Politischer Terrorismus heute

Gedenkstätte Deutscher Widerstand

Kurt Rebmann

Politischer Terrorismus heute

Ansprache des Generalbundesanwalts Prof. Dr. Kurt Rebmann am 20. Juli 1982 in der Stadthalle Bonn-Bad Godesberg

Das mir gestellte Thema „Politischer Terrorismus heute“ ist weit gespannt. Ich kann es in dem mir gesetzten zeitlichen Rahmen nicht erschöpfen, sondern nur einige Probleme des deutschen Terrorismus moderner Prägung vor Ihnen ausbreiten, die aus der Sicht des Generalbundesanwalts als Strafverfolgungsbehörde - auch im Zusammenhang mit dieser heutigen Veranstaltung - besonders wichtig erscheinen.

Die Männer und Frauen des deutschen Widerstands, derer wir heute in dieser Feierstunde gedenken, wollten nicht nur einen verbrecherischen und mörderischen Krieg beenden. Ihr Bestreben war es auch, in Deutschland wieder rechtsstaatlich geordnete Verhältnisse herzustellen. In dem Aufruf an das deutsche Volk, der für den Fall der Beseitigung Hitlers vorbereitet war, heißt es unter anderem:

„... Hitler hat das Recht zerstört ... Rechtlosigkeit, ... Verbrechen und Korruption hat er in unserem Vaterland, das von jeher stolz auf seine Rechtlichkeit ... war, auf den Thron gesetzt ...

Wir wollen ... Recht und Freiheit an Stelle von Lüge und Eigennutz ... Die Schuldigen, die den guten Ruf unseres Volkes geschändet ... haben, werden bestraft werden ...“

Viele der Widerstandskämpfer mussten ihr Streben nach einem besseren, nach einem rechtsstaatlich verfassten Deutschland mit dem Leben bezahlen. Aber ihre Ideen sind lebendig geblieben. Mit der Bundesrepublik Deutschland ist aus den Trümmern des Deutschen Reiches der am meisten freiheitliche und an den Prinzipien des Rechts orientierte Staat entstanden, den es jemals auf deutschem Boden gegeben hat.

Aber auch in diesem Rechtsstaat gibt es - wie in vielen anderen Staaten auch - seit Ende der 60er Jahre einen politisch motivierten Terrorismus, der unsere innere Sicherheit bedroht. Politischer Terrorismus kann definiert werden als die Methode, mit der Gruppen oder Einzelne versuchen, politische Ziele durch systematische Androhung oder Anwendung von Gewalt durchzusetzen; diese Gewalt ist in der Regel gegen solche Personen oder Institutionen gerichtet, die staatliche oder gesellschaftliche Macht repräsentieren oder symbolisieren. Ganz auf dieser Linie liegt der deutsche Terrorismus, der es sich zum Ziele gesetzt hat, diesen Staat und seine Gesellschaftsordnung durch Gewalt zu verändern oder jedenfalls seine innere Sicherheit durch Gewaltaktionen zu erschüttern.

Unter diktatorischen Regimen, die eine wirksame politische Betätigung und jede auf Änderung der Verhältnisse gerichtete Mitwirkung des Volkes an der staatlichen Willensbildung auf Dauer ausschließen, mögen auch heute noch in Ausnahmefällen solche Gewaltaktionen psychologisch erklärbar, politisch begründbar oder sogar moralisch gerechtfertigt sein. Eine solche Situation besteht aber nicht in der Bundesrepublik Deutschland mit ihrer durch das Erleben von Unrechtsstaat und Widerstand geprägten freiheitlichen Verfassung. Hier kann - innerhalb der von dieser Verfassung sehr weit gezogenen Grenzen - jeder seine politische Meinung vertreten, für diese Meinung werben und die öffentlichen Dinge mit den Möglichkeiten und Chancen der Demokratie nach seinen Vorstellungen mitzugestalten oder auch zu ändern versuchen.

Die deutschen Terroristen können deshalb ein Recht zum Kampf gegen unseren Staat auch nicht - wie dies immer wieder versucht wird - aus einem Widerstandsrecht des Bürgers herleiten. Dies kommt, wie Bundespräsident Carstens vor einem Jahr an dieser Stelle gesagt hat, einer Verunglimpfung der Männer und Frauen des 20. Juli gleich. Denn sie haben gegen ein Regime rechtsfeindlicher Gewaltherrschaft gekämpft und nicht gegen einen demokratischen und freiheitlichen Rechtsstaat, der wie der unsere auch seinen Gegnern mit den Mitteln des Rechts gegenübertritt.

