"Was gesät wird, geht auf."

Gedenkstätte Deutscher Widerstand

„Was gesät wird, geht auf.“

Karl Meyer

Predigt von Pater Provinzial Dr. Karl Meyer am 20. Juli 2005 in der Gedenkstätte Plötzensee, Berlin

Evangelium und Predigttext: Mt. 13

Liebe Schwestern und Brüder!

Information steht heutzutage hoch im Kurs. Wenn man zu den „gewöhnlich gut informierten Kreisen“ gehört, dann ist man wer. Information ist sachlich und gut, scheint ein unschuldiges Wort zu sein.

„Information“ hat aber doch Interessen. Es sagt: Ich soll in Form gebracht werden. Damit werde ich vereinnahmt. Dieses Ziel wird gern kaschiert als Angebot, von Diktatoren als Dienst an der Volksaufklärung gepriesen.

Die Welt ist eben nicht ein Feld aller möglicher letztlich kompatibler Informationen, sondern ein Kampffeld zwischen Gerechtigkeit und Ungerechtigkeit, Wahrheit und Lüge, zwischen Tod und Leben. Beide Pole umgeben sich mit einer eigenen Kultur.

Gegen die Kultur des Negativen die Rede als moralische Beschwörung einzusetzen, ist verbreitet, fruchtet aber nur wenig. Um das Negative zu überwinden, braucht es mehr.

Wort und Rede sind von Natur aus Äußerung: Das Innere wird nach außen gegeben. Wahre Rede bleibt nicht neutral, wird Zusage, teilt Leben mit, äußert das Herz für die Schwachen, ja wird sogar zur Entäußerung dessen, der spricht. Sie ist Aufstand gegen Unrecht und Lüge, ist Eingabe von Leben in den Machtbereich der Todes, in dem schwarz als weiß gepriesen und weiß als schwarz bemängelt wird.

So ist gutes Wort und wahre Rede immer auch Widerstand.

Wer kann sich so äußern und entäußern?

Derjenige, der durch seine Äußerungen sein Wesen nicht veräußert oder auf trügerische Hoffnung setzt.

Wer mehr ausgibt als er hat, dessen letzte Äußerung ist bald der Offenbarungseid.

Die Hoffnung, den Einsatz für das Gute von den Menschen erstattet zu bekommen, ist trügerisch. Gute Worte und Taten, die einen Menschen ändern können, sind verlorene Zuschüsse, müssen Abgründe füllen.

Wer kann das ertragen?

Einer kann es: Jesus von Nazareth. Bei IHM zeigt sich eine unglaubliche Sicherheit.

Er erzählt die Geschichte von Gottes Ackerfeld, das Gott zur Grundlage reicher Frucht machen möchte.

Der Mensch soll reiche Frucht aus personaler Liebe bringen. Der Mensch und die Gesellschaft aber bleiben ein Ackerfeld mit Trampelpfaden, vielen Steinen, mit wuchernden Disteln und Dornen.

Jesus streut auf dieses Feld gelassen und unverdrossen die Saat des guten Wortes aus.

Jesus sagt nicht nur: „eine größere Liebe hat niemand, als wer sein Leben gibt für seine Freunde.“ Er handelt so. Er bleibt mit seinem Wort zusammen. Das macht Sein Wort erst richtig gut.

Jesus ist eben nicht nur der Sämann lebendiger Worte, er ist das lebenskräftige Wort, das auf das vielfältige Feld ausgestreut wird.

Die Macht des Todes ist erschreckend groß. Vieles von der Saat geht verloren. Aber Jesus steigt hinab in das Reich des Todes. Er setzt sich der Todeskultur aus, in der es immer heißt: „Wir haben ein Gesetz, und nach dem Gesetz muss er sterben.“ Jesus aber hat im Tod den Tod überwunden.

Woher hat er das, dass er sich verausgaben kann, ohne sich zu verlieren?

Er sagt: Wie mich der Vater geliebt hat, so habe ich euch geliebt.

Er hört seinen Vater im Himmel sagen: Mein Kind, du bist immer bei mir, und all das Meinige ist dein.

Aus dieser nie versiegenden Kraft der Liebe seines Vaters im Himmel ist Jesus der Widerstehende schlechthin gegen alle Mächte des Todes mit ihren wohlverbrämten Kulturen.

