Zeugen für die Freiheit

Eberhard Diepgen

Zeugen für die Freiheit

Ansprache des Regierenden Bürgermeisters von Berlin Eberhard Diepgen im Ehrenhof der Gedenkstätte Deutscher Widerstand in der Stauffenbergstrasse, Berlin

Herr Bundespräsident,

verehrte Frau von Weizsäcker,

Herr Bundeskanzler,

meine Damen und Herren,

gemeinsam mit der „Stiftung Hilfswerk 20. Juli 1944“, dem „Zentralverband demokratischer Widerstandskämpfer- und Verfolgtenorganisationen“ sowie der „Union Deutscher Widerstandskämpfer und Verfolgtenverbände“ haben der Bundeskanzler und ich Sie eingeladen, um den Widerstand gegen die nationalsozialistische Gewaltherrschaft zu ehren und um uns in Bewunderung vor ihm zu verneigen.

Wir tun dies gemeinsam an einem Ort, an dem vor 40 Jahren letzte verzweifelte Hoffnungen grausam scheiterten und an dem dennoch zugleich bleibende Hoffnung gestiftet wurde.

Ich begrüße mit besonderer Achtung die Überlebenden des Widerstandes und der Verfolgung sowie die Angehörigen der Opfer, die Schlimmes und Bitteres erfahren haben.

Die Teilnahme unserer ausländischer Gäste an dieser Gedenkstunde – ich nenne stellvertretend den Präsidenten des amerikanischen Jewish Committee – empfinde ich dankbar als eine Geste der Ermutigung.

Unser Erinnern ist dem ganzen deutschen Widerstand gewidmet. Deutsche aus allen Parteien, aus allen Glaubensgemeinschaften und aus allen Bevölkerungsschichten kämpften gegen den Terrorstaat.

Wir wären unredlich, wollten wir verschweigen, dass es in allen Schichten, Konfessionen, Parteien Minderheiten waren, wenige Einzelne oft nur, die diesen Weg gingen und jeden Kompromiss verschmähten.

Ihr Beispiel ist unendlich wichtig für den schweren Neubeginn. Sie sind Zeugen für die Freiheit und das Recht gegen den totalen Gehorsam, den das System einforderte.

Dietrich Bonhoeffer sagt:

„Gehorsam ohne Freiheit ist Sklaverei, Freiheit ohne Gehorsam ist Willkür. Der Gehorsam bindet die Freiheit, die Freiheit adelt den Gehorsam.“

Von allen Widerstandsgruppen im sogenannten „Dritten Reich“ standen die Verschworenen des 20. Juli 1944 dem letzten Attentat auf Adolf Hitler, der Macht am nächsten. Deshalb standen sie auch am dichtesten vor dem Gelingen einer Befreiung von innen.

Hinter ihnen hatte sich die breiteste politische Basis des Widerstandes in Deutschland zusammengefunden.

Es ist kein Zufall, dass die Träger dieses militärischen Widerstandes aus alten preußischen Traditionen erwuchsen. Viele von ihnen stießen erst spät vor bis zum entschlossenen „Nein“, das ihnen ihr Gewissen gebot.

Umso mehr war dann ihr Widerstand geprägt von elementarer Moralität, einem tiefgehenden Ehrgefühl und einem tapferen Patriotismus.

Wer sie herauslöst aus den Bedingungen ihrer Zeit, kann ihnen nicht gerecht werden.

Erfolg oder Scheitern des Attentats, das war bei ihrer Tat zweitrangig. Entscheidend war der Mut zum Handeln aus Freiheit und Gewissen. Ihr Andenken gehört zu den großen Vermächtnissen unserer deutschen Geschichte.

Als Hauptstadt des Deutschen Reiches wurde Berlin der für 12 Jahre zentrale Ort eines verbrecherischen Regimes, von dem Krieg, Mord und unmenschliche Verfolgung ausgingen.

Berlin war aber auch der zentrale Ort des Widerstandes, von Otto Wels’ großer Reichstagsrede im März 1933 bis zum Scheitern des Umsturzes im Juli 1944. Die Folgen dieses Kapitels deutscher Geschichte bündeln sich im Schicksal dieser Stadt. Kein Ort ist darum geeigneter, die Deutschen an ihre geschichtliche Verantwortung zu erinnern, einzutreten für den Frieden, für die Würde und die Freiheit des Menschen.

Jede Zeit hat ihre Bedingungen. Jede Generation hat ihre Fragen, ihre Chancen und ihr Versagen.

Ich warne vor glatten Parallelen und einem Anspruch, den wir heute – ungefährdet – erheben.

Aber der Mut zum Handeln aus Freiheit und Gewissen, für den dieser Bendlerblock steht, das ist etwas, was uns immer aufgegeben ist, wofür uns die Frauen und Männer des Widerstandes auch heute Vorbild sind.

Viele, insbesondere viele junge Menschen, sehen sich 40 Jahre nach dem gescheiterten Attentat anderen Bedrohungen ausgesetzt.

Umwelt, Frieden, Hunger, Menschenwürde, Freiheit, Gerechtigkeit oder auch Demokratie seien dazu nur als Stichworte genannt. Oft wird die Gegenwart als eine Welt erlebt, die von Angst und Ausweglosigkeit umstellt ist, eingemauert in Sachzwänge und ohne das Licht der Hoffnung.

Trotzdem den Mut zu bewahren, trotzdem verantwortungsbereit und letztlich eben auch erfolgreich handeln zu können, trotzdem in Zuversicht und vom Glauben getragen entschlossen für ein Leben in Freiheit eintreten zu können, das ist die tröstende Mahnung des Widerstandes gegen den Nationalsozialismus, die gültig bleibt bis zum heutigen Tag.

Wir brauchen die moralische Kraft und das Maß von Verantwortungsbereitschaft derer, die im Widerstand ihr Leben wagten, wenn wir vor der Geschichte bestehen wollen.







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