Wir unterscheiden im deutschen Terrorismus zwischen Gruppierungen, die ihre Taten mit rechtsextremistischen politischen Motiven zu bemänteln suchen und solchen, die dies mit linksextremistischen Argumenten tun. Diese unterschiedlichen ideologischen Ausgangspunkte lassen sich natürlich nicht verwischen. Es kann aber nicht übersehen werden, dass sich z. B. die Kommentare zu der heimtückischen Ermordung meines Amtsvorgängers, des Generalbundesanwalts Buback, in links- und rechtsextremistischen Pamphleten in ihrer Bösartigkeit kaum voneinander unterschieden haben. Und ich muss ferner darauf hinweisen, dass beide Seiten ihre Ziele mit Taten zu erreichen suchen, die nach allgemeinem deutschen Strafrecht schwere und schwerste Verbrechen, bis hin zu vorsätzlichen Tötungsdelikten, darstellen.

1. Der Rechtsterrorismus

Der Terrorismus von rechts war in den letzten Monaten des vergangenen Jahres besonders virulent. Seine neonazistisch geprägte Ideologie und seine Tendenzen lassen sich stichwortartig wie folgt kennzeichnen:

Wiedererrichtung eines der NS-Diktatur entsprechenden Führerstaates

Glorifizierung des Dritten Reichs und seiner Führungspersonen

Leugnung jeder Schuld des Nationalsozialismus und ferner

Verkündung eines aggressiven Antisemitismus und einer militanten Ausländerfeindlichkeit.

Ich sehe im Rechtsterrorismus und auch im militanten Rechtsextremismus ein Langzeitproblem für unseren Staat und für unsere Gesellschaft, das man nicht unterschätzen darf und das sehr ernst genommen werden muss. Gerade junge Menschen scheinen für diese ideologische Verführung anfällig zu sein, wenn sie sich wegen der schwierigen wirtschaftlichen Verhältnisse und verbreiteter Arbeitslosigkeit materiell und im übrigen auch ideell ohne Perspektive glauben.

Die Gefährlichkeit des Rechtsterrorismus wurde zuletzt durch die Vorgänge in München am 20. Oktober des vergangenen Jahres deutlich, bei denen Rechtsextremisten gegen Polizeibeamte eine Handgranate gezündet und dabei zwei Mittäter durch Tod verloren haben. Mich hat diese Eskalation der Gewalt nicht überrascht. Beweise für einen auch vorsätzliche Tötungsdelikte einkalkulierenden Rechtsterrorismus waren schon die Mordanschläge durch „Deutsche Aktionsgruppen“ auf ausländische Asylanten in Lörrach und Hamburg im Jahre 1980. Wegen dieser und anderer Taten hat das Oberlandesgericht Stuttgart vor wenigen Wochen auf meine Anklage gegen Roeder und andere in zwei Fällen lebenslange und in zwei Fällen lange Freiheitsstrafen ausgesprochen. In diesem Zusammenhang ist auch auf die Herbeiführung der Bombenexplosion auf dem Oktoberfest in München am 26. September 1980 durch Gundolf Köhler und auf die Tötung schweizerischer Grenzbeamter durch Frank Schubert bei Koblenz/Woldshut im Dezember des Jahres 1980 hinzuweisen.

