"Kommt wort vor tat kommt tat vor wort?" Die Brüder Stauffenberg und der Dichter Stefan George

Gedenkstätte Deutscher Widerstand

Wolfgang Graf Vitzthum

"Kommt wort vor tat kommt tat vor wort?" Die Brüder Stauffenberg und der Dichter Stefan George

Festvortrag von Prof. Dr. Dr. h.c. Wolfgang Graf Vitzthum am 19. Juli 2008 in der St. Matthäus-Kirche, Berlin

Margarethe von Oven war aufgewühlt. Für die lebensgefährliche geheime Arbeit, für die Generalmajor Henning von Tresckow die junge Frau neben Ehrengard Gräfin von der Schulenburg geworben hatte, hatte sie verabredungsgemäß lediglich eine geliehene Schreibmaschine benutzt und stets nur zu Hause und nur mit Handschuhen getippt. Nun aber hatte sie einen Aufruf geschrieben, der mit den Worten begann: "Der Führer Adolf Hitler ist tot." Es ging bei der Verschwörung also um ein gewaltsames Unternehmen – um ein Attentat auf das Staatsoberhaupt und einen Staatsstreich!

Zusammen mit seinem Bruder Berthold, einem 38-jährigen Völkerrechtler, bearbeitete Claus Schenk Graf von Stauffenberg diese Aufrufe seit Mitte September 1943. Durch entscheidende Beteiligung an den Umsturzvorbereitungen hatte der Oberstleutnant die durch viele Rückschläge niedergedrückten Verschwörer zu neuer Tatkraft belebt. Nun erläuterte er Fräulein von Oven den näheren Beweggrund für die geplante Erhebung. Während Tresckow die Ermordung der Juden angeprangert hatte, sprach Stauffenberg von der totalitären Gewaltherrschaft und den unerträglichen, mit dem deutschen Namen verknüpften Gräueltaten. Und dann zitierte der 36-jährige tatgewillte Generalstabsoffizier ein Gedicht. Es stammt von dem ein Jahrzehnt zuvor verstorbenen Dichter Stefan George, aus dessen letztem Werk "Das Neue Reich" (1928). Die Verse von der Toten Zurückkunft lauten:

Wenn einst dies geschlecht sich gereinigt von schande

Vom nacken geschleudert die fessel des fröners

Nur spürt im geweide den hunger nach ehre:

Dann wird auf der walstatt voll endloser gräber

Aufzucken der blutschein .. dann jagen auf wolken

Lautdröhnende heere dann braust durchs gefilde

Der schrecklichste schrecken der dritte der stürme:

Der toten zurückkunft!

Wenn je dieses volk sich aus feigem erschlaffen

Sein selber erinnert der kür und der sende:

Wird sich ihm eröffnen die göttliche deutung

Unsagbaren grauens .. dann heben sich die hände

Und münder ertönen zum preise der würde

Dann flattert im frühwind mit wahrhaftem zeichen

Die königsstandarte und grüsst sich verneigend

Die Hehren • die Helden!

Aus Gedichten die Tat? Woher nahmen die Verschwörer den Mut zur entscheidenden Tat, woher den Verantwortungsernst, sich, ihre Familien und ihre Freunde in tödliche Gefahr zu bringen, woher die überlegene Kühnheit, die Grenzen des Gehorsams zu überschreiten und die Bahn neuen Schicksals zu betreten? Der Nazi-Terror, die brutale Kriegsführung und der Holocaust waren die primären Gründe für den klar bedachten Umsturzversuch vom 20. Juli 1944. Spielte daneben, für die Brüder Stauffenberg, ihre frühe, lebenslange Verbindung zu dem Dichter Stefan George eine Rolle? Kam etwa, wonach die im Titel meines Vortrages zitierte George-Zeile fragt, "wort vor tat?" Bestimmten also dichterisches Werk und geistige Bewegung die heroische Tat? Oder überschätzt dies die Wirkungskraft der Poesie in politicis? Nur um diesen Ausschnitt aus dem weiten Themenkreis "Der Umsturzversuch vom 20. Juli" geht es nachfolgend.

Mein Vortrag dient der – stets auch schmerzlichen – gemeinsamen Erinnerung. Er besteht aus drei Teilen. Zuerst schildere ich Stefan George und seinen Dichter- und Forscherkreis. Dann behandle ich die Brüder Stauffenberg, die weniger gut bekannten Zwillinge Berthold und Alexander sowie ihren jüngeren Bruder Claus. Der letzte Teil zeigt die Wirkung des Dichters auf die Stauffenberg-Brüder, die sich ihm in Jüngerschaft anvertraut hatten. Insgesamt geht es also um die motivierende Bedeutung Georges und des poetischen Sprechens beim unbedingten Kampf um Recht und Menschenehre.

I.

Wer war Stefan George? Und was war der einflussreiche "George-Kreis", den seine Mitglieder "staat" nannten? Diese Fragen beantwortet nun der erste Teil meines Vortrags.

Das schöne, geistige Leben einer elitären "kleinen Schar" war Georges Zukunftsentwurf, zugleich sein Gegenbild zur egalitären, materialistischen Gesellschaft. Die strenge Bindung seiner Gedichte reagierte auf eine – in Georges Sicht – "ungeordnete, chaotische und fließende Welt" (Dirk von Petersdorff). Die geistig anspruchsvolle, emotional eng verbundene Gemeinschaft der Freunde war Korrektiv für die – angeblich – gestaltlose, anonyme Gesellschaft.

Die Begegnung mit dem Dichter erlebten seine Anhänger durchweg als Bruch mit allem bis dahin Gekannten, als Erweckungserlebnis, als Wendepunkt. Wer sich zu einem gänzlich neuen Leben in Georges geistigem Reich entschloss, tat dies mit der Radikalität eines Konvertiten. Die Zäsur war eine Voraussetzung für Hingabe, Bewährungswillen und Opfer (Wolfgang Braungart). Für Georges Freunde war sein Werk ein unantastbares "Gesetzbuch" (Edith Landmann).

