Soldat und Widerstand

Gedenkstätte Deutscher Widerstand

Jürgen Brandt

Soldat und Widerstand

Gedenkrede des Generalinspekteurs der Bundeswehr General Jürgen Brandt am 20. Juli 1982 in der Stadthalle Bonn-Bad Godesberg

Dass ein Soldat hier und heute spricht, ist nicht neu. Es ist eine Selbstverständlichkeit geworden, seit 1963 General Graf Kielmansegg als erster Soldat in einer solchen Gedenkstunde gesprochen hat.

Ich werte die Einladung an mich als einen Beweis dafür, dass Sie, die Frauen und Männer, die Widerstand geleistet haben, Vertrauen in die Soldaten der Bundeswehr haben, politisches Vertrauen. Dafür danke ich Ihnen; uns ist dieses Vertrauen eine Verpflichtung.

Dass die Bundeswehr den 20. Juli als ein für ihr Selbstverständnis wichtiges Datum ansieht, ist vielfach zu belegen. Das „Handbuch Innere Führung“, 1956 zum ersten Mal erschienen und nach dem Willen des ersten Generalinspekteurs der Bundeswehr, General Heusinger, eine geistige Wegweisung, widmet diesem Datum der deutschen Geschichte ein eigenes Kapitel. In ihm wird erläutert, warum die Haltung zum 20. Juli 1944, zum Widerstand gegen den Tyrannen, Prüfstein und Sonde für die Soldaten der neuen deutschen Streitkräfte ist, Kriterium ist für Wehrmotivation und Berufsverständnis.

General Heusinger hat 1959 den ersten Tagesbefehl zum 20. Juli erlassen. Seine Nachfolger sind ihm in dieser Praxis gefolgt, aber auch mit Aufsätzen und mit Reden.

Selbstverständlichkeit - Sonde für die Motivation - Tagesbefehle: Es erscheint angebracht, dies alles zu reflektieren und die Ergebnisse des Überlegens zur Festigung des Fundaments zu nutzen, auf dem wir Soldaten stehen.

Warum gedenken gerade Soldaten in besonderer Weise des 20. Juli 1944?

Weil Soldaten am Aufstand des Gewissens beteiligt waren? Weil der Attentäter, Claus Graf von Stauffenberg, Offizier war? Geht es vielleicht darum, einen Stand, dem zu Recht und zu Unrecht vieles angelastet wurde, reinzuwaschen?

Ich meine, dies alles griffe zu kurz. Das gäbe keine hinreichende Antwort auf die Frage, warum der 20. Juli für uns Soldaten bedeutsam ist, warum ich eingeladen bin, zu Ihnen zu sprechen.

Natürlich empfinde ich als Soldat eine gewisse Genugtuung, dass damals Soldaten Widerstand geleistet haben. Genauer: Ich bin heute als Staatsbürger in Uniform stolz auf eine Tat, die ich als junger Offizier damals nicht recht begriffen hatte, von der ich nicht geglaubt hatte, dass sie tatsächlich geschehen sei.

Es berührt mich, dass Soldaten wichtige Positionen im aktiven Widerstand gegen Hitler eingenommen haben. Aber - ergab sich das nicht zwingend aus den Umständen? Wer anders als ein Soldat hatte im Kriege die Möglichkeit zum Attentat?

Wer anders als die Wehrmacht hatte die Macht, die vollziehende Gewalt zu übernehmen, um die Strukturen des Unrechtsregimes zu beseitigen, das Recht wiederherzustellen und so ein Fundament zu legen für eine neue, für eine freiheitliche Ordnung?

Am 20. Juli 1944, den Brennpunkt, auf den hin Widerstand sich entwickelt hatte, standen also Soldaten handelnd im Vordergrund.

Schon bald jedoch in den Tagen, Wochen und Monaten der Verfolgung zeigte sich, dass an diesem Tag nicht, wie es Hitler und seine Propaganda weismachen wollten, eine „kleine Clique ehrgeiziger Offiziere“ geputscht hatte.