Auch die Erkenntnisse im Zusammenhang mit dem Verfahren gegen Karl-Heinz Hoffmann und andere belegen die Bedrohung unseres Staates durch rechtsterroristische Aktivitäten. Hoffmann hatte im Anschluss an das im Januar 1980 vom Bundesminister des Inneren ausgesprochene Verbot seiner in der Bundesrepublik Deutschland aktiven „Wehrsportgruppe (WSG) Hoffmann“ im Libanon eine nur aus Deutschen bestehende bewaffnete, militärisch organisierte und nach dem Führerprinzip geleitete Gruppe, die so genannte „WSG-Ausland“, aufgebaut, mit der er die staatliche Ordnung in der Bundesrepublik Deutschland durch Begehung von terroristischen Straftaten bekämpfen wollte. Das von mir wegen dieses Sachverhalts eingeleitete Ermittlungsverfahren musste ich jedoch einstellen, weil nach einer neuerlichen höchstrichterlichen Entscheidung im Ausland gelegene terroristische Vereinigungen nur dann von den einschlägigen deutschen Strafvorschriften erfasst werden, wenn sie im Inland zumindest eine Teilvereinigung der ausländischen Mutterorganisation bilden. Das war im Falle der „Wehrsportgruppe Ausland“ nicht der Fall. Eine zentrale strafrechtliche Bekämpfung solcher terroristischer Vereinigungen durch den Generalbundesanwalt oder überhaupt im Vorfeld ist folglich derzeit nicht möglich. Der Gesetzgeber sollte diese Lücke in der zentralen Strafverfolgung von Terroristen möglichst bald schließen. Vorschläge dazu sind gemacht. Gerade das Verfahren gegen Hoffmann hat gezeigt, welche erhebliche Gefahr für die Sicherheit und Ordnung der Bundesrepublik Deutschland auch dann entstehen kann, wenn eine ausschließlich aus Deutschen bestehende terroristische Vereinigung, die Anschläge im wesentlichen in der Bundesrepublik begehen will, sich entweder im Ausland konstituiert oder aber ihren Sitz ins Ausland verlegt.

Eine ernsthafte und aktuelle Gefährdung der inneren Sicherheit unseres Staates insgesamt - ich betone: insgesamt - durch eine rechtsterroristische Vereinigung vermag ich aus der Sicht der von mir geführten Verfahren gleichwohl bis jetzt nicht zu erkennen. Die von uns festgestellten rechtsterroristischen Gruppierungen haben nach der Festnahme und Aburteilung ihrer Mitglieder zu bestehen aufgehört, zuletzt die „Deutschen Aktionsgruppen“ durch die Verurteilung ihrer Hauptakteure im Stammheimer Verfahren 1982 und der virulente harte Kern der „Volkssozialistischen Bewegung Deutschlands - VSBD“ - durch die Verhaftungen und die Personenverluste in München im Oktober 1981. Auch diese Gruppe ist inzwischen vom Bundesminister des Inneren verboten worden. Gleichwohl steht die Gefährlichkeit des Rechtsterrorismus in unserem Staat außer Zweifel. Wir haben gesicherte Anhaltspunkte dafür, dass der Rechtsextremismus in zunehmendem Maße international kooperiert. Wir wissen auch, dass deutsche Rechtsterroristen sich ins westliche Ausland, vor allem nach Frankreich und in die Benelux-Staaten, abgesetzt haben, um von dort aus Straftaten im Inland, vor allem zur „Geldbeschaffung“, zu begehen. Insoweit kopieren die Rechtsterroristen das Verhalten von Linksterroristen. Ich gehe - auch im Hinblick auf die Waffenfunde in der Lüneburger Heide im Herbst 1981 - ferner davon aus, dass Rechtsextremisten in der Bundesrepublik und im benachbarten Ausland in erheblichem Umfang über Waffen verfügen. Deshalb müssen wir immer mit der Möglichkeit von Terroranschlägen aus dem rechten Lager rechnen. Das Verhalten der Rechtsterroristen zeigt vor allem Züge der Nichtberechenbarkeit. Aber das ist für „Aktionen“ aus dieser Szene typisch.

Die Bewältigung des Terrorismus von rechts - ebenso wie des von links - kann freilich nicht nur mit den Mitteln des Strafrechts, also repressiv, erfolgen. Sie muss vielmehr auch präventiv geschehen und erfordert eine ständige politische Auseinandersetzung mit extremistischer und terroristischer Ideologie. Mit Sorge erfüllen mich in diesem Zusammenhang die propagandistischen Aktivitäten der Neonazis im Ausland, die Wegbereiter für rechtsterroristische Aktionen sein können. Ich bedauere es, dass man in nicht wenigen Ländern des Auslands nazistische Schriften, z. B. den NS-Kampfruf, herstellen und vertreiben darf. Im Ausland können auch nazistische Embleme, z. B. das Hakenkreuz, benutzt und ohne Furcht vor Sanktionen offen getragen werden. Es wäre aus meiner Sicht außerordentlich hilfreich für die deutschen Strafverfolgungsbehörden, wenn das Ausland in der Verfolgung solcher Nazipropaganda uns verstärkt unterstützen würde.

