"Sie rufen auch uns auf, für die Welt zu beten."

Gedenkstätte Deutscher Widerstand

Karl Meyer

„Sie rufen auch uns auf, für die Welt zu beten.“

Einführung in den Gottesdienst von Pater Dr. Karl Meyer OP am 20. Juli 2002 in der Gedenkstätte Plötzensee, Berlin

Liebe Schwestern und Brüder!

Pfarrer Carsten Bolz und ich heißen Sie herzlich hier zum Gottesdienst willkommen. Wir sind in der Hinrichtungsstätte Plötzensee zusammen, weil wir der Anregung des Heiligen Geistes gefolgt sind. Er liebt es, wenn Menschen sich im Namen Jesu Christi versammeln.

Unsere Gemeinschaft ist ja vorbestimmt durch das Leben Jesu von Nazareth, den wir als den von Gott Gesandten und Gesalbten, den Messias, den Christus, ja als den wahren Sohn Gottes mitten unter uns erkennen durften.

Er betet wie im ganzen Universum so jetzt auch hier den ewigen Vater und Schöpfer der Welt an. Er lässt Gott ganz Gott sein, so dass er die Fülle Gottes fortwährend von ihm empfängt. Uns, seine Brüder und Schwestern, nimmt er in seine Anbetung und in sein Empfangen hinein.

Wir empfangen aus Gott und durch Jesus unsere einmalige Persönlichkeit, unsere Stelle und unseren Platz in der Geschichte. Viele Männer und Frauen sind an diesem Ort in die Anbetung des Sohnes eingetreten. Sie haben ihr Leben dem geheimnisvollen Gott überlassen. Alfred Delp hat es in der Haft wortwörtlich gesagt: "Wichtig ist Brot, wichtiger ist die Freiheit, am wichtigsten ist die unverratene Anbetung."

Das Leben mancher der hier Anwesenden kennt früh geschlagene Wunden, das Leben der Witwen der Ermordeten kennt lange getragene Einsamkeit. Unser aller Leben hat seine Grenzen. Wenn wir zu unserem Leben Ja sagen, geschieht Anbetung auch heute – aus unserer Mitte.

Die Welt widersetzt sich in vielfältiger Form der Anbetung, und die Spaltung zwischen Welt und gottgefälliger Schöpfung geht auch mitten durch unser Herz. Verstecktes Unrecht und offene Gewalttat sind die Folgen. Jesus hat die Folgen dieser Ablehnung offenkundig auf sich gezogen und galt deswegen den Menschen als radikaler Sünder. Er ist unser Sündenbock vor Gott.

Gott würdigt Menschen, in die Sühne seines Sohnes einzutreten, an ihrem Leib zu ergänzen, was am Leiden Christi noch fehlt, die Sühne Jesu in die Geschichte auszulegen, Verbrecher zu sein an seiner Seite, und darin an Gottes Liebesmacht festzuhalten. Wir gedenken derer, die der Herr in der Zeit der Nazidiktatur gewürdigt hat. Henning von Tresckow hat es ausgedrückt: Wir hoffen, dass Gott auch einmal Deutschland um unseres Opfers willen gnädig sein wird.

Wir feiern hier, dass Jesus den Raum der Sühne eröffnet hat.

Mit seinem gegen alle Widerstände offenen Herzen für Gott und die Menschen ist Jesus Christus die wirksame Fürbitte für die Welt. Sie zeigt sich in den Heilungen aus vielerlei Unheil. In der Vergegenwärtigung seines Opfers tritt er für uns bei Gott ein und möchte uns in sein Werk hineinziehen.

Schauen wir auf die uns von der Bedeutung dieses Tages her besonders denkwürdigen Menschen: Ihnen ist die Not der Menschen zu Herzen gegangen. Sie, die ihr Herz durch Jesus haben öffnen lassen – selbst wenn ihnen sein Name nicht recht vertraut war, stehen mit ihm als lebendige Fürbitte vor Gott für den Lebensbereich, der ihnen vertraut war. Sie bitten auch heute für Deutschland in seinen aktuellen Problemen, sie sind Fürbitte für die Versöhnung zwischen Juden und Christen, sie, die hier als evangelische und katholische Christen aufgehängt worden sind, sind lebendige Fürbitte für die gespaltene Christenheit. Uns leiten sie an, uns bei der innigsten Feier seiner Liebe in Ehrfurcht zu begleiten, immer wieder neu aufeinander zuzugehen, bis der Skandal der Spaltung überwunden ist. Sie rufen auch uns auf, für die Welt zu beten.

So hören wir Gottes Wort und feiern miteinander Eucharistie und Abendmahl. Möge der Herr unseren Eingang und Ausgang segnen!







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20.07.2002
 Dieter Thomas
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