Das Geschichtsbewusstsein dieser Stadt

Gedenkstätte Deutscher Widerstand

Robert von Steinau-Steinrück

Das Geschichtsbewusstsein dieser Stadt

Ansprache des Vorsitzenden des Vorstands der „Stiftung 20. Juli 1944“ Prof. Dr. Robert von Steinau-Steinrück am 19. Juli 2013 im Berliner Rathaus

Sehr geehrter Herr Bürgermeister Henkel,

liebe Familienangehörige,

meine sehr geehrten Damen und Herren,

für Ihre Einladung und Ihre Worte danken Axel Smend und ich Ihnen im Namen der Stiftung 20. Juli 1944.

An dieser Stelle möchte ich zunächst unsere französischen Freunde begrüßen, nämlich die Vertreter der mit uns befreundeten Organisation von Resistance -Kämpfern; das ist die Association National Mémoire du Mont Valerien, hier die Präsidentin und der Vizepräsident Madame Lysiane Tellier und Alain Faber mit ihrer Delegation.

Lassen Sie mich mit einem Zitat beginnen:

„Die Männer des 20. Juli und ihre Hinterbliebenen danken der Stadt Berlin und ihrem Regierenden Bürgermeister insbesondere für diese Gedenkstunde, die ihnen die erste öffentliche Anerkennung für ihre Tat zollt und die ihre Ehre aller Welt bekannt gibt – eine Tat allerdings, die dem deutschen Volk noch nicht in das geschichtliche Bewusstsein eingegangen ist.

Dass diese Würdigung von Berlin ausgegangen ist, von dieser tapferen Stadt, die seit vielen Jahren im Brennpunkt der Weltspannungen steht, das empfinden wir als eine ganz besondere Ehre.”

Das waren die Worte von Emil Henk, dem ersten Kuratoriumsvorsitzenden der damaligen Stiftung Hilfswerk 20. Juli 1944, Vorgänger von Axel Smend und Rüdiger von Voss am 19. Juli 1953 bei der Einweihung des Denkmals für die Opfer des 20. Juli 1944 im Ehrenhof des Bendlerblocks. Heute vor 60 Jahren.

Den Worten von Emil Henk ist im Grunde wenig hinzuzufügen. Vor diesem Hintergrund versteht sich die Tradition, dass sich hier im Roten Rathaus am Vorabend des 20. Juli die Angehörigen der Stiftung versammeln. Inzwischen ist der 20. Juli durchaus in das geschichtliche Bewusstsein der Deutschen eingegangen. Freilich nicht so tief, wie wir uns das wünschen. Aber wir können konstatieren, dass inzwischen jedenfalls eine große Mehrheit der Deutschen den Aufstand des 20. Juli positiv beurteilt. Zwei Gründe mögen es im Wesentlichen sein, die wiederum viele der heute anwesenden Angehörigen veranlasst, sich für den Stiftungszweck – Erinnerung an den Widerstand und Bewahrung seines Vermächtnisses – zu engagieren. Zum einen ist das die Hilfe, die die unmittelbaren Familienangehörigen damals durch die Stiftung empfangen haben. Zum anderen war es nach alldem, was die Angehörigen unter dem nationalsozialistischen Regime nach dem 20. Juli durchgemacht haben, die folgende kritische Distanz, ja Ablehnung des Aufstands durch eine Mehrheit der Deutschen nach 1945. Wegen dieser Gründe und dieses Umfeldes wollten und wollen viele Angehörige einen Beitrag leisten, damit der Widerstand in seiner Breite im kollektiven Bewusstsein erhalten bleibt.

Dieser Beitrag ist gewiss nicht groß, vielleicht so wie der berühmte „Tropfen auf den heißen Stein“. Wirksam wird er erst dadurch, dass der Bund und das Land Berlin dauerhaft und verlässlich dafür sorgen, dass wir auch in dieser Hinsicht nicht geschichtsvergessen werden. Die zentrale und unermüdliche Einrichtung, mit der wir intensiv kooperieren und der wir viel verdanken, ist die Gedenkstätte Deutscher Widerstand, verknüpft mit den Namen der Professoren Johannes Tuchel und Peter Steinbach.