2. Der Linksterrorismus

Der deutsche Terrorismus von links, dem ich mich jetzt zuwende, will - vereinfachend ausgedrückt - nach dem Vorbild südamerikanischer Stadt-Guerillas das bestehende Gesellschaftssystem ohne zeitlichen Aufschub im Interesse einer nicht näher definierten, aber letztlich als sozialistisch bezeichneten Ordnung zerschlagen. Feindbild ist jetzt vor allem der „Imperialismus“ der USA und das „System“ der Bundesrepublik Deutschland als Repräsentant der USA in Europa. Aktionsziel ist der Aufbau einer durchgängigen „antiimperialistischen Front“. Träger linksterroristischer Aktivitäten waren bzw. sind die „Rote Armee Fraktion - RAF“, die „Bewegung 2. Juni“ und die Revolutionären Zellen - RZ“.

a) Ich halte die „Rote Armee Fraktion“ mit ihrer geschliffenen Kriminalität angesichts der von ihr - vor allem im Jahre 1977 - begangenen und sicherlich noch zu erwartenden schweren Straftaten auf kurze und mittlere Frist gesehen nach wie vor für die gefährlichste deutsche Terroristengruppierung. Die ihr zuzurechnenden Anschläge in Ramstein im August und auf US-General Kroesen im September 1981 in Heidelberg haben deutlich gemacht, dass die „RAF“ ihre verbrecherischen Ziele unverändert weiter verfolgt. Dank der guten Ermittlungs- und Fahndungsarbeit des Bundeskriminalamtes und der Polizeien der Länder ist es zwar gelungen, die terroristische Logistik in erheblichem Umfang zu durchdringen. Gerade die Ereignisse des letzten Jahres haben aber deutlich gemacht, dass trotz der zahlreichen Festnahmen und Verurteilungen in den vergangenen Jahren, trotz der Entdeckung vieler konspirativer Wohnungen im In- und Ausland und trotz vieler Personenverluste der Szene die noch in Freiheit befindlichen Mitglieder der „RAF“ willens und auch personell und logistisch in der Lage sind, terroristische Gewalttaten, vor allem gegen ganz bestimmte Symbolfiguren unseres Staates und auch der amerikanischen Streitkräfte, zu begehen. Ich stelle dabei in Rechnung, dass die „Rote Armee Fraktion (RAF)“ neben ihren aus dem Untergrund operierenden Kommandos jetzt auch ein Potential von nicht im Untergrund lebenden Personen hat, das die Propaganda und in erheblichem Maße auch die Logistik der „RAF“ besorgt. Letztlich hat die „Rote Armee Fraktion (RAF)“ aber ihr Ziel, den - wie sie es ausdrückt - „Kampf gegen den US-Imperialismus und die NATO zu organisieren“, bisher nicht verwirklichen können, auch nicht ihre ursprüngliche Konzeption einer Solidarisierung der Arbeiterschaft oder der Studenten mit ihren politischen Vorstellungen. Gleichwohl ist sie - wie auch ein kürzlich in mehreren Städten der Bundesrepublik aufgetauchtes „Strategiepapier“ der „RAF“ mit dem Titel „Guerilla, Widerstand und antiimperialistische Front“ belegt - weiterhin bestrebt, mit „langem Atem“ und unter „professioneller Vorbereitung“ terroristische Gewalttaten vornehmlich gegen solche Ziele durchzuführen, denen sie einen besonderen „imperialistischen“ Stellenwert beimisst.

Auf weite Sicht gebe ich der „RAF“ keine große Chance, weil sie selbst für Anhänger der Szene zu brutal agiert. Überhaupt bin ich der Meinung, dass die Gefährdung der inneren Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland durch einen mit Tötungsdelikten und Geiselnahmen operierenden aggressiven Terrorismus von links heute geringer ist als im Jahre 1977 und die Sicherheitslage in diesem Bereich besser als damals.

