Bewunderung und Stolz

Odilo Braun

Bewunderung und Stolz

Predigt von Pater Odilo Braun am 19. Juli 1961 in der Gedenkstätte Plötzensee, Berlin

Meine Lieben,

jedes Mal, wenn wir uns hier zum heiligen Opfer zusammenfinden, sind wir von sehr tiefen Gedanken erfüllt. Fragen wir uns heute einmal, wie es war, als wir zum ersten Mal den Namen dieser Stätte hörten, als uns das Wort Plötzensee genannt wurde. Es durfte nicht einmal laut gesprochen werden, nur verstohlen flüsterte es einer dem anderen zu. Und als es dann immer mehr traurige und erschütternde Gewissheit geworden war, dass hier an dieser Stätte unsere Männer, Väter, Söhne, unsere Freunde und Mitstreiter ihr irdisches Leben beschlossen hatten, da war es für uns zunächst furchtbar, an diese Stätte denken zu müssen. Nur allmählich wurde dann bekannt, was sich hier abgespielt und was sich alles zugetragen hatte. Von vielen weiß ich, was es an Überwindung gekostet hat, zum ersten Mal hierher zu kommen, als die Möglichkeit gegeben war. Wie soll man es erklären, da es rein natürlich kaum zu begreifen ist, dass, je mehr von den Geschehnissen uns bekannt wurde, umso mehr auch der Schrecken und das Grauen von uns gewichen sind und der Bewunderung, ja einem gewissen Stolz und sogar einer tiefen inneren Freude gewichen sind. Denn das eine Große und Erhebende wurde immer mehr offenbar, dass trotz äußerer Schmach und Erniedrigung, die man den Opfern dieser Stätte zufügte, sie doch die Sieger waren.

Das Wissen darum, dass sie völlig selbstlos, nur für die Ehre Gottes und wegen der Not der Brüder und Schwestern unseres Volkes – und darüber hinaus für den Menschen überhaupt und das Menschliche aufgestanden sind, hat ihnen die große innere Kraft gegeben, ungebrochenen Geistes alles zu überstehen. So ist der Dank in uns wach geworden, der Dank gegen den Geber alles Guten, der solche Kraft unseren Freunden gegeben hat, und der Dank ihnen selbst gegenüber, dass sie die Gabe Gottes so treu bis zuletzt verwaltet und genutzt haben. Immer mehr ist es uns an dieser Opferstätte klar geworden, dass der Herr, der Mensch gewordene Gottessohn, der sich für uns alle hingeopfert hat, sie gewürdigt hat, an seinem großen Opfer teilzunehmen, dass er ihr Opfer in sein großes unendliches Opfer hineingenommen hat. Wie von selbst ergibt sich daraus der Gedanke, dass sie, die dem Herrn so nahe sein durften im Opfer, nun seine Herrlichkeit von Angesicht schauen dürfen. Hier an dieser Stätte hat im Augenblick, da sie ihr Leben hingegeben, dieses Schauen der Herrlichkeit Gottes angefangen, das zu ihrer Seligkeit niemals aufhören wird.

Darum ist uns allen im Verlauf dieser Jahre diese Opferstätte eine wirklich heilige Weihestätte geworden. Ist es nicht so, dass wir in diesem Jahr mit ganz besonderem Verlangen hierher gekommen sind, als Wallfahrer, gedrängt von der Not und Angst, die über der Welt und der Menschheit liegen! Wieder sind Gottlosigkeit und Menschenverachtung am Werke, wieder geschieht dem Menschen und der Menschenwürde Gewalt, und wieder sind darum Not und Sorge so groß. Da wird das Beispiel unserer Freunde wieder lebendig. Es gibt uns Zuversicht und Vertrauen, es hilft uns die Angst und das Bangen, die nur allzu leicht zur Feigheit und Charakterlosigkeit führen, überwinden.

Ein Beispiel dafür, wie groß die Not ist: In der letzten Woche erst begegneten mir in dem Notaufnahmelager in Uelzen zwei Menschen, Flüchtlinge, die infolge der jahrelangen inneren und äußeren Not den Verstand verloren hatten. Ein Alarmruf zur Besinnung auf uns selbst, ein Weckruf, die Aufgaben zu sehen und sie mutig anzufassen.

Unsere Freunde wollen uns an dieser Stelle mahnen, dass wir ihrer würdig werden, aber auch, dass des Allmächtigen Kraft mit denen ist, die um seiner Ehre und der Würde des Menschen willen alles, auch das Schwerste, wagen.

Bitten wir mit ihm, durch ihn und in ihm, der in der heiligen Wandlung zu uns kommt, dass uns allen diese heilige Kraft zuteil werde.

Amen.







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