Mit der Macht der Dichtung setzte George der modernen Massen- und Industriegesellschaft eigene Lebensgesetze entgegen. Rettung in "Zeiten der Wirren" schien allein durch große Männer, durch Dichterhelden möglich. Dante, Shakespeare und Goethe waren die Vorbilder. Emotionales, Irrationales und alles Heroische wurde verehrt.

Neben der Dichtung verschrieb sich die Lebensgemeinschaft um George, orientiert an Platons Akademie, der Wissenschaft. Angestrebt wurde eine Neubesinnung auf das "Wesenhafte", "Ursprüngliche" und "Echte" im Denken und in der Kunst.

"Um eine Art europäischer literarischer Gemeinschaft willen" (Claude David) hatte der im Jahre 1868 geborene Dichter seiner Heimat zunächst den Rücken gekehrt. Er glaubte in Deutschland ersticken zu müssen. Mit dem Gedichtband "Der Teppich des Lebens" entfernte sich George um die vorletzte Jahrhundertwende dann von dieser pointiert romanisch-europäischen Position (ohne sie freilich je ganz aufzugeben). Nun pries er Deutschlands geistige Schätze, den "umschwung des deutschen wesens". "Unsere jugend" wolle er jetzt lehren, "freien hauptes schön durch das Leben" zu schreiten (1897).

Der l’art pour l’art-Dichter wurde seit den Dichtungen des "Siebenten Ringes" (1907) zum Erzieher, seine Dichtung programmatisch, staatsbildend. Der Weg führte von Zeitabgewandtheit zu Zeitbezug, vom Ästhetischen, ohne dieses je aus dem Blick zu verlieren, ins Pädagogische, ja Politische. Von deutsch-politischen Machtphantasien hielt sich George freilich fern: kein Nationalepos, keine Gründungslegende aus seiner Feder. Anders als die unvermutet bellizistisch und chauvinistisch auftrumpfenden "Kulturkrieger" Max Weber und Thomas Mann behielt George im August 1914 das Ganze im Blick: ein europäisches geistiges Deutschtum. Auch während des Krieges blieb er diesem distanzierten, eigenständigen Ansatz treu. Sein Gedicht "Der Krieg" aus dem Jahr 1917 ist das Dokument eines erschütternden Sehertums. Dichtung wird hier zur Fortsetzung der Erkenntnis mit anderen Mitteln. Die furchtbaren Bilder – "Erkrankte welten fiebern sich zu ende" – beschließt George dann freilich nicht mit Verdammnis, sondern mit Verheißung.

Wenn heute George außerhalb des deutschen Sprachraums weitgehend abwesend ist, hängt das auch mit jener Richtungsänderung zusammen: von Frankreich-Spanien-Italien nach Deutschland, von der europäischen und romanischen Perspektive zur vaterländischen, heimischen. George-Kenner wie der Genfer Literaturwissenschaftler Bernhard Böschenstein betonen demgegenüber Georges frühe Hinwendung zu Baudelaire, Verlaine, Mallarmé und Rimbaud. Sie, die Entdeckung, Übertragung und Umdichtung der französischen Symbolisten, mit denen sich George befreundete, hat ihn zum Dichter gemacht – zu einem "Autor der europäischen Moderne" (Braungart), zum Dichter eines "geheimen europäischen Deutschland" (Manfred Riedel).

Bei Martin Heidegger, erst recht bei dem germanistischen George-Freund Ernst Bertram (von 1918 an) und im Horizont eines mystifizierten "geheimen Deutschland" finden sich Vorstellungen von deutscher Auserwähltheit. Sie klingen auch bei George (wie zuvor schon bei Hölderlin) an, zielen freilich auf die Nachfolge Griechenlands. Angestrebt wird, in neuer Erscheinung, eine gleiche Vollkommenheit. Nicht die Maximierung militärischer Macht oder der Kult nationaler Größe ist das Ziel, sondern die Pflege der geistigen Potenzen Deutschlands – das Gegenteil also von der späteren NS-Rhetorik.

Wie viele andere sah der 65-jährige, moribunde Stefan George dann im Schicksalsjahr 1933 nicht deutlich, welch furchtbares Regime da an die Macht gekommen war. Georges "Prophetenstand" (Böschenstein), hellsichtig-beschwörend noch 1914, bewährte sich in seinen letzten Lebensmonaten nicht. Sein Freundschaftsbund bildete ebenfalls kein Zentrum ästhetisch-kultureller Volkserziehung. Demokratisierung wurde abgelehnt. Der George-Kreis war eine Dichterschule, keine Demokratieschule.

Die künstlerische Moderne ging, europaweit, oft Hand in Hand mit politisch Reaktionärem. Aber auch der Reichstag mit seinem Ermächtigungsgesetz vom 23. März 1933, das de facto die Diktatur etablierte, verkannte die Flammenschrift an der Wand. Ja selbst der Papst scheute sich vier Monate später nicht, mit Hitler ein Konkordat zu schließen – was das Regime dann international aufwertete und innenpolitisch stabilisierte.

Medium der Freundschaft und Erziehung im George-Kreis war das Gespräch, waren gemeinsame Reisen und Feste, war das gemeinsame Arbeiten (an Manuskripten wie an Skulpturen). Das Schreiben und Rezitieren von Gedichten war ein Ritual. Am kostbarsten die Stunde, in der in vertrauter Runde Dichtung vorgetragen (nicht: besprochen) wurde. "Private" Unterhaltungen, gar weltanschauliche Debatten waren verpönt. Ungewöhnliche Sehweisen und unbürgerliche Lebensformen wurden erprobt. Gewisse Grundsätze des Bürgertums freilich seien gut, meinte George: "Zwei mal zwei ist vier, auch wenns die Bürger sagen."