Dieser aggressive Terrorismus ist - wie ich dargelegt habe - mit Sicherheit noch keineswegs überwunden. Aber der starke polizeiliche Fahndungsdruck im Inland und Ausland hat die Planung und die Aktivitäten der Untergrundkommandos der „RAF“ doch ganz offensichtlich erheblich gestört und beeinträchtigt.

b) Die terroristische Vereinigung „Bewegung 2. Juni“, die für die Lorenz-Entführung, die Palmers-Entführung und nach meinen Erkenntnissen auch für die Ermordung des Berliner Kammergerichtspräsidenten von Drenkmann im Jahre 1974 verantwortlich ist, ist nach den Festnahmeerfolgen der letzten Jahre, nach der gerichtlichen Verurteilung fast aller Mitglieder und nach einer ideologischen Erosion heute nicht mehr existent. Ihre wenigen noch auf freiem Fuß befindlichen Mitglieder dürften sich der „RAF“ angeschlossen haben.

c) Die gefährlichste terroristische Gruppierung sind nach meiner Einschätzung auf weite Sicht die „Revolutionären Zellen (RZ)“. Sie haben außer der Tötung des hessischen Wirtschaftsministers Karry, zu der sie sich - unter Verneinung einer Tötungsabsicht - bekannt haben, seit dem Jahre 1973 bis heute in unverminderter und kontinuierlicher Aktivität mehr als 100 Brand- und Sprengstoffanschläge, zuletzt auch erneut auf Einrichtungen der US-Streitkräfte kurz vor und nach dem Reagan-Besuch, begangen. Die „Revolutionären Zellen“ operieren breitflächiger als die „RAF“. Sie sind in ihren weitgehend legalen, sehr diffusen Strukturen äußerst schwer nach Personen und Namen zu erfassen und zu enttarnen. Zudem bringen sie ihre Aktionen regelmäßig in Zusammenhang mit öffentlich kontrovers und stark emotional diskutierten Problemen - wie die Startbahn West des Frankfurter Flughafens oder der Ausbau der Kernenergie - oder mit gesellschaftlichen Missständen - wie bestimmte Vorgänge im Wohnungsbau -, was Solidarisierungen mit dieser Szene begünstigt. Konzeption, Strategie und Taktik der „Revolutionären Zellen“ haben zu einer ständig zunehmenden terroristischen Tätigkeit von autonomen, sich ad hoc bildenden Kleinstgruppen und Einzeltätern im Sinne einer Guerilla Diffusa geführt, die schwerwiegende einzelne Straftaten begehen, jedoch in ihrer Struktur die Qualität einer terroristischen Vereinigung im Sinne unseres Strafrechts wohl nicht erreichen.

Bei einem Fortgang dieser Entwicklung befürchte ich, dass bei der bisher im Bereich der Terrorismusbekämpfung bestehenden Anbindung der Verfolgungszuständigkeit des Generalbundesanwalts an das Vorliegen einer terroristischen Vereinigung ein großer Teil schwerwiegender politisch motivierter Straftaten nicht mehr zentral von mir verfolgt werden kann.

Auch zur Lösung dieses Problems wurden Vorschläge gemacht. Ich sehe in der Bekämpfung dieser deutschen Guerilla Diffusa eine besonders wichtige Aufgabe der Sicherheitsbehörden in den kommenden Jahren.

Was die internationale Verflechtung des deutschen politischen Terrorismus anbelangt, gibt es im Gegensatz zu früheren Jahren - ich erinnere an Gemeinschaftsaktionen wie den OPEC-Überfall in Wien im Dezember 1975 oder an die Entführung der Lufthansa-Maschine „Landshut“ im Oktober 1977 - derzeit keine gesicherten Erkenntnisse darüber, dass deutsche Terroristen in den letzten Jahren gemeinsam mit terroristischen Vereinigungen des Auslands bestimmte terroristische Gewalttaten geplant, vorbereitet oder durchgeführt haben. Wir wissen aber, dass es vielfältige persönliche und logistische Kontakte zwischen deutschen terroristischen Vereinigungen und entsprechenden Gruppen des Auslands gibt. Dies gilt sowohl für den Rechtsterrorismus als auch für den linksterroristischen Bereich.

In diesem Zusammenhang ist nicht zu übersehen, dass trotz der Fahndungserfolge der deutschen Strafverfolgungsbehörden noch immer zahlreiche mit Haftbefehl gesuchte terroristische Gewalttäter auf freiem Fuß sind. Deshalb muss der bestehende Fahndungsdruck erhalten und nach Möglichkeit noch verstärkt werden. Die Fahndung im Terrorismusbereich hat ihre spezifischen Schwierigkeiten, weil die Terroristen äußerst mobil sind, ihre Identität und ihr Aussehen ständig verändern und sich auch in westlichen Nachbarstaaten logistische Basen geschaffen haben. Die Fahndung muss deshalb vor allem im internationalen Bereich intensiviert werden. In einem Europa der offenen Grenzen wird es für eine erfolgreiche Fahndung nach gesuchten terroristischen Gewalttätern deshalb entscheidend auf die enge Zusammenarbeit der Sicherheitsbehörden der beteiligten Länder ankommen.

