Die Würde des Menschen ist unantastbar

Gedenkstätte Deutscher Widerstand

Karl Ibach

Die Würde des Menschen ist unantastbar

Begrüßungsansprache des Ersten Vorsitzenden des Zentralverbandes Demokratischer Widerstandskämpfer- und Verfolgtenorganisationen (ZDWV) Karl Ibach am 20. Juli 1981 in der Stadthalle Bonn-Bad Godesberg

Herr Bundespräsident, Frau Präsidentin, Herr Bundesminister, Herr Oberbürgermeister, meine Damen und Herren, liebe Freunde aus dem In- und Ausland!

Im Namen des Zentralverbandes Demokratischer Widerstandskämpfer- und Verfolgtenorganisationen heiße ich Sie freundlichst willkommen zu unserer diesjährigen traditionellen Feierstunde zum Tag des Widerstandes, dem Jahrestag des 20. Juli 1944. Ich danke Ihnen allen recht herzlich für Ihre Anwesenheit am heutigen Abend.

In diesem Jahr haben wir die besondere Freude, den Herrn Bundespräsidenten als Redner begrüßen zu können. Es ist damit das erste Mal, dass ein amtierender Präsident der Bundesrepublik Deutschland an diesem Tag in unserem Kreis das Wort ergreift. Herr Bundespräsident, wir wissen das zu würdigen und danken Ihnen ganz herzlich dafür!

Ebenso begrüßen wir von Herzen die Ehrenpräsidentin unseres Zentralverbandes, die Vizepräsidentin des Deutschen Bundestages Frau Annemarie Renger und danken für ihre Mitarbeit, ihr Interesse und für ihre Bereitschaft, am heutigen Abend ein Dank- und Schlusswort zu sprechen.

Wir begrüßen ferner -

den Herrn Bundesjustizminister Dr. Jürgen Schmude, der den Bundeskanzler und die Bundesregierung vertritt,

den Herrn Oberbürgermeister der Bundeshauptstadt Bonn Dr. Hans Daniels,

und den Herrn General von Bergh, der den Generalinspekteur und die Bundeswehr vertritt.

Ich bitte um Nachsicht, wenn ich davon absehe, noch weitere namhafte und ehrenwerte Gäste namentlich zu begrüßen. Seien Sie alle herzlich willkommen!

Wiederum haben wir uns hier zusammengefunden, um der Männer und Frauen zu gedenken, die in Deutschlands dunkelster Zeit - in den Jahren 1933 bis 1945 - der unmenschlichen nationalsozialistischen Gewaltherrschaft widerstanden und dabei Gut und Blut, Leib und Leben eingesetzt haben.

Mit der diesjährigen Gedenkfeier können wir übrigens ein bescheidenes Jubiläum begehen. Es ist heute das 25. Mal, dass diese Feierstunde von unserem Zentralverband veranstaltet wird, dabei sind in den vergangenen Jahren viele bedeutende Vertreter aus Regierung und Opposition, aus Gewerkschaften und Wissenschaften, aus der Bundeswehr und den Verbänden als Redner aufgetreten.

Unter dem Eindruck des soeben zu Ende gegangenen Majdanek-Prozesses empfinden wir es in diesem Jahr, in dieser Stunde als eine ganz besondere Verpflichtung, der Millionen Opfer des Nazi-Terrors ehrend zu gedenken.

Wir müssen immer wieder feststellen, dass die Tatsache des deutschen Widerstandes gegen Hitler in seinem ganzen Ausmaß und zeitlichen Umfang von 1933 bis 1945 gar nicht ausreichend bekannt ist und entsprechend gewürdigt wird. Vor allem im Ausland trifft man immer noch auf eine weitverbreitete Unkenntnis.

