Wir verneigen uns in Dankbarkeit und Ehrfurcht

INCLUDEPICTURE "file:///G:/Stiepani/Bilder/LOGO_GDW.jpg" \* MERGEFORMATINET Gedenkstätte Deutscher Widerstand

Klaus Töpfer

Wir verneigen uns in Dankbarkeit und Ehrfurcht

Ansprache des Bundesministers für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau Prof. Dr. Klaus Töpfer am 20. Juli 1996 im Ehrenhof der Gedenkstätte Deutscher Widerstand, Berlin

Zum 52. Male jährt sich heute der Tag, an dem sich der Widerstand gegen die unmenschliche Diktatur der Naziherrschaft in einer entscheidenden Maßnahme, in einer großen, dramatischen Initialzündung, die Bedingungen für einen Neuanfang in Deutschland, für ein Ende der Unmenschlichkeit und des Unfriedens schaffen wollte.

Und wieder stehen wir hier an diesem Ort der besonderen Erinnerung, der Gedenkstätte:

hier, in diesem Bendler-Block wurden sie nach dem Scheitern der Tat erschossen

- General Beck und General Olbricht

- Oberst von Stauffenberg und Oberst Mertz von Quirnheim

- Oberleutnant von Haeften.

Wir verneigen uns in Dankbarkeit und Ehrfurcht vor ihnen und allen denen, die widerstanden haben

- aus allen Schichten der Bevölkerung

- in allen Lebensbereichen

- getragen von unterschiedlichen Überzeugungen

die widerstanden haben

- gegen Diktatur und Unmenschlichkeit

- gegen Rassismus und Antisemitismus

- gegen Chauvinismus und ideologischen Fanatismus

damals in Deutschland und später danach immer wieder bis heute - wo immer auf dieser Welt.

Wieder und wieder spüren wir uns eingebunden in die Bewältigung der uns allen gestellten Aufgabe, wie Diktatur und Menschenverachtung, wie Intoleranz und Unterdrückung vermieden werden können, ohne dass es des selbstlosen Opfergangs mutiger Männer und Frauen in einer solchen Tat bedarf.

Im Namen der Bundesregierung ist es für mich eine große Ehre, aus diesem Anlass Ehrengäste begrüßen zu dürfen, die mit diesem 20. Juli, die mit dieser Verpflichtung zur Erinnerung, zur mahnenden Erinnerung an die Bewahrung von Freiheit und Demokratie, in besonderer Weise verbunden sind.

Ich begrüße

Frau Annemarie Renger

und mit ihr die Mitglieder des Zentralverbandes demokratischer Widerstandskämpfer und Verfolgtenorganisationen.

ich begrüße

Herrn Georg Prinz

und mit ihm die Union Deutscher Widerstandskämpfer und Verfolgtenorganisationen.

ich begrüße

Herrn Dieter Thomas

und mit ihm die Stiftung 20. Juli 1944.

Es ist mir in besonderer Weise eine Ehre, die Herren Ministerpräsidenten Manfred Stolpe und Dr. Bernhard Vogel zu begrüßen.

Herrn Ministerpräsidenten Dr. Vogel danke ich besonders dafür, dass er heute die Gedenkansprache an uns richten wird.

Ich begrüße die Vizepräsidenten

des Deutschen Bundestages

Frau Antje Vollmer

und Herrn Burkhard Hirsch

und mit ihnen alle Mitglieder des Bundestages und des Abgeordnetenhauses.

Ich begrüße den Kollegen Schmidt-Jortzig und alle Kolleginnen und Kollegen aus den Bundesländern, insbesondere Frau Bürgermeisterin Dr. Christine Bergmann.

Es ist uns eine besondere Ehre, dass zahlreiche Vertreter des Diplomatischen und Konsularischen Corps unserer Einladung gefolgt sind.

Ich darf Sie, verehrte Exzellenzen, sehr herzlich begrüßen.

Es ist eine gute, wohl begründete Tradition, dass Vertreter der Bundeswehr an dieser Gedenkstunde teilnehmen und ihr einen besonderen Rahmen geben.