Wenn von politischem Terrorismus in unserem Staate die Rede ist, muss im sachlichen Zusammenhang damit auch ein Wort zu solchen Personengruppen gesagt werden, die zwar im strafrechtlichen Sinne keine terroristischen Vereinigungen sein mögen, die aber gleichwohl politische Ziele mit Gewalt durchzusetzen versuchen. Ich meine die Gewaltbereitschaft autonomer, anarchistischer Kräfte gegenüber Maßnahmen und Entscheidungen, die von den nach Recht und Gesetz zuständigen Organen getroffen und in einem rechtsstaatlichen Verfahren durch gerichtliche Urteile bestätigt worden sind. Ich erinnere zuletzt nur an die Missachtung des vom Oberverwaltungsgericht Berlin ausgesprochenen Verbots einer Demonstration, die zu schweren und blutigen Ausschreitungen mit Verletzungen zahlreicher Polizeibeamter und gravierenden Sachbeschädigungen geführt hat. Die hier zum Ausdruck kommende rechtsfeindliche Haltung und Gesinnung eskaliert in der These, dass man sich das Recht auf - auch gewaltsamen - Widerstand gegen den Ausbau von Flughäfen, Autobahnen oder der Kernenergie auch nicht durch rechtskräftige Entscheidungen höchster Gerichte „nehmen“ lasse. Hier muss der Rechtsstaat seine Mittel, auch die des Strafrechts, erforderlichenfalls unnachgiebig und kompromisslos einsetzen, um die Gefahr eines „anarchistischen Faustrechts“ von vornherein zu beseitigen. Es geht hier nicht um rechtlich zulässigen Bürgerprotest, der von legitimen Anliegen, z. B. der Sorge um den Umweltschutz getragen ist. Ich denke allein an die Ihnen bekannten rechtlich unzulässigen Nötigungshandlungen, mit denen die Entscheidungskompetenzen demokratisch legitimierter Verfassungsorgane unterlaufen werden sollen. Wenn sich aber demokratisch nicht legitimierte und militante Gruppierungen durch Gewalt oder durch Drohung mit Gewalt Entscheidungskompetenzen anmaßen, kann das im Grundgesetz und in den Verfassungen der Länder verankerte Prinzip der repräsentativen Demokratie ausgehöhlt werden. Das darf nicht hingenommen werden. Hier müssen die Erfahrungen der endenden 20er und der beginnenden 30er Jahre eine Lehre für uns alle sein. Und ferner: Wir müssen alle rechtlichen und technischen Möglichkeiten ausschöpfen, Leben und Gesundheit unserer Polizeibeamten beim Einsatz für diesen Rechtsstaat noch mehr gegen gewalttätige Angriffe zu schützen. Auch hierzu sind Vorschläge gemacht worden. Wir dürfen unsere Polizeibeamten, die für diesen Staat stehen und eintreten, nicht ohne ausreichenden rechtlichen und faktischen Schutz dem Zugriff von Chaoten und Anarchisten preisgeben.

Politischer Terrorismus gleich welcher Richtung bedroht die Sicherheit unseres Staates; er bedroht auch die Sicherheit unserer Bürger. Die Gewährleistung unserer inneren Sicherheit ist aber nicht allein Aufgabe der staatlichen Sicherheitsbehörden. Sie ist auch ein gesamtgesellschaftliches Problem, zu dem alle gesellschaftlichen Kräfte, von der Familie, den Schulen, den Kirchen und den Gewerkschaften bis hin zu den politischen Parteien ihren wichtigen Beitrag leisten müssen.

Hierzu gehört auch unser aller Bemühen darum, dass die Männer und Frauen des deutschen Widerstandes für die nachwachsende Generation, die Rechtlosigkeit und Gewaltherrschaft nicht mehr aus eigenem Erleben kennt, nicht zu fernen historischen Gestalten werden, sondern lebendige Vorbilder beim Kampf um die Bewahrung von Freiheit und Recht sind und bleiben.






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