Verpflichtung für Freiheit und Recht
Hanna-Renate Laurien
Verpflichtung für Freiheit und Recht
Ansprache der Bürgermeisterin von Berlin Dr. Hanna Renate Laurien am 20. Juli 1988 im Ehrenhof der Gedenkstãtte Deutscher Widerstand in der Stauffenbergstraße, Berlin
Sie alle, die ich im Namen des Berliner Senats, im Namen aller Berlinerinnen und Berliner hier willkommen heiße, wir alle haben uns hier versammelt, um derer zu gedenken, die Freiheit und Recht und Menschenwürde als die Normen ihres Handelns bejahten, sie lebend vertraten und für sie starben. Der blinden „Gefolgsschaftstreue“, deren Anhänger sich nach 1945 immer wieder auf Befehle und Gehorsam beriefen, setzten sie den Gehorsam gegenüber ihrem an Recht und Freiheit orientierten Gewissen entgegen.
„Es sollen einmal andere besser und glücklicher leben dürfen, weil wir gestorben sind.“ – das formulierte Alfred Delp im Angesicht des Todes mit gefesselten Händen. Uns ist dies Mahnung und Aufruf: Wir dürfen unsere freiheitliche Demokratie nicht zur selbstverständlichen Alltäglichkeit werden lassen. Wie leicht gewöhnen wir uns an die Vorteile und sehen ihre Schwächen überdeutlich scharf.
Bei der Grundsteinlegung eines Ehrenmales für die Opfer des 20. Juli in Berlin sagte Ernst Reuter 1952: „Wir erfüllen das Vermächtnis der Toten, indem wir aus ihrem Geiste ein neues Deutschland aufbauen, das für die Welt ein sicherer Hort der Freiheit sein wird.“
Es gehört zu den Stärken der Demokratie, dass Schwächen, Fehler, Verfehlungen, nicht unter den Teppich gekehrt, sondern offenbar werden. Nur Diktaturen bekennen öffentlich keine Fehler! Unser Bekenntnis zur Demokratie schließt die ganze Wirklichkeit des Menschen ein – seine Gefährdungen und seine Vorbildhaftigkeit, seine Schwächen und seine Stärke.
Es tut wohl Not, in diesem Jahr, in dem wir im November an den 50. Jahrestag der entsetzlichen „Reichspogromnacht“ erinnert werden, in dem wir soeben das 40jährige Jubiläum der DM und das unser Grundgesetz und die parlamentarische Versammlung vorbereitende Treffen der deutschen Ministerpräsidenten in Koblenz festlich begangen haben, in diesem Jahr vertieft und dankbar zu begreifen, dass unsere heutige Wirklichkeit auf dem „anderen Deutschland“ aufgebaut ist, uns bewusst zu machen, dass diese Männer, denen man das Recht verweigerte, die als Wehrkraftzersetzer, Kollaborateure, Volksfeinde, schlechte Deutsche verteufelt, entehrt wurden, dass sie uns heute ermöglichen, wieder von Deutschland zu sprechen. „Wir haben das Letzte gewagt für Deutschland“, sagte General Friedrich Olbricht, dessen 100. Geburtstag sich in diesem Jahre jährt, kurz vor seiner Hinrichtung am 20. Juli 1944.
Diese Männer mahnen uns, niemals jenen von freiheitlicher Menschenwürde bestimmten Gegensatz im Umgang mit Andersdenkenden zu vergessen, den ich kurz so beschreiben möchte: In der Diktatur ist der Gegner der Feind, der Schurke, der Verbrecher; in der Demokratie müssen wir alle dazu beitragen, niemals aus dem Gegner den Feind werden zu lassen. Gerade in Berlin kann man hautnah erfahren, dass Freiheit kein Naturgesetz, sondern Verpflichtung, Auftrag, auch Geschenk ist.
Berlin war Zentrum des Terrors und des Widerstandes. Berlin ist heute der Ort, wo wir Deutschen uns selbst begegnen können, ist Grenze und Stätte des Dialogs, Berlin ist Gefährdung und Chance. Berlin – Kulturstadt 1988 – verdeutlicht, dass Europa größer ist als die EG, dass Freiheit nicht durch Mauern aufzuheben ist.