Der Dichter betonte Führung der Vorragenden, Gemeinschaft und Dienst. Er hoffte, seine jungen Freunde, als "ganze Menschen" gebildet, würden sich eines Tages völlig verwirklichen, jeder auf seinem Gebiet, jeder nach seinem Wesen, jeder mit einer eigenständigen Position. Die heroische, die tragische Haltung, "der Einsatz für das Edelste auch gegen den Stärkeren" (Ernst Gundolf), die Verbindung also von Haltung und Hingabe, von Geist und Tat waren zentrale Motive im George-Kreis. Jedem seiner Freunde müsse klar sein, lehrte der Dichter, was ihm auferlegt sei, was er deshalb nicht umgehen dürfe, was kein anderer für ihn tun könne (Eberhard Zeller): "Wer adel hat erfüllt sich nur im bild/Ja zahlt dafür mit seinem untergang."

Adel hatte für George nichts zu tun mit feudaler Romantik. Das zeigt etwa ein Gedicht aus dem Jahr 1914. Es belegt zugleich Georges Offenheit und Modernität und lautet:

Neuen adel den ihr suchet

Führt nicht her von schild und krone!

Aller stufen halter tragen

Gleich den feilen blick der sinne

Gleich den rohen blick der spähe.

Stammlos wachsen im gewühle

Seltne sprossen eignen ranges

Und ihr kennt die mitgeburten

An der augen wahrer glut.

II.

Im zweiten Teil meines Vortrags behandle ich nun die Brüder Stauffenberg, ihre verwirklichte Sittlichkeit in Bildung, Haltung und Tat.

Die Zwillinge Berthold und Alexander von Stauffenberg kamen am 15. März 1905 in Stuttgart zur Welt, als Söhne des späteren Oberhofmarschalls des letzten württembergischen Königs Wilhelm II. Gut zweieinhalb Jahre später, am 15. November 1907, wurde ihr Bruder Claus geboren. Die geistig bedeutende Mutter, eine geborene Gräfin Üxküll-Gyllenband, dem Geschlecht der Yorck verwandt, stammte aus einer alten baltischen Familie.

Berthold und Claus standen sich lebenslang besonders nahe. Wenn irgend möglich, tat der charismatische Claus nichts, was der stillere Berthold nicht wusste oder voraussichtlich nicht gebilligt hätte: der Bruder des Täters als dessen "verkörpertes Gewissen". Mit Berthold als Erstem besprach Claus den Plan der Erhebung. Von dem Älteren erfuhr der Jüngere wie von einem gleich Tatbereiten unbedingte Unterstützung. Nicht durch sein Mithandeln, das sich ebenfalls wirksam zeigte, war Berthold entscheidend, sondern durch sein Gegenwärtigsein (Zeller). Mochte George die Einsamkeit des heldischen Menschen besungen haben – für den einsamen Täter Claus, für den in Frieden und Krieg, im Organisatorischen wie Operativen tätigen und anerkannten Offizier, war die Nähe des Bruders eine wesentliche Stärkung. Ohne Berthold hätte es den Zwanzigsten Juli so nicht gegeben. Und ohne Claus, ohne „seinen Mut und seine Entschlossenheit, wäre es zu einer vor der Welt sichtbaren Tat des deutschen Widerstandes gegen Hitler nicht mehr gekommen“ (Thomas Karlauf). Im Gelingen wäre die Tat eins gewesen mit der Würde und Freiheit des Menschen.

Ab Herbst 1913 besuchten Berthold und Alexander von Stauffenberg, später dann auch Claus, das Stuttgarter Eberhard-Ludwigs-Gymnasiums. Hier wurde die bürgerlich-humanistische Bildung gepflegt, auf höchstem Niveau. Eine Schlüsselrolle spielten die großen Dichter: Homer und Vergil, Dante, Shakespeare, Goethe, Schiller und Hölderlin. Die Dichtung war eine Wirklichkeit, für die die Stauffenberg-Brüder Auge und Urteil hatten – nicht totes Bildungsgut, sondern lebendiges Brot für Geist und Seele. Hier war zu Form und Gestalt gebracht, was ihnen als höchste Realität und Norm erschien. Alexander von Stauffenberg war darüber hinaus selbst dichterisch begabt. Stärker als seine Brüder prägte ihn zudem der katholische Glaube.

Mochten die Könige in Deutschland abdanken, ja der Kaiser nach Holland fliehen – Vater Alfred von Stauffenberg blieb Monarchist, Repräsentant einer untergegangenen Welt. Seine Söhne dagegen waren Neuem gegenüber aufgeschlossen, durchaus auch der Ersten Republik und ihren Leistungsanforderungen und Chancen. Wie viele ihrer Standesgenossen wollten sie Staat, Nation und Volk dienen, "gleichsam oberhalb der Republik" (Heinz Reif). Die Verpflichtung zu entsprechender Ausbildung und Lebensführung leiteten sie auch aus ihrer Herkunft ab. Im Dienst am Allgemeinwohl wollten sie vorangehen, als eine republikanische, funktionale Elite.

Zu Beginn des Krisenjahres 1923 besetzten französisch-belgische Truppen auf der (zweifelhaften) Grundlage des Versailler Vertrages das Ruhrgebiet und Teile des Rheinlandes. Nationale Empörung und passiver Widerstand waren die Folge. Auch die vaterländisch begeisterten Zwillinge Stauffenberg probten den Ruhrkampf. Sie meldeten sich als Zeitfreiwillige zum Ludwigsburger Kavallerieregiment Nr. 18. Da aber Alexanders militärisches Talent frühzeitig Grenzen aufwies und Berthold bald erkrankte, blieb das uniformierte Engagement, Beleg eines profunden Nationalgefühls, Episode. Stattdessen machten die Zwillinge im März 1923 Abitur.

