Ihr Wirken dauert fort bis heute

Bernhard Vogel

Ihr Wirken dauert fort bis heute

Gedenkrede des Ministerpräsidenten des Freistaates Thüringen Dr. Bernhard Vogel am 20. Juli 1996 im Ehrenhof der Gedenkstätte Deutscher Widerstand in der Stauffenbergstraße, Berlin

Verehrte Angehörige der Opfer,

verehrte Gäste,

Frau Vizepräsidentin des Bundestages,

Kolleginnen und Kollegen aus den Parlamenten und den Regierungen,

Frau Bürgermeister Bergmann,

ich danke der Stiftung für die Einladung, heute hier zu sprechen. Hier im Bendlerblock, der in den Monaten vor dem 20. Juli 1944 zum Zentrum des militärischen Widerstandes wurde und heute vor 52 Jahren Stätte seines tragischen Scheiterns.

Über die Jahrzehnte seither war der 20. Juli 1944 für alle, die sich hier versammelt haben, Anlass zu wehmütigen Gedanken, aber auch Zeichen der Hoffnung:

- In der unmittelbaren Nachkriegszeit, als viele wie benommen vor den Trümmern ihres Lebens standen und doch beherzt den Neuanfang wagten.

- In der Zeit, als unser Vaterland geteilt war und die Menschen, vor allem jenseits der Mauer, unter dieser Teilung litten. 45 Jahre mussten vergehen, bis sie ihrerseits Unfreiheit und Gewalt abschütteln konnten.

- Und erst recht heute, nachdem wir Deutsche – wie Fritz Stern es gesagt hat – eine „zweite Chance der Geschichte“ erhalten haben.

Auch dieser 20. Juli 1996 ist für uns Anlass, uns in Trauer und Schmerz, aber auch in großer Dankbarkeit vor allen Opfern des Widerstandes gegen Hitler zu verneigen und aus ihrem Leben Hoffnung für uns und für unser Vaterland zu schöpfen.

Wir gedenken der Männer und Frauen des 20. Juli, die bereit waren, für ihr Vaterland, für Recht und Freiheit ihr Leben zu geben. Derer, die noch in der Nacht zum 21. Juli 1944 hier im Bendlerblock erschossen wurden: Oberst Graf Schenk von Stauffenberg, General Friedrich Olbricht, Oberst Albrecht Mertz von Quirnheim, Oberleutnant Werner von Haeften, Generaloberst Ludwig Beck.

Wir gedenken derer, die in der Folge des 20. Juli verhaftet und gefoltert wurden, ehe man sie in Schauprozessen durch eine pervertierte Justiz eines Unrechtsregimes aburteilen ließ und schließlich ermordete. Ich nenne für viele: Carl Goerdeler, Wilhelm Leuschner, Josef Wirmer, Ulrich von Hassell, Julius Leber. Sozialdemokratische, konservative und liberale Politiker, die mit den Verschwörern zusammengearbeitet und auf die sich ihre Hoffnungen für eine bessere Zukunft gerichtet hatten. Ihre Namen stehen für Tausende, gegen die sich die Gewalt Hitler-Deutschlands nach dem Scheitern des Attentats richtete. Über 200 von ihnen wurden im Zusammenhang mit dem 20. Juli hingerichtet.

An sie alle sei hier stellvertretend auch für diejenigen erinnert, die in der dunkelsten Epoche deutscher Geschichte den Mut fanden, zu widerstehen.

Es darf uns heute nicht ruhen lassen, dass die Urteile des Volksgerichtshofes und anderer Gerichte gegen Widerstandskämpfer des 20. Juli und gegen andere Oppositionelle möglicherweise noch immer formal rechtsgültig sind. Ich denke beispielsweise an das Urteil des SS-Standgerichts im Konzentrationslager Flossenbürg, das in der Nacht zum 9. April 1945 Dietrich Bonhoeffer, Sack, Canaris, Oster und Gehre zum Tode verurteilte. Diese Unrechtsurteile müssen zweifelsfrei aufgehoben werden. Und in der Tat: Überlebende Verschwörer des 20. Juli dürfen nicht dafür bestraft werden, dass sie überlebt haben.