Der Kampf um Leben und Tod geht durch alle Zeiten.

Jesus, der aus dem Tod Auferstandene, ist nicht heraus aus dem Spiel der Geschichte. Der universale Christus selbst sät weiter das gute Wort aus.

Er bleibt das ewig verausgabte gute Wort. Menschen, die auf ihn setzen, dürfen durch seinen Geist in sein Geheimnis und seinen Dienst eintreten und IHN repräsentieren.

Auch gegen Jesu Repräsentanten treten die Mächte des Todes auf, um ihre Kultur als lebensfördernd und vernünftig darzustellen und damit plausibel und hoffähig zu machen.

So versuchen sie immer wieder, durch Unmenschlichkeit die Opfer unmenschlich zu machen, ihnen die Seele zu rauben, sie als unfähig zum Mitleben zu erweisen.

Dagegen zu bestehen, ist mehr als schwer. Wer das tut, leistet fundamentalen Widerstand, bringt bleibende Saat des Lebens in den Boden.

Das geschieht aus der Fülle Christi immer wieder in der christlichen Kirche, doch da der Geist weht, wo er will, auch weit darüber hinaus.

Der Erfahrungsraum, dem wir heute hier in Plötzensee besonders verbunden sind, ist die Nazi-Diktatur. Deshalb wählen wir von dorther unsere Beispiele.

Als mit der Entfernung der Juden aus der universitären Welt auch Edith Stein aus dem Deutschen Institut für Pädagogik herausgeworfen wird, geht sie ins Kloster. Es scheint, sie verlässt die Welt. Der Münsteraner Philosoph Peter Wust schreibt aus dem Anlass ihrer Einkleidung in das Gästebuch des Kölner Karmels zwei Worte: Welteinwärts, weltabwärts.

Ausgestoßen aus der Nazi-Welt, geht Edith Stein ihren Weg mit Jesus umso mehr mit ihrem Volk welteinwärts und weltabwärts, sie endet ihr diesseitiges Leben nackt mit anderen zusammengepfercht in einer Gaskammer in Auschwitz: weltunten.

Dieses Weizenkorn ist damit in die Welt ausgesät.

Die katholische Kirche ehrt Edith Stein heute als eine Patronin Europas. Sagt damit: Ihre Existenz ist in den Nährboden der Welt, in das Fundament Europas fruchtbringend gekommen und aufgegangen.

Äußersten Widerstand leistet Janusz Korczak, der nicht nur berühmte Bücher und Geschichten über Pädagogik schreibt, sondern seine Kinder nach Treblinka in den Tod begleitet und Auswege, sich zu retten, entrüstet von sich weist. Sein verschenktes Leben macht seine Lehre lebendig.

Widerstand gegen den Tod haben auch jüdische Ärzte in Auschwitz geleistet. Viktor Frankl hat 1949 in Wien über Dr. Paul Fürst und Dr. Ernst Rosenberg ehrend berichtet:

„Beide konnte ich im Lager sprechen, kurz bevor sie dort starben. Und es war in ihren letzten Worten kein einziges Wort des Hasses – nur Worte der Sehnsucht kamen über ihre Lippen – und Worte des Verzeihens; denn was sie hassten und was wir hassen, sind niemals Menschen – Menschen muss man verzeihen können.“ (Der Mensch vor der Frage nach dem Sinn. S. 97 f.)

Auch ein Mädchen, das mit über 1000 anderen Kindern zur Erschießung in einen Wald bei Bjelaja-Zerkow geführt wurde, hat der Kultur widerstanden, dass man Kinder „entsorgen“ darf. Es nahm auf dem Wege zur Mordstätte die Hand des neben ihm gehenden SS-Sturmführers Paul Häfner. Häfner hat später vor Gericht diese Szene geschildert, da er sie nicht mehr loswerden konnte. In einem zugetrampelten und erstorbenen Gewissen bricht das Kind die Frage auf: Was tust du hier? Bist du nicht berufen, Vater und Beschützer der Kinder zu sein?

Vom Widerstand der Schwächsten habe ich gesprochen. Denn die Kraft kommt in der Schwachheit zur Vollendung.



Was ist mit dem 20. Juli?