Zwei Monate später, im Mai 1923, wurden die Stauffenberg-Brüder dem damals 55-jährigen, berühmten Stefan George vorgestellt, die Zwillinge soeben 18, Claus erst 15 Jahre alt. Sie hatten früher schon Georges formstrengen Gedichtband "Der Stern des Bundes" (1914) gemeinsam gelesen, fasziniert von diesem "Buch der neuen Jugend, ganz hell und ganz har". Georges Freude an Art, Gaben und Haltung der jungen Männer entfaltete deren Fähigkeiten, gab Halt, auch gegenüber den Sogströmungen der Zeit, und stärkte ihr Selbstvertrauen und Selbstbewusstsein.

Alexander von Stauffenberg studierte ab Wintersemester 1923/24 Geschichte, Klassische Philologie und Archäologie in Heidelberg, Tübingen, Jena, München und Halle. 1931 habilitierte er sich bei Joseph Vogt in Würzburg, wo er später (1941) Ordinarius wurde. Im Zweiten Weltkrieg als Artillerist vornehmlich an der Ostfront eingesetzt, wurde er mehrfach verwundet. Im Juni 1944, als er seine Brüder zum letzten Mal traf, wurde er nach Athen kommandiert. Wegen seines Freimuts hatten diese ihn nur ganz begrenzt in die Umsturzpläne einweihen können. Nach dem 20. Juli in Sippenhaft genommen, durchlief Alexander bis Kriegsende diverse Gefängnisse und Konzentrationslager. Eine direkte Beteiligung an der Erhebung hatte man ihm nicht nachweisen können. Seit 1948 bis zu seinem Tod 1964 hatte Alexander dann den Münchner Lehrstuhl für Alte Geschichte inne.

Schwerpunkte dieses auch wissenschaftspolitisch bedeutenden "anderen Stauffenberg", wie ihn Karl Christ in seiner eindringlichen Biographie nennt, waren die Spätantike, das klassische Sizilien und Großgriechenland. Den Akzent setzte Alexander dabei auf "Dichter und Täter", auf "Geist und Macht". Eine Sammlung seiner Aufsätze betitelte er 1948 "Dichtung und Staat". Alexander gehörte zu den Anhängern Georges, die der politischen Ausgrenzung der Juden entschieden widerstanden. Im Fach wahrte er eine Außenseiterrolle. Die frühe Begegnung mit dem Dichter hatte ihn, der Sache wie der Sprache nach, geprägt.

Berthold von Stauffenberg, Alexanders älterer Zwillingsbruder, studierte Rechts- und Staatswissenschaften. Neben dem juristischen Schwarzbrot leistete er sich geisteswissenschaftliches Weißbrot: Altrömische und frühbyzantinische Geschichte sowie Mittelalterliche Geschichte Frankreichs, Englands und des Orients. Kein Bachelor-Schmalspurstudium also, sondern das Vertiefen von Querverbindungen! Sein Staatsexamen absolvierte er im Mai 1927 in Tübingen mit spielender Leichtigkeit, Note "ausgezeichnet". Nach Sprachreisen und Promotion („Die Rechtstellung der russischen Handelsvertretungen“, veröffentlicht 1930) wurde der 24-jährige Dr. jur. wider Erwarten nicht ins Auswärtige Amt aufgenommen. Berthold, der staatliche Mensch par excellence, gab die Hoffnung auf den Staatsdienst nicht auf, auch dann im "Dritten Reich" nicht. Konnte man nach den ersten Verbrechen der Nazis da aber eigentlich noch mitmachen? Diese Frage haben sich die nationalbewussten Brüder Stauffenberg, deren Mann Hitler nie war, offensichtlich nicht gestellt, ebenso wenig wie fast alle deutschen Professoren, Richter, Offiziere und Beamten.

Seit dem Jahr 1929 arbeitete Berthold von Stauffenberg als Experte für internationale Gerichtsbarkeit am angesehenen Institut für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht in Berlin. Ab 1937/38 konnte er sich mit seinen wissenschaftlichen Aufgaben nicht mehr identifizieren. Die immer krasser rechtswidrigen Aktionen mochte er nicht im Faltenwurf juristischer Argumentation verstecken. Wie seine Brüder war Berthold der Zeit zugehörig, ihr aber nicht hörig. So verlagerte er seine Arbeit, bis zuletzt unbeeinflusst von nationalsozialistischem Denken, auf den "Ausschuss für Kriegsrecht", ein Expertengremium, das später dem Oberkommando der Wehrmacht angegliedert wurde. Dort, im Bauche des Leviathan und in dessen unmittelbarem Umkreis, traf Berthold, zum Oberkommando der Marine eingezogen, mit Männern zusammen, die ebenfalls die NS-Verbrechen entschieden ablehnten: Helmuth James Graf von Moltke, Adam von Trott zu Solz, Peter Graf Yorck von Wartenburg und Fritz-Dietlof Graf von der Schulenburg. Damals begann seine aktive Widerstandstätigkeit. An den Beratungen des Kreisauer Kreises nahm Berthold vier Mal teil. Er begann, Beweismaterial über das Massenmorden zu sammeln. Die Deutschen selbst sollten die nationalsozialistischen Verbrecher vor Gericht stellen, bevor dies fremder Eingriff erledigen würde. Hätte es nur mehr Juristen Bertholds und Moltkes, Yorcks und Trotts Schlages gegeben! Die Denkschriften des Kreisauer Kreises, souverän vom Boden des gesicherten universalen Rechts aus argumentierend, offenbaren einen Weitblick, der uns Heutigen in mancher Hinsicht abhanden gekommen ist.