Es erwies sich, dass es auch in Deutschland eine breite Bewegung des Widerstandes gab, in der sich viele Frauen und Männer aus unterschiedlichen Gruppen und Berufen und mit unterschiedlichen Überzeugungen zusammengefunden hatten.

Diese Bewegung war darin einig, dass Hitler der Verderber Deutschlands sei und dass eine Ordnung entstehen müsse, die Freiheit und Recht garantiere. Die Soldaten waren also am 20. Juli 1944 nicht individuale Putschisten, sondern sie befanden sich in einer breiten Bewegung.

Soldaten, die am Widerstand beteiligt waren, nahmen mit ihrer Haltung das vorweg, was wir heute den „Staatsbürger in Uniform“ nennen. „Staatsbürger in Uniform“ - dieser Kernbegriff der Bundeswehr ist kritisch betrachtet worden. Das ist normal! Er ist gelegentlich missverstanden worden. Das ist bedauerlich! Es muss Soldaten reizen, Missverständnisse auszuräumen. Ich meine, der 20. Juli 1944 bietet hierzu eine Gelegenheit.

„Staatsbürger in Uniform“ meint genau jene Haltung, die die im Widerstand aktiven Soldaten ausgezeichnet hat:

nicht nur Empfänger militärischer Befehle zu sein, sondern im Sinne des Ganzen zu handeln;

nicht nur zu gehorchen, sondern gewissenhaft, d. h. dem Gewissen treu zu sein;

nicht nur Kämpfer zu sein, sondern für die Erhaltung von Grundwerten zu kämpfen;

nicht nur tapfer sein, sondern tapfer einzustehen für Freiheit und Recht;

nicht Nur-Soldat sein; sondern auch Bürger, Staatsbürger, Citoyen.

„Staatsbürger in Uniform“ heißt, einen militärischen Auftrag zu haben und diesen aus einem politischen und moralischen Auftrag herzuleiten.

Dass es damals nicht gelang, Hitler und seiner Partei die totale Macht zu entreißen - wer bedauert das nicht! Aber so schmerzlich das ist - schmerzlich auch im Blick auf die Opfer, die nicht nur dem Widerstand abverlangt wurden, sondern die auch der Krieg noch forderte -, wichtiger als Erfolg ist die Tatsache, dass die Tat gewagt wurde und damit offenbar wurde, dass Menschlichkeit auch von einer totalitären Partei nicht restlos hatte erstickt werden können, dass die Gewissen der Deutschen nicht gleichgeschaltet waren, dass rechtliche Gesinnung sich nicht im Machtrausch aufgelöst hatte.

Das Attentat vom 20. Juli 1944 war gegen den Tyrannen gerichtet, aber es zielte auf das System. Das Attentat sollte das Recht und die Freiheiten wiedergewinnen, die über ein Jahrzehnt früher verloren gegangen waren, verloren gegangen, als das Volk die Demokratie aufgegeben hatte und die politische Auseinandersetzung auf der Straße ausgetragen wurde.

Der 20. Juli 1944 war und ist ein Fanal, dass menschliche Ordnung und soldatischer Dienst eines sittlichen Fundaments bedürfen. Dies ist die Lehre, die wir ziehen, wir Staatsbürger, wir Soldaten!

Bundespräsident Heuss hat in seiner Rede vor Absolventen der Führungsakademie der Bundeswehr 1959 daran erinnert, dass man in der Tradition Haltung, nicht Verhalten lernen solle. Diese Mahnung erscheint mir besonders angebracht im Blick auf den 20. Juli 1944 und den Widerstand. Die Frauen und Männer, die alles andere waren als professionelle Verschwörer, waren Menschen, die ihre Verantwortung vor Gott und vor ihrem Volk erkannt hatten, die ihrem Gewissen folgend unter Einsatz ihres Lebens zu handeln bereit waren. Winston Churchill hat 1946 vor dem britischen Unterhaus gesagt, dass die Opposition gegen Hitler in Deutschland zu dem Größten gehöre, was in der politischen Geschichte der Völker hervorgebracht worden sei.

Der 20. Juli 1944, der Widerstand ist damals - ich habe schon darauf hingewiesen - von vielen nicht verstanden worden.

