Gedenken als Ausdruck einer bürgerschaftlichen Verantwortung

Klaus Wowereit

Gedenken als Ausdruck einer bürgerschaftlichen Verantwortung

Grußwort des Regierenden Bürgermeisters von Berlin Klaus Wowereit anlässlich der Eröffnung der neuen Dauerausstellung der Gedenkstätte Deutscher Widerstand am 1. Juli 2014 im Hotel Maritim, Berlin

Sehr geehrte Frau Bundeskanzlerin;

Sehr geehrte Frau Vizepräsidentin des Deutschen Bundestages;

Sehr geehrter Herr Tuchel;

Sehr geehrter Herr Steinbach;

Liebe Inge Deutschkron;

Lieber Herr Smend;

Liebe Angehörige der Opfer;

aber vor allen Dingen seien auch die herzlichst begrüßt, die sich seit vielen Jahrzehnten für ein Gedenken an den Widerstand und an die Opfer des Nationalsozialismus einsetzen. Es gibt viele Unterstützer, die sich dieses Themas angenommen haben. Ihnen allen ein herzliches Willkommen.

Herzlichen Glückwunsch, Herr Tuchel, zu dieser Ausstellung. Wir sind alle gespannt. Die Vorschusslorbeeren sind groß, und es war auch an der Zeit, dass renoviert und neu gestaltet wurde. Dabei wird dem Stand der zeitgeschichtlichen Forschung Rechnung getragen und ein museumspädagogisches Angebot vor allem auch für die jungen Leute entwickelt. Das wird sich sicherlich auszahlen.

Am 20. Juli wird es genau 70 Jahre her sein, dass im Bendlerblock der folgenreichste Umsturzversuch gegen Hitler gewagt wurde. Ein guter Anlass also, die Dauerausstellung zum Widerstand gegen den Nationalsozialismus in modernisiertem Gewand zu eröffnen. Denn noch immer sind die dramatischen und tragischen Ereignisse um den 20. Juli 1944 von einer verstörenden Wirkung. Nicht nur in Bezug auf die tapferen Männer und Frauen die in der Wolfschanze oder im Bendlerblock den Umsturz wagten, – und ich sage deshalb extra „die Frauen“ dazu, wenn sich einige wundern, weil sie dies in vielen Fällen mitgetragen haben –, sondern auch im Hinblick auf die Angehörigen, die in den Tagen nach dem 20. Juli der Willkür der rachsüchtigen Nazis brutal ausgeliefert waren.

Das Thema „Widerstand gegen den Nationalsozialismus“ wirkt heute viel breiter in der Öffentlichkeit verankert. Es hat viele Facetten und manches, was lange Zeit weniger Beachtung fand, bekommt in dieser Ausstellung seine angemessene Würdigung. Aber auch die Sicht unserer Gesellschaft auf den Widerstand gegen Hitler hat sich verändert. Davon profitiert der Bendlerblock als Berlins ältester Gedenkort der nationalsozialistischen Opfer und Verbrechen.

Lange Zeit hat diese Einrichtung nicht die Wertschätzung erfahren, die sie verdient hatte. Denn dieser Ort steht vor allem für den 20. Juli. Mit diesem Gedenken tat sich die westdeutsche Gesellschaft bekanntlich schwer. Gegen die heldenhaften Wehrmachtsoffiziere und ihre Verbündeten aus unterschiedlichen politischen Lagern gab es in der Bundesrepublik viele Ressentiments. Man traute ihnen nicht recht über den Weg. Sie blieben fremd, auch weil ihr Umsturzversuch gescheitert war, weil ihre Welt mit ihnen untergegangen und damit diskreditiert war. Und manchen galten sie als Verräter. Ein Übriges trug der Ost-West-Konflikt bei, der kalte Krieg war auch ein Krieg um Geschichtsbilder und Deutungshoheit. Es ist wahrlich kein Ruhmesblatt, dass die DDR-Geschichtsschreibung den Widerstand vom 20. Juli diskreditierte wo sie nur konnte und dass es im Westen manche Nachahmer gab. Mit einer kritischen Auseinandersetzung hatte das oft nichts mehr zu tun. In den scharfen ideologischen Auseinandersetzungen um deutsche Verantwortung und Schuld blieb deshalb wenig Raum für eine unvoreingenommene und differenzierte Auseinandersetzung mit dem 20. Juli.