Claus von Stauffenberg schließlich, der jüngste der drei Brüder, trat 18-jährig in die Reichswehr ein, beim Bamberger Reiterregiment. Als Prüfungsbester wurde er bereits 22-jährig Offizier. Auf der Kriegsakademie in Berlin bewegten ihn dann neben der Generalstabsausbildung die immer wieder aufgenommenen Gespräche über staatliche Neuordnung. Im Sommer 1938 kam er nach Wuppertal zur 1. Leichten Division. Als ihr Zweiter Generalstabsoffizier erlebte er die Sudetenkrise, dann die Synagogenbrände ("Reichskristallnacht") in Deutschland, auch in Wuppertal. Claus’ Gedanken waren partiell bei Gneisenau, seinem Ahnen, bei dessen Plänen einer "deutschen Erhebung". Damals, im Winter 1938/39, sprach er zum ersten Mal offen von Umsturzmöglichkeiten (Zeller). In der ersten Zeit des Krieges war der jetzt 32-jährige mit seiner Division in Polen und Frankreich. Anschließend für zweieinhalb Jahre in den Generalstab des Heeres berufen, wuchsen seine Möglichkeiten, sich zu unterrichten (auch durch das, was ihm sein Bruder Berthold zutrug), etwa über den Hungertod russischer Kriegsgefangener und die zunehmende Barbarisierung der Kriegsführung. Anfang 1943 wurde Claus nach Nordafrika zur Truppe versetzt, als Erster Generalstabsoffizier bei der 10. Panzerdivision. Schwer verwundet kam der Oberstleutnant in die Heimat zurück. Die Aufgabe, für die er sich verantwortlich fühlte, ließ ihn unerwartet genesen. "Weißt Du, ich habe das Gefühl, dass ich jetzt etwas tun muss, um das Reich zu retten", äußerte Claus wie beiläufig zu seiner Frau, "wir sind als Generalstäbler alle mitverantwortlich".

Wie die große Mehrheit der Deutschen, die sich im "Kampf gegen Versailles" verkämpften, hatten auch die Brüder Stauffenberg einen radikalen Neuansatz ersehnt, eine starke Führung, ein neues Reich. Hitler fiel ja nicht wie eine Zecke vom Baum! Seine Weltanschauung und sein Aufstieg verdankten sich einer bestimmten historischen Situation. "Sich heute vorzumachen", meinte Alexander von Stauffenberg in den 1950er Jahren, "die Anhänger des Nazi-Systems [seien] damals alle Teufel […] gewesen", wäre "grober Unfug". Die Deutschen hatten sich Hitler nicht zugewandt, um den Holocaust zu begehen, sondern weil er ihre tiefe Verletztheit nach Versailles, die Pauperisierung und die Wirtschaftskrise wie kein anderer ansprach. Seine Anhängerschaft erfasste auch Teile des George-Kreises. So braucht man sich über die allgemeine Informations- und Seelenlage nicht zu wundern. Die meisten Menschen – übrigens auch im Ausland – übersahen lange die Vorboten der verbrecherischen Maßlosigkeit des Autodidakten aus dem Wiener Männerheim. Hitlers Außenpolitik hatte sich zunächst ja mit Konzepten der meisten bürgerlich-konservativen Diplomaten und Völkerrechtler getroffen. Loyal, passioniert und ganz selbstverständlich hatten auch die Brüder Stauffenberg, trotz früh einsetzender Kritik an einzelnen NS-Maßnahmen, ihren Pflichten dem Staat gegenüber gehorcht. Seit Beginn des Krieges ging es, wie immer dieser entstanden sein mochte, ja nicht um den Nationalsozialismus, sondern um das Vaterland. Deutschland befand sich in höchster Gefahr, und alle Kraft war nötig, um sie abzuwenden.

Einen Wendepunkt hatte das Jahr 1938 dargestellt, als Hitler im Zusammenhang mit der Sudetenkrise notfalls offenbar einen Krieg beginnen wollte und Deutschland dann, 1939, die Rest-Tschechei überfiel, entgegen allen vertraglichen Abmachungen. Hitlers Reich war zur dämonischen Bedrohung der Welt geworden. Spätestens der verbrecherische Weltanschauungs- und Rassenkrieg im Osten sowie die Massaker an den Juden lösten, wie Claus von Stauffenberg überzeugend argumentierte, auch die Bindung an den auf Hitler persönlich geschworenen Fahneneid. Die Brüder Stauffenberg nahmen ihr Treuegelöbnis und die damit zusammenhängende tragische Verstrickung zu keinem Zeitpunkt leicht. In ihren Augen ließ sich die Treue zum Eid auf den "Führer" aber nicht mehr gegen das Gebot zur Tyrannentötung und der Beseitigung des ganzen Verbrecherregimes verteidigen. Nach einer Beseitigung Hitlers, wussten sie, würde eine nicht weniger schwere Aufgabe zu bewältigen sein: "die Macht in die Hand zu nehmen und Staat und Heer über den Notaugenblick zu führen" (Zeller). Für Generaloberst Beck, den die Verschwörer als Staatschef vorsahen, für Generalmajor Henning von Tresckow, den Schöpfer des Umsturzplanes, wie für Claus und Berthold von Stauffenberg und der meisten Mitverschwörer war die eine Aufgabe, der Sturz des Despoten, nicht ohne die andere zu denken: die Begründung einer neuen Staatsführung.

