"Wir wissen es, dein Licht scheint in der Nacht!"

Gedenkstätte Deutscher Widerstand

Carsten Bolz

„Wir wissen es, dein Licht scheint in der Nacht!“

Predigt von Pfarrer Carsten Bolz am 20. Juli 2002 in der Gedenkstätte Plötzensee, Berlin

Predigt über Epheser 5,1-2.8-14

Liebe Gemeinde hier in Plötzensee,

„Wir wissen es, dein Licht scheint in der Nacht!“ dichtet Dietrich Bonhoeffer in seinem Neujahrsgedicht 1945, das wir heute alle gut kennen. Ja, es war Nacht, es war finsterste Nacht, immer wieder Nacht, als das mörderische Geschehen hier an diesem Ort seinen Lauf nahm. Harald Poelchau berichtet von den „Blutnächten“ des September 1943:

„Mit Einbruch der Nacht am 7. September begann der Massenmord. Die Nacht war kalt. Ab und zu wurde die Dunkelheit durch Bombeneinschläge erhellt. Die Strahlen der Scheinwerfer tanzten über den Himmel. Die Männer waren in mehreren Gliedern hintereinander angetreten. Sie standen da, zunächst ungewiss, was mit ihnen geschehen sollte. Dann begriffen sie. Immer je acht Mann wurden namentlich aufgerufen und abgeführt. Die Zurückbleibenden verharrten fast bewegungslos. Nur hin und wieder ein Flüstern mit mir und meinem katholischen Amtsbruder. Einmal unterbrachen die Henker ihre Arbeit, weil Bomben in der Nähe krachend nieder sausten. Die schon angetretenen fünf mal acht Mann mussten für eine Weile wieder in ihre Zellen eingeschlossen werden. Dann ging das Morden weiter. Alle diese Männer wurden gehängt. Die Hinrichtungen mussten bei Kerzenlicht durchgeführt werden, da das elektrische Licht ausgesetzt hatte. Erst in der Morgenfrühe um acht Uhr stellten die erschöpften Henker ihre Tätigkeit ein, um sie am Abend mit frischen Kräften wieder aufnehmen zu können.“

Über 250 Menschen sind allein in jenen Septembernächten hier ermordet worden. Es war Nacht, finstere Nacht - es scheint, sogar die elektrische Beleuchtung verweigert ihren Dienst. Die Finsternis soll das Morden zudecken und macht die Mörder zu Finsterlingen. Das vorgebliche Werk der Gerechtigkeit - gerechte Strafe müsste geübt werden - erweist sich als Werk der Finsternis. Solche Werke der Finsternis, daran erinnert nicht nur der Epheserbrief, bringen keine Frucht - sie bringen nur Leid und Not und mehr Finsternis - ich muss Ihnen das nicht erzählen.

„Wir wissen es, dein Licht scheint in der Nacht!“ Licht in dieser Nacht? Dietrich Bonhoeffer dachte wohl nicht an die Explosionen der Bomben, nicht an die strahlenden Scheinwerfer am Himmel über der Stadt, wohl auch nicht an die Kerzennotbeleuchtung, die Harald Poelchau beschreibt.

Licht in der Nacht? Woher dieses Licht? Ich denke an ein Bild aus dem Plötzenseer Totentanz in unserem Kirchraum im Ev. Gemeindezentrum Plötzensee: Alfred Hrdlicka hat es gemalt und viele von Ihnen kennen es wahrscheinlich: „Emmaus - Abendmahl - Ostern“ heißt es:

Da sitzen sie: sechs Männer, hier im Nebenraum und warten auf die Hinrichtung. Einer wird schon abgeführt - den Tod vor Augen. Das Licht fällt durch die Fenster von hinten in den Raum, Schatten auf den Gesichtern der Versammelten. Und einer in ihrer Mitte, einer bricht Brot - so wie der Auferstandene seinen Jüngern in Emmaus Brot gebrochen hat. Und dieser wird - so scheint’s - selber zu einer leuchtenden Gestalt. Er hebt sich klar aus dem Dunkel ab, es ist als leuchtet er aus sich heraus.

In dem Augenblick, in dem Jesus seinen Jüngern in Emmaus das Brot brach, da erkannten sie in ihm den Auferstandenen. In dem, der im Emmaus-Bild des Plötzenseer Totentanzes den Seinen das Brot bricht, leuchtet das Licht Christi in die finstere Nacht von Menschenverachtung und Mord.

„Ahmt Gott nach als seine geliebten Kinder und liebt einander, weil auch Christus uns geliebt und sich für uns hingegeben hat als Gabe und als Opfer, das Gott gefällt ... Lebt als Kinder des Lichts. Das Licht bringt lauter Güte, Gerechtigkeit und Wahrheit hervor.“

Dieses Wort aus dem Epheser-Brief, das über der morgen beginnenden Woche steht, höre ich geradezu als Handlungsauftrag für die, derer wir hier heute gedenken. Durch sie schien das Licht Christi in diese Nacht. Sie waren sich dieser Verantwortung bis zuletzt bewusst, haben sich nicht dunkel für hell verkaufen lassen und haben sich auch nicht blenden lassen. Dietrich Bonhoeffer (Weihnachten 1942): „Die große Maskerade des Bösen hat alle ethischen Begriffe durcheinander gewirbelt. Dass das Böse in der Gestalt des Lichts, der Wohltat, des geschichtlich Notwendigen, des sozial Gerechten erscheint, ist für den aus unserer tradierten Begriffswelt Kommenden schlechthin verwirrend; für den Christen, der aus der Bibel lebt, ist es gerade die Bestätigung der abgründigen Bosheit des Bösen.“

