Begrüßung
Feierstunde der Bundesregierung und der Stiftung 20. Juli 1944
am 20. Juli 2025 um 11:00 Uhr in der Gedenkstätte Plötzensee, Berlin, anlässlich des 81. Jahrestages des 20. Juli 1944
- Dr. Stefanie Hubig, Bundesministerin der Justiz und für Verbraucherschutz -
Es gilt das gesprochene Wort.
Ich begrüße Sie im Namen der Bundesregierung zu dieser gemeinsamen Feierstunde der Bundesregierung mit der Stiftung 20. Juli 1944 zum Gedenken an den Widerstand gegen die nationalsozialistische Gewaltherrschaft.
Wir freuen uns, dass Sie, lieber Herr Wegner, und Sie, lieber Herr Brandt, gleich zu uns sprechen werden.
Frau Riedesel wird das Totengedenken sprechen – als Enkelin von Caesar von Hofacker, der auf seinem Posten in Paris zu den Unterstützern seines Vetters Stauffenberg gehörte und der deshalb im Alter von 48 Jahren hier in Plötzensee am 20. Dezember 1944 hingerichtet wurde.
Zum 81. Mal jährt sich heute das gescheiterte Attentat vom 20. Juli 1944.
Und fast 73 Jahre ist es her, dass diese Gedenkstätte eingeweiht wurde.
Im September 1952 war das. Damals war gerade der berühmt gewordene Remer-Prozess wenige Monate her.
Fritz Bauer war es, der diesen Prozess vorangetrieben hatte – als damaliger Braunschweiger Generalstaatsanwalt. Er war Demokrat und Jurist jüdischer Herkunft und nach Konzentrationslager, Haft und Exil in sein Heimatland zurückgekommen. Sein Ziel: Er wollte – auch als politisches Signal – den Deutschen vermitteln, dass der Widerstand gegen Hitler kein Landesverrat war – was man in Deutschland damals noch weithin genau so empfand. Seine Überzeugung war ganz klar eine andere.
Otto Ernst Remer – der Angeklagte – war selbst an der Niederschlagung des Umsturzversuchs vom 20. Juli beteiligt gewesen, als Kommandeur des Berliner Wach-Bataillons. Remer hatte im Mai 1951 in einer Rede vor seiner „Sozialistischen Reichspartei“ SRP von den Attentätern als „Landesverräter“ gesprochen. Fritz Bauer erreichte, dass Remer zu drei Monaten Haft verurteilt wurde – wegen übler Nachrede. Und: Die Widerstandskämpfer des 20. Juli 1944 waren rehabilitiert. Der Rechtstaat hatte sich klar positioniert.
Meine sehr geehrten Damen und Herren,
es ist im Zusammenhang mit Momenten wie diesem heute leider nicht selten von einer angeblichen „Gedenk-Routine“ die Rede.
Aber jeder Mensch, der hier an diesen Ort kommt, kann den Mut derjenigen, die ihr Leben aufs Spiel setzten und ihr Leben verloren, spüren und ihn nur bewundern. Jeder Mensch ist hier bewegt von dem unvorstellbaren Leid derjenigen, die zurückblieben – die Partnerinnen und Partner, Kinder, Eltern und Familien, die Freunde, die damit leben mussten, dass die Menschen, die ihnen eng verbunden waren, vom Staat ermordet wurden.
Wir sind erschüttert. Es ist noch immer ein schwerer Gang hierher. Und das soll es auch bleiben: ein schwerer Gang, der uns zum Nachdenken bringt. Zum Nachdenken über eine Verantwortung, die wir als Volk haben und immer haben werden: Dass von Deutschland nicht noch einmal ein solch monströser Horror ausgeht wie er damals hier herrschte. Aus Schuld folgt eben diese Verantwortung. Für uns alle. Und das ist ein Gedanke, der auch die junge Generation erreichen kann- und erreichen muss.
Wenn wir uns heute manchmal etwas ratlos fragen, wie die Erinnerung wachgehalten werden kann, wo doch die letzten Zeugen und Überlebenden dieses unfassbaren Schreckens gerade von uns gehen – zuletzt mit 103 Jahren Margot Friedländer; dann kann doch eine Antwort sein: Indem wir einen Ort wie diesen besuchen – und uns berühren lassen!
Die Männer und Frauen des 20. Juli fanden den Mut, ihre moralischen und politischen Skrupel in Widerstand zu verwandeln.
Sie sind ihrem Gewissen gefolgt; und sie wollten – das verband sie alle untereinander und das möchte ich als Justizministerin besonders betonen – Deutschland zur Rechtsstaatlichkeit und zur Menschlichkeit zurückführen.
Und es waren – auch das steht uns heute deutlich vor Augen – Menschen mit den verschiedensten Hintergründen, die sich wehrten. Schon die spätere ZEIT-Herausgeberin Marion Gräfin Dönhoff, selbst mit Männern und Frauen des 20. Juli eng befreundet, schrieb unmittelbar nach dem Krieg, in der ersten größeren Würdigung des Widerstands vom 20. Juli überhaupt, ich zitiere sie:
„Alle Schichten des deutschen Volkes, die Arbeiter und Gewerkschaften, die Wissenschaft, der Generalstab und das Heer, der landangesessene Adel und die Beamtenschaft bis hinauf in die Ministerien, jeder hatte das Beste, was in seinen Reihen stand, [dem Widerstand] zur Verfügung gestellt“.