Die Tat Stauffenbergs war nicht die Tat einer angeblich „ganz kleinen Clique ehrgeiziger ... Offiziere“, wie Hitler in der Nacht zum 21. Juli vorgab. Der 20. Juli 1944 war der Tag, an dem der Widerstand gegen den Nationalsozialismus in einem dramatischen Höhepunkt, in dem Attentat auf den „Vollstrecker des Bösen“ – wie Hans-Bernd von Haeften einmal gesagt hat – gipfelte. Zu Recht ist der 20. Juli 1944 heute Symbol für den deutschen Widerstand.

Es ist oft gefragt worden, ob der Versuch früher hätte erfolgen müssen. „Was wäre geschehen, wenn sich das Attentat vier Jahre früher ereignet hätte?“, – fragt auch Hans Maier und antwortet: „Sicherlich wären die Verschwörer von der Empörung einer im Siegesrausch verblendeten Nation hinweggefegt worden. Die Stunde mußte abgewartet werden, in der sich die Niederlage klar und unverkennbar abzeichnete. Nicht eher konnten die Widerstandskämpfer damit rechnen, im Auftrag des Volkes zum Besten des ‚anderen Deutschland' zu handeln. Der politische Betrachter wird immer wieder feststellen, daß die Tat des 20. Juli ungenügend vorbereitet war und daß sie zu spät kam; als ein Akt moralischer Reinigung aber gehört sie einem Bereich an, für den das Gesetz des ‚zu wenig und des zu spät' nicht gilt“ – soweit Hans Maier.

Fest steht: In den letzten neuneinhalb Monaten des Krieges, vom 20. Juli 1944 bis zum 8. Mai 1945, starben fast doppelt so viele Menschen wie in den Kriegsjahren zuvor. Hitlers unsinnige Durchhalteparolen und seine verbrecherischen Befehle trieben, als der Krieg bereits verloren war, noch Millionen auf den Kriegsschauplätzen in Europa, in den Konzentrationslagern und zu Hause in den Luftschutzkellern in den Tod. Zahlen, die uns erschüttern und die die Bedeutung dieses mutigen Versuches zeigen, mit dem die Verschwörer des 20. Juli das Grauen beenden wollten.

Ja, es war in der Tat ein „langer Weg zum 20. Juli“. Zu viele Fragen waren zu klären, ehe der Entschluss fallen konnte. Zu sehr waren die Verschwörer auch Menschen ihrer Zeit. Konnte man den auf die Person Hitlers, des Reichskanzlers und obersten Befehlshabers geleisteten Fahneneid brechen? Machte man sich nicht des Landesverrats, des Verrats an den Kameraden an der Front schuldig? War Gewalt als Mittel zur Bekämpfung von Gewalt tatsächlich erlaubt? War das Attentat auf Hitler im Sinne der Tyrannenmordlehre nach Thomas von Aquin mit christlichen Handlungsmaximen vereinbar? Und: Konnte man tatsächlich für sich in Anspruch nehmen, im Auftrag „des Volkes“ zu handeln?

Joachim Fest schreibt: „Das Beispiel Tresckows zeigt, daß selbst die zum Umsturz entschlossenen Offiziere Mühe hatten, jenes letzte, im Gefühl verwurzelte Hemmnis zu überwinden, das alles, was sie dachten und planten, als Pflichtvergessenheit erscheinen ließ, als Anmaßung und verantwortungsloses Tun vor allem der eigenen Truppe gegenüber, mit der vielberedeten Gefahr des Bürgerkriegs im Hintergrund.“

Und dennoch wagten die Männer und Frauen des 20. Juli den Schritt.

Auch dann noch, als es kaum mehr Hoffnung gab, eine Widerstandsregierung einzusetzen und die bedingungslose Kapitulation abwenden zu können.

Es war gerade seine Ausweglosigkeit, die dem Staatsstreichversuch vom 20. Juli seine Größe gegeben hat und die am besten mit dem vielzitierten Wort Henning von Tresckows wiedergegeben werden kann: „Denn es kommt nicht mehr auf den praktischen Zweck an, sondern darauf, dass die deutsche Widerstandsbewegung vor der Welt und vor der Geschichte unter Einsatz des Lebens den entscheidenden Wurf gewagt hat. Alles andere ist daneben gleichgültig.“ Nicht ob der Staatsstreich gelungen ist, sondern dass er geschehen ist, sollte Maßstab der Geschichte sein.

