"So wir samt ihm gepflanzt werden zu gleichem Tode, so werden wir auch seiner Auferstehung gleich sein ..."

Eberhard Bethge

„So wir samt ihm gepflanzt werden zu gleichem Tode,

so werden wir auch seiner Auferstehung gleich sein ...“

Predigt von Prof. Dr. Eberhard Bethge DD am 21. Juli 1974 in der Sühne-Christi-Kirche, Berlin

Die überlieferte Epistel für den sechsten Sonntag nach Trinitatis, – heute auch der Sonntag, an dem wir nach 30 Jahren des 20. Juli 1944 im öffentlichen Gottesdienst gedenken – ist das große Taufkapitel des Römerbriefes. Das ist der Abschnitt über die Eingliederung des Christen in das Sterben und in die Auferstehung Christi durch das Sakrament der Taufe.

Aus diesem Kapitel lesen wir in Luthers Worten:

„So wir samt ihm gepflanzt werden zu gleichem Tode,

so werden wir auch seiner Auferstehung gleich sein...

Sind wir aber mit Christo gestorben, so glauben wir,

dass wir auch mit ihm leben werden.

...der Tod wird hinfort über ihn nicht herrschen...

Also auch ihr, haltet euch dafür, dass ihr der Sünde gestorben seid

und lebt Gott in Christo Jesu, unserm Herrn.“

(Römer 6, 5.8.9b.11)

Ich höre diesen triumphalen Text heute gern. Ich werde ihn nicht ausloten, ja fast nur als Hintergrund stehen lassen. Aber er bringt in unser Gedenken eine Vereinfachung zurück, derer wir bedürfen, denn der Abstand von 30 Jahren hat unser Verhältnis zum 20. Juli ja nicht nur abgeklärt, sondern auch kompliziert. Ansichten über den Widerstand und die Stärke des Zugehörigkeitsgefühls haben sich bei Älteren und Jüngeren auseinander entwickelt. Das hat die frühere Eindeutigkeit des Urteils unter uns zumindest geschwächt.

In dieser Lage höre ich gern, wie dieser alte Tauftext so verdichtet Erneuerung aus der großen Wende Christi proklamiert. Aus dem Schluss-Strich unter das alte Kapitel – Sünde, Tod – macht er die Überschrift für das neue Leben. Aus dem Mitsterben wird das Mitleben. Solch einen elementaren Vorgang ersehnen wir. Solch ein Vorgang wartet auf uns.

Vielleicht, dass uns diese Vereinfachung heute in zwei Richtungen hilfreich wird: in einer Versicherung der Maßstäbe für das Ereignis des 20. Juli 1944 – und in einer Versicherung unseres Verhaltens zu seinen Toten.

I.

Wir deuteten es schon an: Mit dem Abstand sind die Maße des Widerstandes, dessen wir gedenken, vielen Umwertungen ausgesetzt. Entstehung, Inhalt, Ziel, Träger und Zukunft des 20. Juli sind unter den verschiedensten Perspektiven erforscht. Einzelheiten, Zusammenhänge und Personen wurden dabei sichtbarer, unter neuen Fragestellungen aber auch unverständlicher. Da die Reihen der Zugehörigen, die mit ihrer ganzen Existenz beteiligt waren, sich gelichtet haben, wird die Interpretation durch sie kraftloser. Während man im Ausland unvermindert nach Büchern und Filmen über den Widerstand greift, und während uns daraus immer noch moralischer Kredit erwächst, verlieren die emotionalen Bindungskräfte an die Namen des Widerstandes bei uns an Wirkung. Sie standen ja immer für eine Sache, von der ein unheimlicher Vorwurf ausgeht. Das alles trägt dazu bei, den 20.Juli in einer anderen Zeit – wenn nicht gar vergessen zu machen, so doch seine Maße zu verschieben.

Demgegenüber bedeutet das gottesdienstliche Zusammensein unter diesem Römertext mindestens, dass wir das Große nicht klein und das Kleine nicht groß werden lassen. Die letzten Maßstäbe dieser Epistel gelten: Sünde, Sterben, Tod und Leben. Und diese Maßstäbe reichen hinaus über die Perspektiven eines abständig betrachteten Phänomens „20. Juli“, ja mitten durch die historischen, soziologischen, marxistischen oder bürgerlichen Perspektiven hindurch. Die einfachen Wahrheiten von Leben und Tod, von Recht und Sünde, von Gott und von den Abgöttern, von Liebe und Menschenverachtung, ja von Komplizentum mit dem Verbrechen und sich ihm Verweigern – sie bleiben die Maße, welche auch in denen eine exemplarische Verkörperung gefunden haben, an die wir heute denken. Diese Maße verdrängt keine dazwischenliegende Zeit. Sie verändert kein unwilliger Trend einer anderen Zeit. Was immer die Männer und Frauen vor 30 Jahren gedacht und auch nicht gedacht haben, was immer sie taten und unterließen, diese Maße haben sie objektiv bezeugt. Und wir sind nicht reich genug an solchen Zeugen, um auf sie verzichten zu können.