"Als zwingend gefordert aber musste die Tat erkannt werden" (Zeller). Bewegtsein ist in der Tat keine Bewegung, "Tätigsein keine Tat" (Hartmut von Hentig). In Hitlers Hauptquartier etwa hatten zwei Generäle, beide zum Widerstand gehörend, direkten Zugang zum "Führer" – zur Tat rangen sie sich nicht durch. Hitler soll nach der Verhaftung des einen in der Nacht zum 21. Juli verwundert ausgerufen haben: "Der hat mir nach dem Attentat zur Errettung gratuliert, statt in der allgemeinen Konfusion die Pistole vom Hintern zu nehmen und mich totzuschießen!" Pläne und Überlegungen, das Regime zu überwinden, gab es viele. Aber alles war gegenüber dem rettenden Handeln sekundär. Die Tat war das Entscheidende: "Einer stand auf der scharf wie blitz und stahl/Die klüfte aufriss und die lager schied/Ein Drüben schuf durch umkehr eures Hier…" (George 1914). Dabei hat der "verantwortlich Denkende und Handelnde", wie Dietrich Bonhoeffer ausgeführt, hatte nur nach Notwendigkeit, nicht nach Beifall zu fragen.

Insofern zählt der Zwanzigste Juli "zu den ruhmreichen Tagen der neueren deutschen Geschichte" (Karlauf). Beim Aufbau der Bundeswehr erwies sich der "Aufstand des Gewissens" dann als anschlussfähig für das Konzept der Inneren Führung.

III.

Im dritten und letzten Teil meines Vortrags erläutere ich nun Stefan Georges Wirkung auf die Brüder Stauffenberg und damit indirekt auf den Umsturzversuch.

In dem freundschaftlichen Verbundensein mit dem Dichter erlebten die jungen Männern die Gewalt bedeutender Dichtung. In dem sich durch Hitler-Deutschland abzeichnenden Zivilisationsbruch erfuhren sie die Notwendigkeit des Beistandes durch das dichterische Wort. Auch später haben sie stets betont, gerade von George den größten und besten Einfluss erfahren zu haben. Georges geistige Welt war in sie eingegangen. An einer Reihe von Arbeiten geschichtlicher oder dichterischer Art, die aus dem Freundeskreis hervorgingen, nahmen Berthold und Claus zudem mitwirkend Anteil. Das günstige Geschick großer menschlicher Begegnungen ließ ihren angeborenen Reichtum besonders gedeihen (Zeller).

Für Georges Einfluss mag bereits Claus von Stauffenbergs wiederholte Bezugnahme, etwa beim Werben von Mitverschwörern, auf Verse des Dichters sprechen. Wie im eingangs erwähnten Gespräch mit Margarethe von Oven verwendete Claus die Gedichte wie Argumente. Öfter zitierte er die Verse "Der Widerchrist" aus dem Jahr 1907 ("…Der Fürst des Geziefers verbreitet sein reich…"). Mehrfach bezog sich Claus auf das Gedicht "Der Täter" ("…Wer niemals am bruder den fleck für den dolchstoss bemass/Wie leicht ist sein leben und wie dünn das gedachte/Dem der von des schierlings betäubenden körpern nicht ass!..." (1899).

Die Erhebungs- und Neuordnungspläne, an denen Claus und Berthold von Stauffenberg beteiligt waren, zielten auf "die Wiederherstellung der vollkommenen Majestät des Rechts" (Goerdeler). "Rechtlichkeit verknüpft die Deutschen – eigentlich die Menschen –, und wehe dem, der das Band durchschneidet, woran die Welt hängt und er selber!", schrieb der von George geschätzte Jean Paul in seiner "Friedens-Predigt an Deutschland", vor 200 Jahren. Ermächtigungsgesetz, Röhm-Affäre, Nürnberger Gesetze, Reichspogromnacht, Vertragsbrüche – wehe dem Volk, das das Band der Rechtlichkeit durchschnitten hat!

Mit den anderen Verschwörern setzten sich die Brüder Stauffenberg für freie Wahlen zum frühestmöglichen Zeitpunkt ein, um auf einen neuen Staatsaufbau hinzuwirken. Über den machten sich vor allem die Kreisauer Vorstellungen sowie der ehemalige Leipziger Oberbürgermeister Carl Friedrich Goerdeler, der Reichskanzler werden sollte. "An der Staatsform war [schon George] nie gelegen [gewesen], wenn nur die Besten atmen und wirken konnten" (Gundolf).

Eine Institution der Widerstandsbewegung war der – heterogene – George-Kreis gewiss nicht. Aber er bot, wie gesagt, ein alternatives, distanzierendes Wertgefüge. George, seine Dichtung und ihre Aura – Mythos, Ehre, Jugend, Heldentum, Freundschaft, Reich – stärkten, als Endpunkt einer langen Entwicklung, die Tatbereitschaft. Der heroische Sinn gab Claus und Berthold von Stauffenberg, die die Umsturzpläne mit den anderen Verschwörern zur Entscheidung trieben, innere Kraft. Der Dichter war ein Bildner auch der Herzen. Den Versuch der Befreiung hat er mitermöglicht.

Häufig leitete im "Dritten Reich" die soziale Nähe zu einem Opfer des Regimes die Abkehr von den Nationalsozialisten ein, in Einzelfällen auch den Widerstand. Die Fähigkeit freilich, von Abstand zu Widerstand und von Widerstand zu Aufstand überzugehen und an dieser Entscheidung bei größtem Risiko festzuhalten, kann auch auf einem anderen Grund beruhen: auf dem Verbundensein mit einer Person, deren Urteil man für sich als verbindlich ansieht, einer Person, von der man annimmt, sie würde das – eigenständige – Verhalten billigen (Harald Welzer). Claus und Berthold von Stauffenberg konnten sich sicher sein: Der Dichter hätte, noch am Leben, ihr "in tyrannum!" bejaht.

Damit verstärkte bei diesen Patrioten Georges Lehre des geheimen, des heiligen, des europäischen Deutschland den Willen zur Erhebung wider den Dämon, von dem Deutschland besessen und öffentlich geschändet war. Ich spreche insofern von einer "metabasis eis allo genos", von einer Sphärenverschmelzung, von einer Umwandlung, von einem Umschlag: vom poetischen Wort zur staatsrettenden Tat.