Es hat - gerade bei den Soldaten - im Krieg und auch nach dem Krieg Gräben gegeben zwischen der „Front“ und dem Widerstand. Dies ergab sich nahezu zwangsläufig, weil der Nebel der Propaganda die Orientierung verhinderte, weil die Informationsfreiheit längst abgestorben war und weil es dem Widerstand verwehrt war, die Beweggründe seines Handelns darzulegen. All dies konnte erst später geschehen, nach dem Krieg, als sich die Nebel allmählich lichteten und den Blick freigaben nicht nur auf die materielle Zerstörung, sondern auch auf die moralische Verwüstung, die der Nationalsozialismus angerichtet hatte.

Der Zweite Weltkrieg hatte viele Fronten, zu Lande, zu Wasser und in der Luft. Er hatte wohl mehr Fronten und Kriegsschauplätze als je ein Krieg zuvor. Aber dieser Krieg hatte auch eine Front, die in der Darstellung äußerer Ereignisse zu kurz kommt. Es ist die Front, die nicht Staaten und Völker voneinander schied, sondern oft genug Familien zerriss, die den einen Teil des Volkes wider den anderen stehen ließ. Der Zweite Weltkrieg war auch ein Teil des Kampfes, den Hitler gegen Deutsche und gegen Deutschland führte. Dies ist für uns Soldaten der Bundeswehr noch einmal in besonderer Weise deutlich geworden, als das Wehrgeschichtliche Museum in Rastatt im vergangenen Jahr eine Ausstellung über die Schicksale deutscher jüdischer Soldaten zeigte, deren Opferbereitschaft für ihr Vaterland letztlich in Gaskammern vergolten wurde.

Dies aber ermahnt uns, den Widerstand der Deutschen einzuordnen in den Widerstand, den die von uns überfallenen Völker und besetzten Länder geleistet haben. Es ist bezeichnend, dass europäisches Denken schon im Krieg in vielen Zentren des Widerstandes aufgebrochen ist. Wenn wir also den Widerstand national „parzellieren“, dann zeichnen wir immer nur ein Teilbild.

Wer immer Widerstand leistete, war ein Angehöriger einer Nation und zugleich mit allen denen verbunden, die in anderen Nationen den gleichen Kampf kämpften. Tschechen, Polen, Franzosen oder Deutsche, sie waren zugleich Europäer und Mensch. Dies ist geeignet, uns die Wahrheit eines Satzes in Erinnerung zu rufen, den ein großer Mann formuliert hat, jener Montesquieu, dessen Lehre von der Gewalteinteilung zum Fundament freiheitlicher Demokratie geworden ist:

„Wenn ich etwas wüsste, das meinem Vaterland nützlich wäre, aber Europa und dem Menschengeschlecht zum Schaden reichte, würde ich es als ein Verbrechen betrachten.“

Es ist folgerichtig, dass Ihr Verband, der Zentralverband der Widerstandskämpfer- und Verfolgtenorganisationen, eingegliedert ist in eine internationale Organisation. Es ist ebenso folgerichtig, dass die Soldaten der Bundeswehr in einer Front stehen mit denen, die die gleichen Gründe haben, verteidigungsfähig zu sein.

Ich habe mit Bedacht auf den Widerstand hingewiesen, den z. B. Tschechen geleistet haben. Die Tschechen waren gewissermaßen die ersten Opfer des Zweiten Weltkrieges. Denn - sofort nach der Besetzung formierte sich ein Widerstand, der wesentlich auch von Soldaten getragen wurde. Es bildeten sich geheime Kader einer Untergrundarmee. Man dachte daran, sie aufzufüllen, wenn die Lage ein Losschlagen erlaubte.

Doch waren diese Offiziere und Soldaten der Gestapo nicht gewachsen. Schon 1939 wurde diese Organisation im wesentlichen zerschlagen. Ihre Führer blieben jedoch zum Teil überraschend lange in Haft.

Noch 1942/43 wurden in der Strafanstalt Plötzensee etwa 80 tschechische Stabsoffiziere, darunter vier Generale, hingerichtet.