II.

Damit sind wir bei dem anderen: beim Verhalten zu unseren Toten, die nicht nur unsere Toten sind. Ich möchte sie in dieser Stunde als Märtyrer ansprechen, im alten Sinne des Wortes als Zeugen durch die Bluttaufe. Ich tue das wohl wissend, dass unsere Kirchen sich noch immer schwer tun, dies mit zu vollziehen aus alten und aus neuen Gründen.

Mögen andere Traditionen im Lauf der Jahrhunderte aus Märtyrern religiöse Heroen gemacht haben, die das Bild Christi verdunkelten, die protestantische Überlieferung hat ihr Verhältnis zu Märtyrern jedenfalls ganz verkümmern lassen. Dabei sagten die Grunddokumente der Reformation noch deutlich, man solle für die Märtyrer als exempla der Gnade danksagen, den Glauben von ihnen stärken lassen; ja, ihnen exempla im Glauben, Leben und Geduld nachfolgen, ihrer gedenken und sie ehren. Im Gesangbuch gibt es noch Spuren, wie Verse von

„den Christen insgemein, die weiland dort trugen

des Kreuzes Joch und der Tyrannen Pein“

(Jerusalem, du hochgebaute Stadt v. J .Weyfarth)

oder:

„Sie wandeln auf Erden und leben im Himmel,

sie bleiben ohnmächtig und schützen die Welt,

sie schmecken den Frieden bei allem Getümmel,

sind arm, doch sie haben, was ihnen gefällt.“

(Chr. Fr. Richter).

Aber Missbrauch und Lehrkämpfe von Jahrhunderten haben aus unserer Frömmigkeit alles verbannt, was lebendige Vorbilder empfiehlt. Paulus war da ganz unbefangen, er verwies sogar auf sich selbst als einem Vorbild. Heute weisen Psychologen nach, dass kein Mensch ohne „Bezugspersonen“ recht aufwachsen kann. Auf dem Feld realer Kämpfe und befleckter Opfer um Recht und Unrecht, um Glaube und Abgötterei darf es höchstens „Bezugspersonen“ aus der unwirklichen Ferne vergangener Zeiten oder aus der unnahbaren Reinheit von stilisierten Supermenschen geben. Übrig bleiben auf der einen Seite angstgesteuerte Zulassungswächter, auf der anderen Seite Menschen im Wahn von unvermittelten Freiheiten, atomisierte Objekte hemmungsloser Wünsche, oder Objekte von Forschung und Organisation. Ein sich identifizierender, schöpferischer Lobpreis wie der ambrosianische:

„die teuren Märtyrer allzumal

loben dich, Herr mit großem Schall“

geht nur schwer über unsere Lippen.

Christus vermittelt seinen Triumph aber durch Menschen von Fleisch und Blut bis auf diesen Tag. Und wir haben die „teuren Märtyrer“, nicht in römischen Arenen und nicht in den Legenden, sondern mit den Namen und Schicksalen unserer Väter. Sie sind nicht die Heiligen in der überlieferten Unnahbarkeit, sondern Menschen mit sichtbaren Halbheiten im Scheinwerfer der Kritik, mit einem deutlichen Zu-spät und einem anerkannten Zu-wenig. Dennoch tragen sie die Merkmale, die seit alter Zeit den Märtyrern als gültigen und vollmächtigen Zeugen Christi und seines Reiches beigelegt worden sind und weshalb ihrer gedacht und ihnen in Glauben, Leben und Geduld nachgefolgt werden soll.

Da ist das erste Merkmal: die freie Einwilligung, den Weg des Komplizentums mit der Abgötterei und mit der Vernichtung zu verlassen und den leidbeladenen Weg des Neins zu betreten. Sie hätten alle doch auch anders gekonnt – wenn schon nicht ja zu sagen, so doch wenigstens nichts zu sagen und nichts zu tun. Statt dessen zerrissen sie wenigstens an einer Stelle die Kette der Sünde.

Da ist das andere Merkmal, welches seit alters diesem korrespondierte und erst einen Zeugen zum Märtyrer machte: Sie drängten sich nicht zum Martyrium. Hybride Märtyrersehnsucht war das Letzte, was sie charakterisiert.

Aber dann ist da das dritte Merkmal – und das macht uns die Sache schwer, soweit wir von dem steril gewordenen Bild beherrscht sind – das Merkmal der Solidarisierung dieser Menschen mit der Schuld ihrer Tage. Dass sie nun eben an alles andere dachten, nur nicht daran, unbefleckt und entrückt bleiben zu können, wenn sie ihre Mitverantwortung für Vergangenes und Zukünftiges aufnahmen und sich den Folgen stellten für das, was lange schon an Menschen und Werten verschuldet war. Damit rückten sie aber – jenseits dessen, was sie subjektiv geglaubt oder nicht geglaubt haben mögen – objektiv an die Seite dessen, der gültig ein für alle Mal Schuld und Sühne auf sich nahm und davon töten ließ.