In die gleiche Richtung weist Georges Schlüsselgedicht aus dem Jahre 1914, dessen Eingangszeile den Titel meines Vortrags bildet. Dieses Gedicht ruft ein Beispiel aus der Antike auf – das humanistische Bildungsideal war für George und seine Freunde ja keine ausgetretene Straße, sondern lebendiges, wirkendes Wissen. Der Sänger des Altertums – im Gedicht nordisch "Barde" genannt, um das Bild zu erweitern – ermannte, obwohl selbst zum Kämpfen zu gebrechlich, das gebrochene Heer in solchem Maße durch sein Lied, dass es den endgültigen Sieg errang. Dessen wahrer Spender war somit der Sänger. Es handelt sich also um Verse über die Macht des dichterischen Wortes, über seine Beistandswirkung. Das Gedicht hebt an:

Kommt wort vor tat kommt tat vor wort? Die stadt

Des altertumes rief den Barden vor..

Gebrach auch seinen arm und bein die wucht

Sein vers ermannte das gebrochne heer

Und er ward spender lang vermissten siegs. […]

Bei dem geschichtlich entscheidenden Geschehen, dem Zwanzigsten Juli, bewies Georges geheimes geistiges Reich seine Macht: Dichtung als Lebensform des Täters, als Lebensgefahr des Tyrannen. Die Vernichtung der Juden – der unnennbare Frevel, bürokratisch geplant, erbarmungslos ausgeübt –, die Verletzung der "Ehre der Armee" sowie ihre Vaterlandsliebe machten für Claus und Berthold von Stauffenberg Tyrannentötung und Staatsstreich zwingend. Schon im August 1942 hatte Claus von Stauffenberg, die deutsche Ausrottungspolitik vor Augen, unvermittelt geäußert: "Die erschießen massenhaft Juden. Die Verbrechen dürfen nicht weitergehen!" Motivierend kam hinzu, wie gesagt, die Halt gebende Verwurzelung der Stauffenberg-Brüder in der von Zeit und Raum unabhängigen Welt des Dichters, ihre Sensibilität für sein Wort. Ihre Eigenständigkeit und Tathaftigkeit wurden durch Georges Gedichte gestärkt. An seinem Wesen und Wort wollten sich die Brüder Stauffenberg bewähren, auch ein Jahrzehnt noch nach seinem Tod (4. Dezember 1933).

In einem dramatischen Versuch am 26. Januar 1943, Generalfeldmarschall von Manstein für den Staatsstreich zu gewinnen, berief sich Claus von Stauffenberg (immer in Gefahr, als Verschwörer entdeckt und dann hingerichtet zu werden) auf Tauroggen. Damals, am 30. Dezember 1812, hatte General von Yorck für sein auf französischer Seite eingesetztes, 14.000 Mann starkes preußisches Hilfskorps mit der russischen Armee ein Neutralitätsabkommen ("Konvention von Tauroggen") ausgehandelt – eigenmächtig, der königlichen Politik entgegengesetzt. Mittelbar war diese Tat, die Yorck persönlich und verantwortlich auf sich nahm (er bot dem König zugleich sein graues Haupt an zur Sühne, wenn dieser seine Tat nicht nachträglich billige), ein erster, wichtiger Schritt auf der Bahn der Erhebung gegen Napoleon. Auch damals also eine Situation, in der die ganze Härte des sittlichen Konfliktes evident war: umsichtiger Mut war der Anstoß zur Befreiung Deutschlands und Ungehorsam die höchste Loyalität. "Preußische Feldmarschälle meutern nicht", fertigte Manstein Stauffenberg ab, 130 Jahre nach jener wohlbedachten, großartigen Eigenmächtigkeit Yorcks. Noch bis in die 1960er Jahre teilte die Mehrheit der Deutschen bekanntlich Mansteins Position, aus vielerlei Gründen.

Im George-Kreis herrschte die Überzeugung vor, Dichtung könne Staat und Gesellschaft verändern. Auch die Brüder Stauffenberg glaubten: Das Wort ist eine Waffe, die, wie es (von Gottes Wort) in Luthers "Ein feste Burg" heißt, selbst Teufel "fällen" kann. Es war das Credo der Freunde, dass "der Geist die eigentliche Macht" repräsentiert (Karlauf). Aus dieser Sicht sind Dichtung und Staat nicht notwendigerweise Gegensätze. Geist und Macht können vielmehr konvergieren. Als ein zentraler Teil der Kultur ist Dichtung – Staatsdichtung – eine Art viertes Staatselement. Bei diesem liegt in den verkündeten dichterischen Worten selbst das Unterpfand des Verkündeten (Norbert von Hellingrath, Bruno Pieger).

In der Nacht vom 4. auf den 5. Juli 1944, mitten in den letzten Attentats- und Umsturzvorbereitungen also, erörterten Claus und Berthold von Stauffenberg (mit einem Freund aus dem George-Kreis, dem aus Athen herbeigerufenen Literaturwissenschaftler Rudolf Fahrner) stundenlang poetische Texte, vor allem das Schlüsselgedicht ihres Bruders Alexander "Der Tod des Meisters", also Stefan Georges. Welche sinnbekräftigende, bestimmende Bedeutung des längst verstorbenen Dichters! In jenem Gedicht über den "königlichen toten" bekennt Alexander von Stauffenberg (auszugsweise):

[…] Und scheidend wussten wir: in unserem leben

Ein jeder atemzug und schmerzlich beben

Bleibt dienst an diesem grab mit geist und blut.

Nimmt man diesen Vers wörtlich, als Bekenntnis der Brüder Stauffenberg, so war der Zwanzigste Juli auch "dienst an diesem grab mit geist und blut".