„Es sollen einmal andere besser und glücklicher leben dürfen, weil wir gestorben sind.“ Wir leben besser, hoffentlich auch glücklicher, und bekennen uns in Dankbarkeit und Ehrfurcht zu diesem Auftrag, zu dieser Verpflichtung für Freiheit und Recht.
Dass die einzelnen Persönlichkeiten und Gruppen des Widerstandes aus verschiedenen Motiven durch eine Beseitigung Hitlers die Gewaltherrschaft und den Krieg beenden wollten, war bekannt. Über einen Wiederaufbau Deutschlands und seine Regierungsform gab es teilweise unterschiedliche Meinungen. Aber wie konnte es auch anders sein bei der Vielschichtigkeit der politischen Ansichten. Hier später eine Regelung zu finden, wäre sicher nicht einfach gewesen. Der Ausgang des Krieges hat uns ja dieser Diskussion enthoben.
Dass sich aber die verschiedenen Gruppen zusammenfinden zeigt, dass der Widerstand eine Sache zwar unterschiedlicher, aber in ihrer Verantwortung für Volk und Land gemeinsam Handelnder gewesen ist.
Es gab nur einen Widerstand! Den gegen Hitler!
Diese Tatsache muß der Würdigung des Widerstandes zugrunde liegen.
Wenn wir morgen in Plötzensee gemeinsam der dort ermordeten Widerstandskämpfer gedenken, so wissen wir, dass dort und in vielen anderen Strafanstalten Deutschlands, legitimiert durch sogenannte Urteile der Justiz, von 1933 bis 1945 Gegner der Nazis zu Tode gebracht wurden. Von den in den Konzentrationslagern und ähnlichen Einrichtungen umgebrachten Millionen Menschen ganz zu schweigen. Diese Toten sind es, die uns verbinden und deren wir am Tage des Widerstandes zu gedenken haben.
Dazu gehört auch der Dank an alle, die sich im Widerstand „um das Wohl des Deutschen Volkes und Staates verdient gemacht haben“.
Unser Volk ist aufgerufen, sie nicht zu vergessen!
Verpflichtung für Freiheit und Recht
Ansprache der Bürgermeisterin von Berlin Dr. Hanna Renate Laurien am 20. Juli 1988 im Ehrenhof der Gedenkstãtte Deutscher Widerstand in der Stauffenbergstraße, Berlin
Sie alle, die ich im Namen des Berliner Senats, im Namen aller Berlinerinnen und Berliner hier willkommen heiße, wir alle haben uns hier versammelt, um derer zu gedenken, die Freiheit und Recht und Menschenwürde als die Normen ihres Handelns bejahten, sie lebend vertraten und für sie starben. Der blinden „Gefolgsschaftstreue“, deren Anhänger sich nach 1945 immer wieder auf Befehle und Gehorsam beriefen, setzten sie den Gehorsam gegenüber ihrem an Recht und Freiheit orientierten Gewissen entgegen.
„Es sollen einmal andere besser und glücklicher leben dürfen, weil wir gestorben sind.“ – das formulierte Alfred Delp im Angesicht des Todes mit gefesselten Händen. Uns ist dies Mahnung und Aufruf: Wir dürfen unsere freiheitliche Demokratie nicht zur selbstverständlichen Alltäglichkeit werden lassen. Wie leicht gewöhnen wir uns an die Vorteile und sehen ihre Schwächen überdeutlich scharf.
Bei der Grundsteinlegung eines Ehrenmales für die Opfer des 20. Juli in Berlin sagte Ernst Reuter 1952: „Wir erfüllen das Vermächtnis der Toten, indem wir aus ihrem Geiste ein neues Deutschland aufbauen, das für die Welt ein sicherer Hort der Freiheit sein wird.“
Es gehört zu den Stärken der Demokratie, dass Schwächen, Fehler, Verfehlungen, nicht unter den Teppich gekehrt, sondern offenbar werden. Nur Diktaturen bekennen öffentlich keine Fehler! Unser Bekenntnis zur Demokratie schließt die ganze Wirklichkeit des Menschen ein – seine Gefährdungen und seine Vorbildhaftigkeit, seine Schwächen und seine Stärke.