Natürlich gehörte zu einem Märtyrer klassischerweise auch immer das Merkmal des erklärten „um Christi willen“. Aber die ausdrückliche Erklärung und erst recht die Forderung und Ausforschung der Erklärung ist hier abzulehnen. Wer will hier anfangen, die zu messen, die uns messen. Angesichts der Verwicklungen der Kirchen in die Machtfragen und in die Judenfrage darf hier erst gesprochen werden, wenn auch nur der Anschein vermieden wird, dass wir mit der Forderung nach diesem Merkmal keine Ernte in die eigenen Scheuern einbringen wollen. Wenn die Männer und Frauen, an die wir heute denken, mit ihrem schuldbeladenen Opfertod nicht ein Zeichen sind für einen Riss in der Kette der Schuld und ein Zeichen für die Welt der Auferstehung – wer ist es dann? Wer möchte sich in rechtgläubigem Eifer von ihnen abgehoben wissen?

Ihnen gehört schließlich das höchste Merkmal: dass sie ihrem Zeugnis mit dem Tod die Autorität verliehen haben, die alle Zweideutigkeit wegnimmt. Die alte Kirche hat Märtyrer in den Rang von Aposteln und Propheten erhoben, weil ihre Hingabe ein endgültiges Siegel setzte. Dieses Siegel machte, dass das Zeugnis nicht mehr zurückgenommen oder wiederum verraten werden konnte von seinen Trägern. Was sie mit ihrem Opferzeugnis vom Reich Gottes ausgesagt hatten, das blieb nun gedeckt, so oft und so viel sie vorher diese Aussage geschwächt und korrumpiert haben mögen. Die Autorität dieses Todes leidet keine Rückfragen und bedarf keiner Stützen mehr. Sie fördert nun in einer Welt des Todes den Glauben an das Leben. Hier und nur hier sind Verkündigung und Verkündiger eins geworden. Sie sind nun mit Römer 6 „samt ihm gepflanzt zu gleichem Tode“ und so auch „seiner Auferstehung gleich ... der Tod wird aber hinfort nicht über ihn herrschen.“

III.

Mit solchem Gedenken an die Toten des 20. Juli nehmen wir wenigstens in einer Abschattung auf, was der Römerbrief-Text so endgültig von der Verwandlung des Todes in Leben verkündet. Mindestens dies vernehmen und bekennen wir, dass nicht jeder Tod auch weiter die Sprache von Tod um sich verbreitet; dass jedenfalls dieser Tod derer, zu denen wir und die zu uns gehören, zur Stimme des Lebens gehört – nicht jederlei Lebens, aber Lebens, das Ketten der Sünde zerbricht und frei macht. Ich meinte, dass wir den Text nicht ausloten könnten. Das hängt auch damit zusammen, dass wir normalerweise die existenzverändernde Eingliederung in das Sterben und Auferstehen, die wohl an der alten Taufe einmal gehangen hat, nur noch in der billigen und verflachten volkskirchlichen Taufpraxis unserer Kirchen haben. Das ist ein Hindernis. Deshalb ist uns die Macht dieser Römerbriefstelle so schwer zugänglich und noch schwerer nachvollziehbar. Aber mit dem alten Gedanken der Bluttaufe, die wir vielleicht im Märtyrergedanken wieder ein wenig verstehen, rückt uns dieser Zuspruch des sakramentalen Eingegliedertseins in den Schandtod Christi und in sein neues Leben ein wenig näher. Näher, je mehr wir das Opfer der Unseren aufs Neue annehmen. Wir nehmen dann nämlich an, dass Leben in Wirklichkeit schon Tod sein kann, Atomisierung von Menschen, Gefühllosigkeit für ihre Leiden, Töten – und dass mitten im Tod schon Leben, Zugehörigkeit, Hilfe, Überwindung gewährt und erfahren wird. Wir schrecken dann vielleicht nicht mehr vor dem so weitgehenden Perfektum zurück: „haltet dafür, dass ihr der Sünde gestorben seid und lebt in Christo Jesu, unserem Herrn“.

Die zerbrochene Chance unserer Toten des 20. Juli ist tatsächlich zu einer Chance unseres eigenen Lebens geworden. Wir möchten sie weitergeben.

Vor wenigen Tagen fragte ich einen Holländer, wie er einen solchen Gedenktag bei uns heute ansähe. Er meinte : Wir sind alle „Erbnehmer“ – so drückte er sich aus – sie sind für euch „Erbgeber“; das müsst Ihr ernst nehmen und so müsst Ihr sie als Christen „erinnern“ – sonst tötet Ihr sie noch einmal.