschland!“ – Verpflichtung für uns, denn: Deutschland wird heilig sein oder es wird nicht sein.

Amen.







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20.07.1977
 Wolfgang Lüder
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