„Wir wollen der Hoffnungslosigkeit, daß dieser Krieg noch unendlich weitergehen müsse, ein Ende machen. Wir erstreben einen gerechten Frieden, der an die Stelle der Selbstzerfleischung und Vernichtung der Völker friedliche Zusammenarbeit setzt. Ein solcher Friede kann sich nur auf Achtung vor der Freiheit und auf Gleichberechtigung aller Völker gründen“ – so hieß es in dem vorbereiteten Aufruf, den die Männer und Frauen des 20. Juli nach dem Gelingen des Staatsstreiches an das deutsche Volk richten wollten. Eine Botschaft, die erst später gehört und verstanden wurde. Und die für uns heute das Vermächtnis des 20. Juli 1944 ist. Wenn wir uns heute – im wiedervereinigten Deutschland – mit der Geschichte des Widerstandes gegen den Nationalsozialismus befassen, wenn wir uns die Frage nach der Bedeutung des 20. Juli 1944 stellen, dann dürfen wir auch hier die Hypothek der 40-jährigen Teilung Deutschlands nicht außer Acht lassen. 40 Jahre war die offizielle Interpretation des Widerstandes gegen Hitler in einem Teil Deutschlands Instrument der eigenen Machtsicherung. Erst heute können wir uns in ganz Deutschland frei mit diesem Teil unserer Geschichte auseinander setzen. Damit zusammenwächst, was zusammengehört, müssen wir uns auch erzählen, wie völlig unterschiedlich über 40 Jahre die öffentliche Würdigung des 20. Juli 1944 in beiden Teilen Deutschlands war.

Niemand, dem es um Wahrheit geht, übersieht, dass auch Kommunisten dem Nationalsozialismus tapfer und zum Teil unter Einsatz ihres Lebens widerstanden haben. Noch in den Kriegsjahren gab es kommunistische Gruppen in Deutschland, vor allem in Berlin, in Thüringen, in Leipzig. Die meisten kommunistischen Führer hatten selbst Jahre in Gefängnissen und Konzentrationslagern zugebracht. Die Gruppe Neubauer und Poser in Thüringen zum Beispiel unterhielt Verbindung zu einer Gruppe im Konzentrationslager Buchenwald, half mit Lebensmitteln und schmuggelte sogar Waffen ins Lager.

Aber Geschichte, insbesondere die Geschichte des Widerstands, darf nicht instrumentalisiert werden, so wie es in der DDR über Jahrzehnte hinweg geschehen ist. Hans Rothfels hat es 1962 so gesagt: Recht und Unrecht, Gewissenskampf und Gewissensentscheidung, das Menschliche im Protest gegen das Unmenschliche lassen sich nicht in das enge Schema des Klassenkampfes zwängen.

Lange Jahre fand der Widerstand des 20. Juli in der offiziellen DDR-Geschichtsschreibung keine Würdigung. Der Widerstand des Militärs, des Adels, der Kirchen passte nicht in das Bild des staatlich definierten Antifaschismus.

Am 21. Juli 1944 hatte die KPD-Führung aus dem Moskauer Exil das Attentat noch begrüßt. Anton Ackermann würdigte die Tat im Sender des NKFD: „Wer gegen Hitler kämpft, wer diesen schlimmsten Feind der Nation stürzen will, dem gehört die aktive Unterstützung aller ehrlichen Deutschen, aller Generäle, Offiziere und Soldaten, die Unterstützung des ganzen Volkes.“ Ein Jahrzehnt später waren diese Worte vergessen. Und Walter Ulbricht urteilte: „Die gleichen Kräfte der Bourgeoisie, die Hitler mit zur Macht gebracht und die Politik des faschistischen deutschen Imperialismus unterstützt hatten, solange er militärische Erfolge hatte, versuchten bei Herannahen der Niederlage einen Absprung aus dem Zuge, der dem Abgrund zueilte, um die Grundlage der monopolkapitalistischen Herrschaft zu retten.“

Wir kennen viele Zeugnisse des Widerstandes gegen die Gewalt und den Terror Hitler-Deutschlands. Eine Widerstandsbewegung, die alle Gegner Hitlers sammelte, aber hat es zu keiner Zeit gegeben. Durch den sich rasch entfaltenden Staatsterror, die Gleichschaltung aller gesellschaftlichen und politischen Kräfte konnte sich Widerstand nur unter konspirativen Bedingungen, aus dem Untergrund heraus vollziehen. Wer kann schon heute noch die Einsamkeit ermessen, von der Carl Zuckmayer 1969 gesprochen hat: die Einsamkeit dessen, der in einer „Sieg-Heil“ schreienden Menschenmasse stand und anders dachte.

