"Widerstand gegen Hitler legte ein moralisches Fundament für den demokratischen Neubeginn nach Ende des Krieges"

Gedenkstätte Deutscher Widerstand

Klaus Wowereit

„Widerstand gegen Hitler legte ein moralisches Fundament für den demokratischen Neubeginn nach Ende des Krieges“

Ansprache des Regierenden Bürgermeisters von Berlin Klaus Wowereit am 20. Juli 2001 in der Gedenkstätte Plötzensee, Berlin

Das Attentat am 20. Juli 1944 war der aussichtsreichste Versuch, das nationalsozialistische Regime von innen zu stürzen. Wir sind heute hier hergekommen, um all der mutigen Frauen und Männer zu gedenken, die ihrem Gewissen folgten und dem Unrecht widerstanden. Sie sind und bleiben Vorbilder und sie verpflichten uns.

Das Attentat auf Adolf Hitler vor 57 Jahren ist misslungen. Es war aber nicht vergeblich. Es resultierte aus einer Grundhaltung, die uns Nachgeborenen tiefen Respekt abverlangt und uns Orientierung gibt. Der 20. Juli steht dafür, dass Menschen nach reiflicher Prüfung ihrem Gewissen folgen statt einem Eid. Er steht für ein ausgeprägtes Bewusstsein und Gespür für das, was Recht, und das, was Unrecht ist. Und er steht für ein tief empfundenes Gefühl der Verantwortung gegenüber dem Gemeinwesen.

Der Widerstand hat Hitler nicht gestürzt. Aber er hat ein moralisches Fundament für den demokratischen Neubeginn nach dem Ende des Krieges gelegt. Die Unantastbarkeit der Menschenwürde, die Grundrechte und der Rechtsstaat sind die zentralen Elemente einer neuen staatlichen Verfasstheit, die im Grundgesetz ihren Ausdruck findet. Der Widerstand war aber auch Ausdruck eines ausgeprägten Bürgersinns. Die Männer und Frauen des Widerstandes haben sich gegen die Zerstörung der Gesellschaft durch den totalitären Staat gewehrt. Und sie haben dabei ihr Leben riskiert.

Wir stehen am Beginn des 21. Jahrhunderts. Wir erinnern uns an den Widerstand gegen den Nationalsozialismus, weil es uns ein Anliegen ist, mutige Menschen zu würdigen, und weil wir an ihre Hinterbliebenen denken. Manche von ihnen sind heute unter uns und ich begrüße Sie an dieser Stelle noch einmal besonders herzlich. Der Sinn der Erinnerung liegt auch in der Ermutigung zum Handeln. Wir können und sollten aus dem Gedenken die Kraft schöpfen, um gegen heutiges Unrecht und heutige Inhumanität einzuschreiten. Ich bin überzeugt, dass die Grundhaltungen der Frauen und Männer des Widerstandes vor der Geschichte Bestand haben werden: Individuelles Verantwortungsbewusstsein, Wachsamkeit gegenüber Unrecht, Zivilcourage und die Bereitschaft zum Handeln. Dies sind Orientierungspunkte auch für unser Handeln in einer ganz anderen, einer demokratischen Gesellschaft. Denn eine lebendige Bürgergesellschaft braucht viele Menschen, die bereit sind, Verantwortung zu übernehmen. Sie braucht Menschen, die wissen, was Recht und was Unrecht ist. Sie braucht Menschen, die Mut haben, für ihre Meinung einzutreten.

Und die demokratische Gesellschaft braucht Menschen, die den Mut haben, klar zu widersprechen, wenn im Alltag Unrecht geschieht, wenn Menschen wegen ihres Aussehens benachteiligt oder gar bedroht werden. Ich möchte daher die heutige Gelegenheit nutzen, um all denen zu danken, die im Alltag Mut zeigen. Ich denke dabei zum Beispiel an jene Gruppe von Schülern in Hohenschönhausen, die vor ein paar Monaten beim Herausgehen aus dem Bowling-Center einschritten, als sie Zeuge eines rassistischen Überfalls auf der anderen Straßenseite wurden. Die Schüler haben nicht lange gezögert. Sie haben gehandelt. Das verdient Anerkennung. Das ist vorbildlich.

In diesen Tagen und Wochen ist viel von der zweiten Diktatur auf deutschem Boden im 20. Jahrhundert die Rede: der kommunistischen Herrschaft in der DDR. Wir dürfen die beiden Diktaturen nicht gleichsetzen. Aber wir müssen Lehren aus der Auseinandersetzung mit totalitären Staaten und Ideologien ziehen. Dazu gehört Klarheit und Entschiedenheit: Die Menschenrechte sind ein Wert an sich und dürfen niemals anderen Zielen untergeordnet werden. Das gilt auch für die rückblickende Bewertung historischer Ereignisse: Unterdrückung von Menschen, Freiheitsberaubung und andere Formen der Verletzung von Menschenrechten sind und bleiben Unrecht – egal in welcher Zeit sie begangen wurden. Und das muss auch so benannt werden – ohne Wenn und Aber.

Wir gedenken heute der Menschen, die sich bedingungslos dem Unrecht entgegengestellt haben. Wir verneigen uns in ehrendem Andenken vor mutigen Frauen und Männern, die ihr Leben geopfert haben, um anderen ein Überleben in Würde zu ermöglichen.







Weitere Reden

20.07.2001
Prof. Dr. Herta Däubler-Gmelin