2013 ist ein Jahr der Jahrestage. Den ersten und für uns naheliegendsten 60. Jahrestag habe ich eingangs erwähnt. Aber es gibt noch mehr. Erst einmal noch in eigener Sache: Unsere Schwesterorganisation, die Forschungsgemeinschaft 20. Juli 1944 wurde am 20. Juli 1973 von jungen Familienmitgliedern gegründet. Sie feiert also morgen ihr 40-jähriges Bestehen. Die Gedenkkirche Maria Regina Martyrum ist seit 1963 der Ort für das Gedenken der katholischen Christen Deutschlands für die, die von 1933 bis 1945 mit ihrem Leben für die Glaubens- und Gewissensfreiheit eingetreten sind. Sie feiert den 50. Jahrestag ihrer Weihe. Im Herbst begeht das Kammergericht den 100. Geburtstag seines Gebäudes am Kleistpark. Auch hier ist der Bezug jedem klar, wenn auch ein ganz anderer. Der Plenarsaal, in dem viele unserer Vorfahren, u.a. auch mein Großvater zum Tode verurteilt wurden (und in dem ich meine Probeklausuren für das 2. Staatsexamen geschrieben habe) hat die Zeiten überdauert. In diesem Saal wird übrigens am 19. August eine Ausstellung über den Prozess um den 20. Juli 1944 eröffnet, die das wichtige Wirken des Braunschweiger Generalstaatsanwaltes Dr. Fritz Bauer würdigt. Er ist der Verunglimpfung von Widerstandskämpfern als „Landesverräter“ 1952 mutig – damals brauchte man auch dafür noch Mut – entgegen getreten, indem er das Verfahren gegen Otto Ernst Remer an sich gezogen und Anklage erhoben hat.

Berlin gedenkt mit dem „Themenjahr 2013“ der Vielfalt seines damaligen Lebens und seiner Zerstörung im Nationalsozialismus. Der 80. Jahrestag der Machtergreifung 1933 und der 75. Jahrestag der Novemberpogrome des Jahres 1938 stehen im Vordergrund.

In diesem ganzen Kontext erschließen sich immer wieder neue Orte in Berlin in ihrer historischen Bedeutung. An einen möchte ich hier kurz erinnern: Das ist der Geschichtspark ehemaliges Zellengefängnis Moabit, Lehrter Straße 3. Hier hatte die Gestapo schon einen Tag nach dem 20. Juli 1944 eine „Sonderabteilung 20. Juli 1944“ eingerichtet. In den folgenden Monaten sind dort mehr als 350 Widerstandskämpfer inhaftiert worden, bevor viele von Ihnen vom sogenannten Volksgerichtshof zum Tode verurteilt und in Plötzensee ermordet wurden. In einer unfassbaren, weil trotz der unmittelbar nah herangerückten Roten Armee noch bürokratisch und kaltblütig durchexerzierten, Mordaktion sind zwischen dem 22. und 24. April 1945 18 Häftlinge von Gestapo-Sonderkommandos in unmittelbarer Nähe des Zellengefängnisses ermordet worden. Darunter waren Albrecht Graf von Bernstorff, Klaus Bonhoeffer, Karl Ludwig Freiherr von und zu Guttenberg, Albrecht Haushofer und zahlreiche andere. Dazu hat die Gedenkstätte gemeinsam mit der Stiftung im Oktober letzten Jahres eine Ausstellung eröffnet, die bis vor kurzem zu sehen war. Aus dem im Zellengefängnis entstandenen Moabiter Sonett „In Fesseln“ von Albrecht Haushofer stammt das Leitmotiv dieser Ausstellung: „Von allem Leid, das diesen Bau erfüllt …“

Auch an unsere Ausstellung möchte ich hier erinnern, die unter dem Titel: „Was konnten sie tun“ die Geschichte von Menschen erzählt, die sich auf ganz unterschiedliche Art dem Nationalsozialismus widersetzt haben, mit „kleinen“ wie mit „großen“ Aktionen. Zuletzt haben wir sie in der John F. Kennedy-Schule im Juni gezeigt. Dies war verbunden mit einer eindrucksvollen Diskussion mit Schülern, die engagiert und interessiert fragten und diskutierten.

Ein Teil der großen Faszination, die Berlin gegenüber den in- und ausländischen Besuchern ausstrahlt, rührt gerade auch aus dem öffentlichen sicht- und erlebbaren Geschichtsbewusstsein dieser Stadt. Gerne leistet die Stiftung weiterhin dazu ihre Beiträge.

Ich danke Ihnen im Namen der Stiftung und der hier versammelten Angehörigen.







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