Hinzu kamen die unterschiedlichen politischen Ziele und Vorstellungen der einzelnen Personen und Gruppen im Widerstand.

Es gab den Widerstand aus humanitären Gründen, es gab den Widerstand der Jugend, der Konservativen, des Zentrums, der Sozialdemokraten, der Kommunisten. Es gab Widerstand von Männern und Frauen in der katholischen Kirche und in der evangelischen Kirche. Es haben sich Gruppen wie der Kreisauer Kreis, die Goerdeler-Gruppe, die Weiße Rose gebildet. Es gab Widerstand des Militärs und von Pazifisten. Bei allen Unterschieden, die sie trennten, sie waren in ihrem Ziel eins, der Schreckensherrschaft ein Ende zu machen.

Noch einmal Joachim Fest, der schreibt: „Es gab nur eine Anzahl elementarer Maxime, die allen gemeinsam und ein Stück festen Grundes waren, auf dem sie standen: kein Teil haben an der Gewalt, auch nicht an der Besinnungslosigkeit und dem Unrecht ringsum, sich das Bewußtsein für Recht und Unrecht erhalten oder, wie eine der Frauen aus dem Umkreis Tresckows es ausgedrückt hat, ‚einfach irgendwie anständig überleben’“.

„Ewig wird es zu beklagen sein, daß das deutsche Volk sich nicht dazu ermahnen konnte, sich selbst von dem verworfensten Regime zu befreien, das je eine große Nation beherrscht hat“ – Thomas Mann am 4. August 1945. Darin liegt eine tiefe, beschämende Wahrheit. Denn auch wenn es in allen gesellschaftlichen Schichten Widerstand gab, so blieb es doch bis zum Schluss, wie Hans Mommsen einmal gesagt hat, ein „Widerstand ohne Volk“.

Das Ende kam von außen. Und da sich das deutsche Volk nicht selbst befreien konnte, war die absolute Niederlage die Bedingung für die Befreiung Europas und Deutschlands von der nationalsozialistischen Diktatur. Der 8. Mai 1945 war mehr als das Ende des Krieges. Der 8. Mai 1945 war der Tag des endgültigen Zusammenbruchs der nationalsozialistischen Herrschaft, der Tag der Befreiung vom Nationalsozialismus. Deutschland war besiegt und befreit zugleich. Karl Dietrich Bracher spricht von der „Niederlage, die eine Befreiung war.“

Tagebucheintragungen und Briefe zeigen, dass viele Menschen damals versuchten, mit dem Schrecken fertig zu werden. Mit der äußeren Zerstörung verband sich vielfach innere Verzweiflung; aber vor allem Scham angesichts der aufgedeckten Irrwege, Selbsttäuschungen, Verblendungen und Verbrechen. Ich spreche hier nicht von den Mördern, von den Tätern und denen, die in vollem Bewusstsein Befehle gaben, und denen, die diese Befehle ausführten. Ich spreche von Millionen von Deutschen, die schwiegen, die wegsahen, die mitliefen.

Die Verführung, den leichten Weg zu gehen, hat damals viele erfasst. Nur ihr Gewissen kann das Ausmaß ihrer Schuld nennen. Schuld aber ist individuell, nicht kollektiv. Wer heute wieder von Kollektivschuld spricht, wie es etwa der amerikanische Historiker Daniel Goldhagen in seinem jüngst erschienen Buch „HitIers Willing Executioners“ tut, der verkennt nicht nur historische Tatsachen, sondern er vergibt auch die Chance zur Erneuerung, die in der Erkenntnis liegt, dass niemand, in keiner Nation der Welt, je davor sicher ist, schuldig zu werden. In dem Bewusstsein, dass Schuld etwas Individuelles ist, liegt auch die Erkenntnis, dass wir erneutes Schuldigwerden nur verhindern können, wenn wir in der Wachsamkeit nicht nachlassen.

Es gibt keine individuelle Schuld der Nachgeborenen. Zwei Drittel der heute lebenden Deutschen waren 1945 noch nicht geboren. Aber es gibt angesichts der Verbrechen der Nazizeit das, was Theodor Heuss „Kollektivscham“ der Deutschen nannte. Wir haften moralisch für die Taten und Untaten der Vorfahren. Wir empfinden Scham für das, was in deutschem Namen an Unmenschlichem geschehen ist.