Und es ist zu ergänzen: Widerstehen, das taten auch Kommunistinnen und Kommunisten, Studentinnen und Studenten und einfache Frauen und Männer, die in ihren kleinen Wohnungen Jüdinnen und Juden versteckten, die sich auf die verschiedenste Weise in Gefahr brachten, indem sie Verfolgten halfen.
Hier in Plötzensee wurden sie hingerichtet. An drei von den mehr als 2.800 Ermordeten will ich erinnern.
Emmy Zehden, die hier am 9. Juni 1944 gegen 13 Uhr hingerichtet wurde, weil sie als Zeugin Jehovas jeden Militärdienst ablehnte und ihren Neffen versteckt hatte, der sich dem Dienst entzog. Eineinhalb Stunden vor ihrer Hinrichtung hatte man ihr mitgeteilt, dass ihr Gnadengesuch abgelehnt worden war. Sie habe sich während dieser Mitteilung „ruhig und gefasst“ verhalten, so der Aktenvermerk.
Erich Deibel, Metallarbeiter, der hier am 15. August 1942 enthauptet wurde, weil er einen Streik- und KPD-Aufruf an eine Hauswand geschrieben hatte. Seine erfolgte Hinrichtung wurde in Berlin öffentlich plakatiert – wie das in vielen anderen Fällen auch geschah.
Hilde Coppi, die im Frauengefängnis im November ihren Sohn zur Welt brachte und hier am 5. August 1943 zusammen mit zwölf weiteren Frauen der „Roten Kapelle“ enthauptet wurde und die manchem von uns im vergangenen Jahr im Film von Andreas Dresen noch einmal sehr nahegekommen ist. Ihr Mann Hans war acht Monate zuvor hier ermordet worden.
Und immer wieder beschließt und vermerkt vor den Ermordungen der Reichsminister der Justiz oder Hitler selbst, ich zitiere die wiederkehrende Formulierung: „von dem Begnadigungsrecht keinen Gebrauch zu machen, sondern der Gerechtigkeit freien Lauf zu lassen“.
Die letzten Briefe vor den Hinrichtungen hier in Plötzensee – etwa von Hilde Coppi an ihre Mutter oder von Helmuth James Graf von Moltke an seine Frau Freya: Das sind ergreifende Dokumente menschlicher Gefasstheit und Größe angesichts des bevorstehenden Todes.
Meine sehr geehrten Damen und Herren,
es waren nicht genug; aber es waren viele, die die Angst überwanden.
Es waren viele, die in ihrem Umfeld der Unmenschlichkeit widerstanden und geholfen haben; die ihren Impulsen zur Mitmenschlichkeit gefolgt sind.
Wie groß muss der Mut gewesen sein, den das kostete!
Wir können es kaum ermessen: wie sehr jene Frauen und Männer gegen die Angst vor Denunziation und Entdeckung angekämpft haben müssen; wie groß die Angst gewesen sein muss, ihre Liebsten mit zu gefährden!
Was für ein leuchtendes Zeichen der Menschlichkeit, die uns eben doch möglich ist! Das Gewissen kann stärker sein als der Wunsch, persönlich unbehelligt zu bleiben!
Meine sehr geehrten Damen und Herren,
immer wieder wird diskutiert, ob wir wieder eine Situation wie vor 1933 haben. „Bonn ist nicht Weimar“ – war vor Jahrzehnten schon einmal die Antwort auf ähnliche Unsicherheiten. Und ist Berlin Weimar? Vielleicht können wir die Frage theoretisch unbeantwortet lassen – und sie praktisch um so klarer beantworten: Indem wir uns heute entschieden wehren; indem wir uns heute denen entgegenstellen, die unsere Ordnung des Rechts, der Freiheit und der Menschlichkeit untergraben und schwächen wollen, die die Institutionen des freiheitlich-demokratischen Rechtsstaats verächtlich machen.
Recht und Demokratie stehen wieder unter Druck; wir wissen es alle, wir spüren es täglich.
Es braucht heute uns alle, unsere Ordnung zu verteidigen. Und wie leicht ist es heute, das zu tun, im Vergleich zu damals!
Heute braucht es dazu keinen Todesmut. Um so unbeirrter und lauter sollten wir sagen: Wir lassen uns Rechtsstaat und Demokratie nicht noch einmal zerstören! Wir – und auch unsere Kinder und Enkel – wollen in Recht und Freiheit leben. Die Männer und Frauen des Widerstandes haben für diesen Willen ihr Leben gelassen – an diesem Ort. Wir dürfen bis heute aus diesem moralischen Handeln Kraft schöpfen.
Wir ehren die Männer und Frauen des Widerstandes, wir ehren das Opfer ihres Lebens und das Leid ihrer Angehörigen – indem wir uns heute hinstellen und über alle Unterschiede hinweg sagen: Menschlichkeit und Recht und Freiheit, die lassen wir uns nicht nehmen, die verteidigen wir gegen alle, die sie angreifen, von innen und von außen!
Die Lehre aus dieser Schuld und diesem Schrecken ist und bleibt: Verantwortung!
Vielen Dank.
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