Im Politischen wird der Unterschied zwischen Widerstehen und Widerstand gemacht. Er führt nicht weit und drückt einen zweifelhaften Primat des Politischen in der Entwicklung der Menschheit aus.

Nicht jeder ist zum strukturellen Handeln geboren. Wichtiger noch als die Bereitschaft oder Fähigkeit zu Umstürzen ist der Geist, aus dem gehandelt wird. Denn was gesät wird, geht auf.

Wofür steht der 20 Juli?

Er steht sicher dafür, dass in den Schichten, die gesellschaftlich stärker sind, die aber – gerade auch als Militärs – von System mehr oder weniger vereinnahmt waren, der Geist Christi sich durchsetzte. Er steht für den Ausbruch des Gewissens aus dem System. Er steht für den Ausbruch aus dem Schweigen ins Wort und in die Tat, die sich aufs Spiel setzt.

Er steht aber dafür, dass der konzentrierten dämonischen Macht des Bösen nicht mit menschlicher Gewalt beizukommen ist. Dem „Vollstrecker des Bösen in der Geschichte“ (so Hans-Bernd von Haeften vor Freisler) begegnet nur der Zeuge, nur er überwindet ihn.

Gott lässt unter diesem Datum gute Frucht heranreifen.

Der Geist Gottes lässt Menschen sich bekehren, andere im Glauben wachsen, bringt wunderbare Zeugnisse hervor, stellt sie zusammen ins Licht seiner Wahrheit und Herrschaft. Neben vielen häufig Genannten denke ich an Oberst Alexis von Roenne.

Gott, der Heilige Geist der Beistand klärt in unüberbietbarer Weise die Front zwischen Gut und Böse.

Das Stehen der Angeklagten vor Freisler ist ein bleibenderer Widerstand der Menschlichkeit gegen die Unmenschlichkeit Hitlers und seiner Bande als der Anschlag vom 20. Juli selbst. Warum wurden die Filme über den Prozeß und über die Ermordung der Gegner nicht wie geplant, dem deutschen Publikum gezeigt? Weil selbst die Verbrecher spürten, dass das deutsche Volk ein Gefühl für wahre Ehre hat und damit guter Ackerboden für Gottes Wort ist.

Gott sät die Saat des Widerstandes gegen Hitler immer neu aus, auch heute.

Wenn Stauffenberg mit dem Ruf „Es lebe das heilige Deutschland!“ stirbt, dann geht es letztlich um die tiefste Wurzel des Menschseins, die der dreifaltige Gott ist und der der christliche Glaube nachgeht. Diese braucht ein Deutschland, das Zukunft haben will.

61 Jahre später kann es deswegen nicht einfach um den Wirtschaftsstandort Deutschland gehen, in dessen Namen beliebig über Menschen verfügt wird. Es gehört zur Kultur des Todes, wenn Entlassungen mit dem Ziel der Gewinnmaximierung als „Freisetzung von Arbeitskräften“ verharmlost, Mobbing zur gängigen Praxis und Abtreibung als Rechtsanspruch betrachtet wird. Was kann aus einem Europa werden, das sich seine Menschlichkeit aus sich selbst holen will und Gott als Quelle nicht annehmen, noch nennen will? Ein solches Europa kann sich nur übernehmen.

Gott streut unentwegt das gute Wort Christi aus in und durch Menschen, die solches aufdecken und bekämpfen. Deutschland ist und bleibt ein Ackerfeld Gottes. Gott sät sein gutes Wort heute aus durch die Erinnerung an Menschen, die auf der Seite der Wahrheit und des Lebens als Gegner und Opfer Hitlers standen. Als Kirche haben wir eine besondere Verantwortung, da wir den Namen Jesu kennen, der das Gleichnis des Sämanns ursprünglich und gott-menschlich gelebt hat.

Auf welchen Boden fällt die Saat bei uns? Ist es ein zugetrampeltes, zugewuchertes, steiniges Feld, oder ist es ein wohl bereitetes Feld?

Davon wird das Maß an Menschlichkeit abhängen, mit dem wir und unsere Kinder und Kindeskinder leben dürfen. Christus, der hier auch in dunklen Zeiten gegenwärtig und mächtig war, sei auch in uns mächtig. Amen.







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