In Anwesenheit von vielen hervorragenden Repräsentanten der Europäischen Résistance lege ich Wert auf die Feststellung der geschichtlichen Tatsache, dass sich das deutsche Volk nicht in seiner Gesamtheit der Diktatur Hitlers unterworfen hat. In wirklich freien Wahlen hat die Nazipartei nie mehr als 37% der Stimmen erhalten. Selbst bei der Wahl am 5. März 1933 - als die SA- und SS-Horden schon die Straßen beherrschten und die Bürger terrorisierten - bekam die NSDAP knappe 44%. Nur unter einer besonders unglücklichen politischen Konstellation, durch Verfassungsbruch, Terror und Gewalt hat Hitler seine Diktatur errichten können. Aber niemals - trotz brutalsten Gestapo-Terrors - konnte der Widerstand dagegen erstickt werden.

Die festgestellte bedauerliche Unkenntnis über Bedeutung und Umfang des deutschen Widerstandes legt uns vermehrt die Pflicht zur geschichtlichen Aufklärung und Information auf. Als Verband können wir allein diese Aufgabe nicht meistern. Dazu bedarf es der Hilfe und Unterstützung von Staat und Gesellschaft, von Parteien und Schulen, von Wirtschaft und Wissenschaft.

Wir wissen, dass im Schoße des Bundesinnenministeriums das Projekt eines Museums der deutschen Geschichte mit einer besonderen Abteilung über den Widerstand schlummert. Wir benutzen die Anwesenheit des Herrn Bundespräsidenten, um seine geschätzte Aufmerksamkeit auf dieses Projekt zu lenken. Herr Bundespräsident, bei Ihrem bekannten großen Geschichtsverständnis wird unser Appell bei Ihnen gewiss nicht unbeachtet bleiben.

Wir müssen uns aber nicht nur gegen die mangelnde Würdigung des Widerstandes wenden, sondern uns auch gegen den Missbrauch des Wortes, des Begriffes Widerstand in seiner geschichtlichen Bedeutung energisch wehren.

Heute schmücken sich manche Gruppen, die in Opposition zu unserem demokratischen Staat stehen, mit dem Wort Widerstand und scheuen sich auch nicht, sich dabei auf den Widerstand gegen die Hitler-Tyrannei zu berufen. Wer aber unseren demokratischen Staat mit undemokratischen, ungesetzlichen, terroristischen Mitteln bekämpft, darf sich nicht auf den Widerstand gegen die Nazi-Diktatur berufen. Dort waren damals alle Bürger- und Menschenrechte aufgehoben und es blieb nur der Kampf gegen den Tyrannen mit allen Mitteln - hier haben wir heute eine demokratische Verfassung, die jedem die legale Möglichkeit zur Opposition durch Meinungs-, Versammlungs-, Presse- und Informationsfreiheit gibt.

In diesem Zusammenhang wird heute auch vielfach mit dem Reizwort „Isolationsfolter“ gespielt - Isolationsfolter mit Büchern und Zeitungen, mit Radio, Fernsehen und Tischtennis - da können wir nur müde lächeln. Die da heute so leichtfertig mit dem Begriff Folter umgehen, wissen ja gar nicht, was Folter überhaupt ist, die sollten uns fragen - wir können es ihnen sagen.

In unserer Republik, in unserem Staat kann jeder seine Meinung ohne Furcht vor Zwang und Verfolgung frei äußern. An der Spitze unserer Verfassung steht das Gebot: Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.

Ich schließe mit einigen Zeilen aus den „Moabiter Sonetten“, die Albrecht Haushofer, der im April 1945 von der Gestapo ermordet worden ist, mit gefesselten Händen in seiner Zuchthauszelle geschrieben hat:

„Den Weggefährten gilt ein langer Blick.

Sie hatten alle Geist und Rang und Namen,

die gleichen Ziels in diese Zellen kamen -

und ihrer aller erwartete der Strick.

Es gibt wohl Zeiten, die der Irrsinn lenkt,

dann sind’s die besten Köpfe, die man henkt.“






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