Uns – in der alten Bundesrepublik Deutschland – blieb es – Gott sei Dank – erspart, Gewissensentscheidungen treffen zu müssen, wie sie die Menschen unter den beiden totalitären Systemen in diesem Jahrhundert treffen mussten.

Was uns die Männer und Frauen des deutschen Widerstandes gegen Hitler hinterlassen haben, ist auch die Erkenntnis, dass es in der Gemeinschaft eines Volkes über alle Schranken hinweg etwas Gemeinsames geben muss: Ein Grundkonsens über tragende Werte, über politische Freiheit, Menschenwürde, Selbstbestimmung, Rechtsstaatlichkeit, Solidarität, Gerechtigkeit und Frieden.

Wo vieles umstritten ist, muss das Wesentliche gemeinsam sein. Gerade darum ist es so wichtig, dass wir als Demokraten gegen Extremisten jeglicher Couleur verbunden sind. Keine Freiheit den Feinden der Freiheit! Und: Demokratie lebt von der Teilhabe und der Teilnahme. „Wer heute konsequent unsere freiheitliche Demokratie verteidigt, wird morgen nicht in die Lage kommen, Widerstand leisten zu müssen“ (Helmut Kohl, 20. Juli 1994).

Ja, es ist unfassbar, dass heute Menschen wieder nationalistischen und extremistischen Gedanken anhängen und dafür Propaganda betreiben und dass es hier in Europa noch immer Gewalt gibt gegen Andersaussehende, Anderssprechende, Andersgläubige, Andersdenkende. Orientierungslosigkeit und Zukunftsangst allein dürfen nicht als Erklärung dafür herhalten, dass Hass und Gewalt gegen Schwächere gerichtet werden, dass es wieder Menschen gibt, die sich mit Naziemblemen umgeben, die nationalsozialistische, aber auch kommunistische Parolen verkünden. Man kann und muss mit diesen Menschen sprechen, man muss ihnen helfen. Aber eines darf man niemals tun: schweigen oder wegsehen! Wir müssen den Anfängen wehren.

Es hat 45 Jahre gebraucht, bis wir die schlimmsten Folgen der Katastrophe, die die Männer und Frauen des 20. Juli verhindern wollten, überwunden haben; soweit sie überhaupt überwindbar sind. Heute, da wir wie nie zuvor die Möglichkeit haben, eine dauerhafte europäische Friedensordnung zu schaffen, da wir unserer gewachsenen Verantwortung auch weltweit gerecht werden können, sollten wir die Chance auch als Verpflichtung begreifen. Als Verpflichtung, uns für Frieden, Freiheit und Menschenrechte einzusetzen, hier in Europa und in der Welt.

„Immer und überall sind es eben Menschen, die denken, planen und handeln; nicht „gute“ und „schlechte“ Menschen – diese Unterscheidung trifft nicht den Kern, sondern es handelt sich wohl immer um den Gegensatz zwischen denen, die über das eigene Ich hinaus in das Große, ganz selten in das Ganze sehen können und danach leben und handeln, und denen, die im Persönlichen hängen bleiben.“

Diese Sätze schrieb Albrecht Ritter Mertz von Quirnheim 1942 an seine Frau.

Mein Wunsch ist, dass wir das Vermächtnis der Männer und Frauen des deutschen Widerstandes nicht vergessen, dass wir über die eigenen Vorstellungen und Bedürfnisse hinaus den Blick für das Große, das Ganze nicht verlieren.

Aus welchen Gründen Menschen in jener Zeit auch den Weg in den Widerstand fanden: Es muss uns heute auch darum gehen, jedem Einzelnen von ihnen gerecht zu werden.

Es waren keine namenlosen Helden, sondern es waren Menschen, die die Aussicht auf eigenes Glück und auf eigene Zukunft riskierten, damit wir heute in Frieden und Freiheit leben sollten. Indem sie ihrem Gewissen folgten, haben sie den Boden dafür bereitet, dass unser Vaterland wieder zu sich selbst finden konnte und nicht für alle Zeiten aus der Gemeinschaft der Völker ausgeschlossen blieb.

Nicht der Ausgang, nicht der Misserfolg, ihr Widerstand, ihre Tat ist das Entscheidende. Und deshalb dauert ihr Wirken fort bis heute und auch für die Zukunft.







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20.07.1996
Prof. Dr. Klaus Töpfer