Wie sich diese geheime militärische Organisation entwickelt hätte, wenn sie nicht so frühzeitig zerschlagen worden wäre, ist schwer abzuschätzen. Sie hätte sich mit fortschreitender Zeit den Bedingungen des Untergrunds sicher besser angepasst.

Wann diese Untergrundarmee zugeschlagen hätte, ist ebenfalls nur zu vermuten. Eine regionale Einsatzplanung lässt darauf schließen, dass ein weitgehender Abzug deutscher Truppen die Voraussetzung war. In der Erwartung der tschechischen Offiziere sollte dieser Fall wohl eintreten, wenn die Wehrmacht in einen schweren Kampf mit Frankreich und Großbritannien verwickelt war. Dass der Westfeldzug im Jahre 1940 nicht die erwartete harte Belastungsprobe für die Deutschen wurde, hatte nicht einmal der deutsche Generalstab vorausgesehen.

Mit meinem Hinweis auf die tschechischen Soldaten will ich noch einmal exemplarisch dartun, dass wir uns über nationale Grenzzäune hinweg mit allen verbunden wissen, die sich in die gemeinsame Front gegen den Tyrannen gestellt hatten.

Ich meine vieles, was nach 1945 für den Wiederaufbau Europas möglich war, was unsere jungen Soldaten dann ab 1956 zu Partnern ihrer alliierten Kameraden hat werden lassen, findet letztlich seine Wurzeln in dem Zeichen, das der Widerstand in allen Ländern gesetzt hatte.

Alle, die Widerstand leisteten, sind uns Beispiel für Haltung. Aber wir müssen sehen, dass sie in einer Ausnahmesituation handelten und dass sie damit wohl grundsätzliche Normen setzten, nicht jedoch für den Alltag in einer freiheitlichen Demokratie und für den Rechtsstaat.

Ich bin kürzlich gefragt worden, ob das Recht zum Widerstand, das in Artikel 20 unseres Grundgesetzes verankert ist, auch für die Soldaten der Bundeswehr uneingeschränkt gilt und wie es sich damit in der Praxis verhält.

Die Frage hat mich nicht einmal erstaunt. Sehe ich doch seit geraumer Zeit, dass Widerstand schlechthin propagiert wird. Ich bin deshalb dankbar, dass Karl Dietrich Bracher noch einmal deutlich klargestellt hat, dass Widerstand in Deutschland vor allem zwei historische Bezugspunkte kennt:

Erstens den Widerstand gegen den Nationalsozialismus, zweitens den Widerstand gegen die andere Diktatur unserer Zeit. Zu beiden findet man in den Bewegungen unseres Landes, die sich heute auf das Widerstandsrecht berufen, kaum eine Verbindung. Zwei Gefahren seien es vor allem, in die das gegenwärtige Rebellieren mit seinem pathetischen Anspruch auf ein Widerstandsrecht führen könne: dies seien die Inflationierung des Widerstandsbegriffs und die falsche Frontstellung. Wir befänden uns in einer Situation, die befürchten lasse, dass im Missverständnis von Widerstand die antidemokratische statt der antidiktatorischen Version die Oberhand behalte. Die inflationären Widerstandsparolen unserer Tage verkennen den grundlegenden Unterschied zwischen einem Widerstand, der im diktatorischen Unrechtsstaat kämpft und dabei Illegalität und Gewalt auf sich nehmen muss und einer wohlfeinen Widerstandsattitüde von Anti-System-Opposition und Protestbewegung im demokratischen Verfassungsstaat. Die Hauptbedrohung bleibe die machtpolitische Unterdrückung und die gehe zu allererst von den ideologischen Herrschaftssystemen aus. Ihnen gelte es zu widerstehen, so lange noch Zeit dazu sei. Die Geschichte lehre, wie schwer ideologisch-totalitäre Diktaturen nach ihrer Etablierung zu bekämpfen seien.

Alexis de Tocqueville hat im vorigen Jahrhundert drei Voraussetzungen genannt, die ein erträgliches Leben für eine möglichst große Zahl von Bürgern in einem Gemeinwesen garantieren sollen:

die Kraft der Institutionen,

die Qualität der Herrschenden - die, so füge ich hinzu, heute der demokratischen und moralischen Legitimation bedürfen und

die Tugend der Bürger.