Es tut wohl Not, in diesem Jahr, in dem wir im November an den 50. Jahrestag der entsetzlichen „Reichspogromnacht“ erinnert werden, in dem wir soeben das 40jährige Jubiläum der DM und das unser Grundgesetz und die parlamentarische Versammlung vorbereitende Treffen der deutschen Ministerpräsidenten in Koblenz festlich begangen haben, in diesem Jahr vertieft und dankbar zu begreifen, dass unsere heutige Wirklichkeit auf dem „anderen Deutschland“ aufgebaut ist, uns bewusst zu machen, dass diese Männer, denen man das Recht verweigerte, die als Wehrkraftzersetzer, Kollaborateure, Volksfeinde, schlechte Deutsche verteufelt, entehrt wurden, dass sie uns heute ermöglichen, wieder von Deutschland zu sprechen. „Wir haben das Letzte gewagt für Deutschland“, sagte General Friedrich Olbricht, dessen 100. Geburtstag sich in diesem Jahre jährt, kurz vor seiner Hinrichtung am 20. Juli 1944.
Diese Männer mahnen uns, niemals jenen von freiheitlicher Menschenwürde bestimmten Gegensatz im Umgang mit Andersdenkenden zu vergessen, den ich kurz so beschreiben möchte: In der Diktatur ist der Gegner der Feind, der Schurke, der Verbrecher; in der Demokratie müssen wir alle dazu beitragen, niemals aus dem Gegner den Feind werden zu lassen. Gerade in Berlin kann man hautnah erfahren, dass Freiheit kein Naturgesetz, sondern Verpflichtung, Auftrag, auch Geschenk ist.
Berlin war Zentrum des Terrors und des Widerstandes. Berlin ist heute der Ort, wo wir Deutschen uns selbst begegnen können, ist Grenze und Stätte des Dialogs, Berlin ist Gefährdung und Chance. Berlin – Kulturstadt 1988 – verdeutlicht, dass Europa größer ist als die EG, dass Freiheit nicht durch Mauern aufzuheben ist.
„Es sollen einmal andere besser und glücklicher leben dürfen, weil wir gestorben sind.“ Wir leben besser, hoffentlich auch glücklicher, und bekennen uns in Dankbarkeit und Ehrfurcht zu diesem Auftrag, zu dieser Verpflichtung für Freiheit und Recht.
Dass die einzelnen Persönlichkeiten und Gruppen des Widerstandes aus verschiedenen Motiven durch eine Beseitigung Hitlers die Gewaltherrschaft und den Krieg beenden wollten, war bekannt. Über einen Wiederaufbau Deutschlands und seine Regierungsform gab es teilweise unterschiedliche Meinungen. Aber wie konnte es auch anders sein bei der Vielschichtigkeit der politischen Ansichten. Hier später eine Regelung zu finden, wäre sicher nicht einfach gewesen. Der Ausgang des Krieges hat uns ja dieser Diskussion enthoben.
Dass sich aber die verschiedenen Gruppen zusammenfinden zeigt, dass der Widerstand eine Sache zwar unterschiedlicher, aber in ihrer Verantwortung für Volk und Land gemeinsam Handelnder gewesen ist.
Es gab nur einen Widerstand! Den gegen Hitler!
Diese Tatsache muß der Würdigung des Widerstandes zugrunde liegen.
Wenn wir morgen in Plötzensee gemeinsam der dort ermordeten Widerstandskämpfer gedenken, so wissen wir, dass dort und in vielen anderen Strafanstalten Deutschlands, legitimiert durch sogenannte Urteile der Justiz, von 1933 bis 1945 Gegner der Nazis zu Tode gebracht wurden. Von den in den Konzentrationslagern und ähnlichen Einrichtungen umgebrachten Millionen Menschen ganz zu schweigen. Diese Toten sind es, die uns verbinden und deren wir am Tage des Widerstandes zu gedenken haben.
Dazu gehört auch der Dank an alle, die sich im Widerstand „um das Wohl des Deutschen Volkes und Staates verdient gemacht haben“.
Unser Volk ist aufgerufen, sie nicht zu vergessen!