Weil sich Menschen dem Auftrag, so wie er auch aus den Versen des Epheser-Briefes klingt, verpflichtet wussten, weil sie in der Lage waren, klar Licht von Finsternis zu scheiden und sich nicht von der Maskerade des Bösen blenden ließen, weil sie selber für Güte und Gerechtigkeit und Wahrheit eintraten und sich selbst im Angesicht des Todes nicht davon abbringen ließen, weil sie sich des Mitgehens unseres Gottes in Not und Tod, im Teilen von Brot und Wein gewiss waren - deshalb sind das Emmaus-Bild wie auch Dietrich Bonhoeffers Satz für mich ein glaubwürdiges Zeugnis für dieses Licht, selbst im Angesicht der Finsternis von Plötzensee: „Wir wissen es, dein Licht scheint in der Nacht!“

Sie, Ihre Angehörigen, von denen viele hier ermordet wurden, haben das beharrlich versucht: mit ihrem Tun die Werke der Finsternis aufzudecken und dem Licht zur Geltung zu verhelfen. Es ist ihnen nicht gelungen, die Finsternis zu beseitigen, aber im Rückblick von heute erkennen wir, dass doch durch sie etwas vom Licht Christi in der Finsternis schien. Mir bleiben sie damit auch nach 60 Jahren noch unersetzliche Positionslichter. An sie zu erinnern - wie auch mit Gottesdienst und Gedenkfeiern heute - bleibt daher notwendiges Tun zu unserer eigenen Orientierung. Denn sie in Vergessenheit geraten zu lassen hieße, der Finsternis einen späten Sieg einräumen. Auch weil das in keinem Fall geschehen darf, ist es eben an uns, das Licht weiter zu tragen. Das Wahr- und Ernstnehmen der Werte, für die Ihre Angehörigen hier ermordet wurden, fordert uns zum wahr- und ernstnehmen gegenwärtigen Unrechts und zum Handeln heraus. „Unser Glaube mischt sich ein. Wir brauchen heute wie damals den Mut zum Einmischen statt einer Einübung im Wegschauen“ haben Präses Kock und Bischof Lehmann im Geleitwort zu dem Buch über christliche Märtyrer des 20. Jahrhunderts formuliert. Und in der Tat bleibt das heute unsere Aufgabe: als Kinder des Lichts zu leben, und Güte und Gerechtigkeit und Wahrheit hervorzubringen und die Werke der Finsternis aufzudecken.

Nicht dass das immer eine leichte Aufgabe wäre. Die Finsternis ist heute - Gott sei Dank - oft nicht so finster wie vor 60 Jahren im Hinrichtungsschuppen von Plötzensee. Manchmal ist es eher ein Zwielicht, bei dem ich nicht so genau weiß, ist’s hell oder ist’s schon dunkel? Und kennen wir Bonhoeffers Erfahrung nicht auch, dass „das Böse in der Gestalt des Lichts, der Wohltat, des geschichtlich Notwendigen, des sozial Gerechten erscheint“?

Es ist in diesem Zwielicht nicht leichte Sache, Orientierung zu geben: eindeutig und gar gemeinsam Orientierung zu geben, Licht zu sein und Güte und Gerechtigkeit und Wahrheit zur Geltung zur verhelfen in einer Welt mit äußerst komplexen Zusammenhängen. Ich kann mich gut in dies kleine Gedicht von Wolfgang Borchert hineinfühlen:

Ich möchte Leuchtturm sein

in Nacht und Wind

für Dorsch und Stint

für jedes Boot -

und bin doch selbst

ein Schiff in Not.

Ja, immer wieder bin ich - gerade auch hier unter dem Galgen in Plötzensee - ein „Schiff in Not“. Immer wieder bin ich unsicher über den richtigen Weg, mag mich ungern festlegen, scheue die Konsequenzen meines Denkens und meines Tuns. Aber gerade deshalb bin ich zutiefst bewegt von den Menschen, derer wir heute gedenken, weil sie ihren Weg so eindeutig gegangen sind und bereit waren, auch die letzten Konsequenzen zu tragen. Sie sind mir und vielen anderen wichtig geworden als Positionslichter, an denen ich mich im Rückblick ausrichten, orientieren kann, um meine Position zu bestimmen, um Mut für meinen Weg, für einen gerechten Weg in die Zukunft zu finden. An ihnen kann ich mich immer wieder meiner Richtung vergewissern: weil es ihr Licht gewesen ist, das in die Nacht schien, weil durch sie das Licht Christi für viele andere in die Nacht schien und scheint. Mag es uns anspornen, dieses Licht nicht verlöschen zu lassen und so - ein jeder an seinem Ort - mit dazu beizutragen, dass in unserer Welt immer mehr Güte und Gerechtigkeit und Wahrheit spürbar werden. Amen






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