Nicht Deutschland als solchem galt Claus von Stauffenbergs lauter Ruf "Es lebe das heilige Deutschland!" im Moment seiner Hinrichtung in der Nacht zum 21. Juli. Tat wie Ausruf bezogen sich auf ein Land, das wie der Dichter unverfügbare Gebote kennt und anerkennt. Nicht für Hitler waren die Brüder Stauffenberg in den Krieg gezogen, sondern für dieses rechtliche, europäische Land. Für dieses erhoben sie sich, für ein Land also, das das besitzt, was dem Leben im Letzten erst Gültigkeit gibt. Insofern spreche ich von der Geburt der Tat (auch) aus dem Geiste der Gedichte Stefan Georges, von einem (auch) Dichtung-inspirierten Zwanzigsten Juli. Die Verantwortung für die kommenden Generationen – Deutschland blutete aus – und der übernationale Reichsgedanke, der stets auch der Rechtswahrung und Friedenssicherung diente, kamen hinzu.

Immer noch wurden Wunder der Tapferkeit an allen Fronten vollbracht. Mutlosigkeit und Erschlaffung, hatten die Brüder Stauffenberg bei George gelernt, werden überwunden, wenn man nicht einem unglücklichen Schicksal die Schuld gibt, sondern begreift: Unsere Geschicke sind in unsere Hände gelegt. Der Mensch ist ein Prometheus, schrieb der französische George-Interpret Claude David, autonom, fähig zur Selbstbestimmung. "Die gute Sache darf immer auf den Schutz der Gottheit hoffen" (Hölderlin). Auch wir sind lohnethisch-optimistisch genug zu glauben, die Götter verweigerten zur gegebenen Stunde dem nicht den Lorbeer, der die Lage erkannt und den Lohn verdient hat.

Freilich, die Stunde der Erfüllung ging für Claus und Berthold von Stauffenberg vorüber. Sie griffen dem Schicksal in die Räder, brachten sie aber nicht zur anderen Richtung. Freisler – der Verbrecher als Richter und Henker – verurteilte Berthold zum Tode. Noch am selben Tag, dem 10. August 1944, drei Wochen nach der Hinrichtung seines Bruders Claus, wurde das Urteil in Plötzensee vollstreckt. Mit welchem Heroismus wussten all die Männer zu sterben, die in verzweifelter Lage für ihre Überzeugung das ungeheure Wagnis auf sich genommen hatten!

Stefan George hatte seinen Nachlass Berthold, seinem Ersatz- und Nacherben (nach Robert Boehringer), anvertraut. Dieser sollte ihn sichten und im ländlichen Stauffenberg-Schlossgut Lautlingen aufbewahren, bis ruhigere Zeiten kämen. Berthold hinterließ seine Frau Mika und zwei Kinder. Nicht nur Dunkel und Trauer, sondern auch Jugend und Verheißung anrufend hatte George gedichtet:

[…] Mit wüsten wechseln gärten • frost mit glut •

Nacht kommt für helle – busse für das glück.

Und schlingt das dunkel uns und unsre trauer:

Eins das von je war (keiner kennt es) währet

Und blum und jugend lacht und sang erklingt.

IV.

Damit endet der Gang durch ein wichtiges Areal unserer kollektiven Erinnerung. Ausgangspunkt war Stefan Georges im Titel zitierte Frage, "kommt wort vor tat kommt tat vor wort?" Meine Antwort bejaht den Zusammenhang von Dichtung und Dolchstoß, von poetischem Wort und heldenhafter Tat: kein Stauffenberg ohne Stefan George.

Die pädagogische Provinz des Poeten gehörte zu den Kräften, die Claus und Berthold von Stauffenberg zur Tat befähigten. Sie verlieh ihnen die innere Autonomie, sich dem Verhaltensdruck der gleichmacherischen "Volksgemeinschaft" und dem der meisten Kameraden, Kollegen und Standesgenossen zunehmend zu entziehen. Diese distanzierende Kraft verstärkte ihren schmerzhaften inneren Entwicklungsprozess. Größe war für die Brüder Stauffenberg kein vager Begriff, sondern erfahrene Wirklichkeit. In Treue zu einem einmal angenommenen Ideal, das sie auch mit dem Dichter verbanden, schufen sie ein sinnbildliches Zeichen. Um das Ganze zu retten, betätigten sie die Bereitschaft, für die erkannte Wahrheit um jeden Preis, auch um den vieler Leben, zu kämpfen und einzustehen, gebunden an ihr Gewissen als höchste Instanz. So behaupteten sie das Leben groß im Geiste wie in der Tat.

Die Titel-Gedichtzeile von Stefan George enthält freilich noch eine zweite Hälfte: "kommt tat vor wort?" In dieser Frage liegt eine konkrete Aufgabe für uns Spätgeborene beschlossen: das Erinnern und Deuten einer Tat und einer Haltung, die alle Kräfte umschloss. Dieses Beispiel gebende "Gewissen der Gegenwart" ist weiterhin zu bewahren. Ohne Wissen über die Vergangenheit lässt sich die Gegenwart nicht begreifen. Die Kräfte zu verstehen, die Geschichte, im Menschen gefasst, erst wirklich und sichtbar machen – das ist zugleich unentbehrlich für das Bewältigen der Zukunft.

Die Brüder Stauffenberg und der Dichter Stefan George – was für eine Erzählung von Größe und Verhängnis, von geistiger Verzauberung und staatsbezogener Verantwortung, von zeitverhaftetem Scheitern und unvergänglichem Verdienst! Was für ein Vermächtnis von Freiheitsgesinnung und Hingabe, von Willenskraft, Selbstgesetzgebung und staatsneubildendem Mut! Und was für ein Thema, nicht nur für immer neue George-Biographien und Stauffenberg-Filme, sondern vor allem für ein gemeinsames Bedenken der Beziehung von Geist und Staat in Deutschland – am Vorabend des 64. Jahrestages des Umsturzversuches vom 20. Juli 1944!