Das gilt auch für andere Widerstandsgruppen. Die Wahrnehmung des jüdischen Widerstands trat lange Zeit hinter die alles beherrschende Opferrolle im Holocaust zurück. Die Sinti und Roma erlitten in der Bundesrepublik Diskriminierung, so dass sie weder als Opfer noch als widerständisch wahrgenommen wurden. Dem Ansehen aller Widerstandsgruppen schadete ihr Scheitern. Sie konnten dem Morden nicht Einhalt gebieten. Welche enorme Leistung widerständisches Verhalten bedeutete, wurde oft nicht gebührend wahrgenommen.

Dass der Bendlerblock überhaupt als zentraler Ort des Widerstands gegen den Nationalsozialismus im öffentlichen Bewusstsein verankert werden konnte, ist das Verdienst der Überlebenden des 20. Juli und ihrer Angehörigen. Sie kämpften für diesen Gedenkort. Es ist auch gerade ihr Verdienst, dass unsere Gesellschaft lernen konnte, den Widerstand gegen Hitler und besonders den 20. Juli wertzuschätzen und zu würdigen. Dafür sei ihnen heute und an dieser Stelle unser ausdrücklicher Dank gesagt.

Mit der Wiedervereinigung öffnete sich dem Gedenken ein historisches Fenster. Seither erscheint auch der Widerstand vom 20. Juli in einem anderen Licht. Was es heißt, wenn aus Anpassung Widerstand gegen eine Diktatur wird, was es bedeutet, für seine Überzeugung gegen eine allmächtige Staatsmacht offen einzustehen, haben die Menschen in Ost-Berlin und der DDR hautnah erlebt. Dieses Erbe, aber auch die Frage, wie stellt sich das wiedervereinte Deutschland seiner Geschichte, gerade hier in der deutschen Hauptstadt, haben zu einer neuen, zu einer offeneren, freieren Sicht auf den Widerstand gegen den Nationalsozialismus geführt.

Diese Ausstellung zeichnet ein sehr komplexes und vielfältiges Bild vom Widerstand gegen Hitler, und sie zeigt, dass Widerstand in allen Teilen der Gesellschaft vorhanden war. Ein Befund, der die Mehrheit der Angepassten und Nazianhänger umso stärker ins Unrecht setzt. Berlin hat seine Geschichte angenommen, diese wechselvolle Geschichte. Seit der Wiedervereinigung hat diese Stadt eine enorme Vielfalt an zeitgeschichtlichen Gedenk- und Erinnerungsorten gewonnen. Dieses Gedenken ist nicht von oben verordnet, sondern Ausdruck einer bürgerschaftlichen Verantwortung für die eigene Geschichte. Deshalb ist es so wirksam. Diese bürgerschaftliche Erinnerungskultur ist ein wesentlicher Garant für Berlins Freiheit, Toleranz und Weltoffenheit.

Die Gedenkstätte Deutscher Widerstand, die einst von Überlebenden und Angehörigen des Widerstands gegen Hitler begründet wurde, ist ein zentraler Bestandteil von Berlins Erinnerungskultur. Hier sind ergreifende Geschichten zu vernehmen: von Verstrickung und Selbstbefreiung, von tiefer Verzweiflung und äußerstem Mut.

Dank an all die, die an der neuen Ausstellung mitgewirkt haben: Professor Steinbach, Professor Tuchel und sein Team. Dank an die Kanzlerin; das Bundeskanzleramt mit dem Kulturbereich hat sich wesentlich an der Verwirklichung dieser neuen Konzeption, ich meine natürlich an den Kosten, beteiligt. Die neue Ausstellung ist barrierefrei. Eine Herausforderung für alle, die sich mit dem dunkelsten Kapitel deutscher Geschichte befassen, wird sie hoffentlich bleiben, und sie wird auch Kontroversen auslösen. Dies soll sein. Aber bitte im Respekt vor den Widerstandskämpfern des 20. Juli.

In dem Sinne der neuen Ausstellung: Viel Erfolg, viele Besucherinnen und Besucher, vor allen Dingen junge Menschen, die das dann nachvollziehen können, was es bedeutet hat, Widerstandskämpfer in einer Diktatur zu sein.







Weitere Reden

01.07.2014
Prof. Dr. Johannes Tuchel