Widerstand, der sich gegen demokratische Institutionen und gegen Institutionen des Rechts formiert mit dem Ziel, diese kraftlos und untauglich zu machen, kann nicht Bürgertugend im Sinne von Alexis de Tocqueville sein. Widerstand schlechthin ist genau so wenig Bürgertugend wie Tapferkeit schlechthin Soldatentugend ist.

Christen können bei den Kirchenlehren des Mittelalters nachlesen, dass Tapferkeit, die sich nicht auf das Gute richtet, von übel sei. Und - so dürfen wir schlussfolgern: Widerstand, der sich nicht gegen ein Übel richtet, ebenso.

In einem demokratischen Staat, der Grundrechte garantiert, der sich in allen seinen Institutionen an Gesetz und Recht gebunden weiß, ist und bleibt auch der Gehorsam eine Bürgertugend, gewiss nicht die einzige, aber dennoch eine zentrale. Im nationalsozialistischen Unrechtsstaat ist Widerstand geleistet worden, damit der demokratische Staat mit Gesetz und Recht entstehe. Wenn wir den rechtlichen, freiheitlichen und demokratischen Geist bewahren, lösen wir eine Verpflichtung ein, die uns die Opfer der Gewaltherrschaft auferlegt haben.

Auch Widerstand bleibt eine Bürgertugend. Karl Dietrich Bracher sprach davon, es sei mutig, zu widerstehen, solange es noch Zeit ist. Es geht darum, all den Kräften zu widerstehen, die unsere Ordnung bedrohen und gefährden. Wir Staatsbürger haben dem Ungeist zu widerstehen, der bei den Morden von Nürnberg kürzlich zu erkennen war. Wir haben Verführungen und Verlockungen zu widerstehen, die den Geist, die Handlungs- und Entwicklungsfähigkeit unseres Staates gefährden könnten. Dazu leisten wir Soldaten einen Beitrag.

Aber: So fragen gerade manche: Ist nicht die Gedankenkette Soldaten - Gewalt - Krieg in sich schlüssig? Liegt hier nicht eine Kausalität vor? Und ist diese nicht historisch erhärtet?

Gewiss hat es immer Angreifer gegeben. Aber es gab auch immer die andere Seite, die Verteidiger. Das Grundgesetz hat aus Möglichkeiten soldatischer Existenz die eindeutige Konsequenz gezogen. Das Grundgesetz bestimmt, dass die Bundesrepublik Deutschland Streitkräfte zur Verteidigung aufstellt. Wer einen Angriffskrieg plant oder vorbereitet, sei er Soldat oder nicht, er bräche die Verfassung, er verletzte das höchste Recht unseres Landes.

Diese Bestimmungen sind in Jahrzehnten gesicherten Friedens für uns selbstverständlich geworden. Sie sind es nicht in der Welt. Seit 1945, seitdem wir in Frieden leben, sind auf dieser Erde mehr als 130 Kriege geführt worden. Zählte man die Dauer der bewaffneten Auseinandersetzungen zusammen, so käme man auf Hunderte von Jahren Krieg, die Opfer zählen nach Millionen. Der Frieden fällt nicht vom Himmel. Er braucht Dienst, Opfer, Wachsamkeit, Vorsorge.

Wer sich auf der Erde umsieht, wird weiter feststellen, dass es kaum eine Armee gibt, deren Auftrag und deren Grenzen eindeutiger festgelegt sind: Wir deutschen Soldaten sind nach dem Auftrag des Grundgesetzes nur zur Verteidigung da. Es geht nicht um Einsatz, weder von Raketen noch von Gewehren. Wenn wir - nicht wir Deutschen sondern das Bündnis - beides in Händen halten, so wollen wir für den Notfall gerüstet sein, so gerüstet, dass wir politisch nicht erpressbar werden können und unsere Fähigkeit zur Verteidigung glaubwürdig bleibt.

Mit unserer Rüstung signalisieren wir den Willen zur Selbstbehauptung. Wir zeigen an, dass wir bereit sind, dem eigenen Recht Geltung zu verschaffen. Recht nämlich, das nicht geschützt und gestützt wird, ist allzu leicht verloren, zur Ohnmacht verurteilt.

Wir wollen nicht Krieg führen, sondern Krieg verhindern. Die Risiko-Schwelle für einen Angreifer darf nicht zu tief herabgesetzt werden. Ein Vakuum zieht an. Hat nicht beispielsweise das militärische Macht-Vakuum auf den Falkland-Inseln den Konflikt bis zur bewaffneten Auseinandersetzung eskalieren lassen? Spricht nicht vieles dafür, dass kein Soldat hätte sterben müssen - wenn es dieses Vakuum nicht gegeben hätte? Es gilt offenbar immer noch: Durch Kampffähigkeit und Verteidigungsbereitschaft lässt sich am ehesten sicherstellen, dass man nicht kämpfen muss.

Verteidigungsfähigkeit hat einen wichtigen Bezugspunkt in den Möglichkeiten der anderen Seite. Verteidigung bedarf nicht der militärischen Überlegenheit sondern des hinreichenden Gleichgewichts, nicht des numerischen sondern des Gleichgewichts der Fähigkeiten. Das hat zur Folge, dass wir jede Bemühung, die Potenziale beiderseitig und kontrolliert zu senken, nur begrüßen können. Es hat auch zur Folge, dass wir auf kein Element der Abschreckung verzichten können, weil somit das Gesamtsystem dieser Abschreckung fiele und Kriege nicht verhindert werden könnten, sondern geführt werden müssten, - wollte man nicht die Kapitulation vorziehen.

Es geht darum, den Frieden zu sichern und zu fördern. Wenn im vergangenen Jahrzehnt über Gräben hinweg Gespräche in Gang gekommen sind, wenn heute auf allen Ebenen der Rüstung mit dem Ziel verhandelt wird, Rüstung allseitig zu senken und zu kontrollieren, dann ist das doch nicht zuletzt der Tatsache zuzuschreiben, dass uns fremder Wille nicht einfach aufgezwungen werden kann.

Wir alle wollen den Frieden; er ist für uns ein sehr hohes Gut. Aber - „Frieden ohne Freiheit ist reine Sklaverei“ hat Pierre Trudeau kürzlich in Bonn gesagt.

Soldaten - Gewalt - Krieg: Gegen diese Gedankenkette, die gerade heute vielfach mit Vehemenz wieder vertreten wird, setze ich den Auftrag der Soldaten der Bundeswehr:

Wir sind Soldaten, damit nicht Gewalt die Welt regiert. Wir bedrohen niemanden. Wir sind Soldaten gegen die Gewalt als Mittel der Politik.

Wir sind Soldaten, um den Krieg zu verhindern und den Frieden zu sichern. Die Bundeswehr ist eine Armee gegen den Krieg.

Andrej Sacharow hat einmal die „Machteinheit des Westens“ als eine der Voraussetzungen für eine erfolgreiche Entspannung und damit für eine friedliche Zukunft bezeichnet. Mit anderen Worten: Zersplitterung gefährdet, Solidarität fördert den Frieden. Daran mögen sich auch die erinnern, die Bündnispartner in einer Form kritisieren, als ob sie Feinde seien.

Soldaten - Gewalt - Krieg: Diese „unheilige Allianz“ der Vergangenheit soll für uns Vergangenheit bleiben. Wir setzen dagegen die Gedankenkette:

Verteidigungsfähigkeit - Sicherheit - Frieden in Freiheit. Wir müssen dies tun: Denn - Those who cannot remember the past are condemned to repeat it (Wer sich der Vergangenheit nicht erinnert, ist verdammt, diese zu wiederholen).

Dieses Wort George Santayanas lehrt uns, dass wir das Gedenken an den 20. Juli 1944 niemals aufgeben dürfen. Es lehrt uns, dass dieser Tag mehr ist als ein Ehrfurcht gebietender Gedenktag; dass er eine Mahnung ist, damit unser Gewissen wach bleibt. Das gibt diesem Tag seinen Sinn!






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