Und ich darf alle begrüßen, die heute den Weg hierher zu dieser Gedenkstätte im Bendler-Block gefunden haben und die mit ihrer Anwesenheit alle die ehren,

- die nicht vor dem Terror der Diktatur resignierten und kapitulierten oder gar sich in die Maschinerie dieser Unmenschlichkeit als kleineres oder größeres Rädchen einbauen ließen,

- die sich nicht gebeugt haben,

- die nicht den einfachen Weg der Anpassung und des Wegsehens gegangen sind,

- die widersprachen, auch um den Preis ihres Lebens,

- die Unrecht auch Unrecht nannten,

- die anprangerten, wenn die Gerechten an den Pranger gestellt wurden.

In den Trümmern Berlins, am Ende dieses wahnsinnigen Krieges, hat Karl Korn in einem kleinen Büchlein mit dem Titel „Die Rheingauer Jahre“ Lebenserinnerungen niedergeschrieben.

Er hat dieses begonnen mit den Worten:

„Wir müssen beginnen, wieder Tradition zu bilden. Ein Anfang dazu scheint es mir, Erinnerungen zu haben.“

Erinnerungen haben und wach halten, sie für Traditionen nutzen, die uns leiten sollen, damit wir nicht abgleiten - also nicht ausweichen vor Geschehenem, mag es noch so tragisch, mag es noch so unvollkommen, mag es noch so belastend sein.

Nicht Schichten über Geschehenem aufhäufeln lassen sondern diese wieder abtragen, damit Spurenlese möglich bleibt, damit die Vergangenheit nicht unfruchtbar wird für die Gestaltung der Zukunft, für das Denken und Handeln heute, aus dem diese Zukunft wächst.

Nicht Erinnerung, nicht Gedenken also aus eingeübter Gewohnheit, sondern als unumgänglich notwendige, stets neue aktive Konfrontation mit dem immer Möglichen, als Herausforderung zum Dialog, zum Erhalt des Bewusstseins in der Gesellschaft,

- dass die Ideen und Ideale eines freien, demokratischen und sozialen Rechtstaates, dass Toleranz und soziale Verantwortung in unserer Gesellschaft nicht selbstverständlich gesichert sind, sondern dass sie stets neu von uns erarbeitet und verteidigt werden müssen

- gegen die alltägliche Intoleranz und gegen die Feigheit des Wegsehens vor dem offensichtlichen Unrecht und der rücksichtslosen Gewalt.

- gegen die bequeme und verlockende Ausgrenzung des Fremden, des Anderen, des Hilfsbedürftigen.

Diese Gedenkveranstaltungen werden umso notwendiger, je mehr Spuren verwischen oder auch bewusst verwischt werden, ja weniger Opfer noch Zeugnis ablegen können. Es darf nicht sein, dass mit den Zeugen die Beweiskraft verloren geht, damit auch die Kraft zum Bewahren der Freiheit, der Toleranz, der sozialen Verantwortung, wo immer diese bedroht sei, erhalten bleibt.

- Gedenken also an die Kraft des Gedankens,

- danken durch ehrliches Nachdenken,

- nachdenken über Antworten durch die Übernahme von Verantwortung,

- nicht dem Nachdenken und der Antwort ausweichen, nur weil sie zur Tat verpflichten würden.

Mein Dank gilt denen, die immer wieder gegen das Vergessen Widerstand leisten, die sich nicht abfinden wollen mit der angeblichen Dominanz der Aktualität und der damit verbundenen Probleme, die mit ihrer Beharrlichkeit uns alle zum Handeln, zum wachen Bewusstsein provozieren.

Bei dem Gedanken an den 20. Juli, bei dem Erinnern an die Schicksale der Menschen, die in diesen dramatischen Ablauf eingebunden waren, sie gestalteten und von ihnen gestaltet wurden gilt der Satz, der bei der Diskussion über die künftige Nutzung des Prinz-Albrecht-Geländes, des Gestapo-Geländes hier in Berlin gesagt wurde:

„Das beste Monument, das man für die Opfer schaffen kann, ist eine Gesellschaft ohne Antisemitismus, ohne Rassismus, eine Gesellschaft, die von Toleranz und Humanität geprägt ist“.

Dieses Monument wird nie fertig sein, es wird immer bedroht bleiben - wir müssen hart und beständig, ehrlich und demütig daran arbeiten.

Auch diese Gedenkstunde an den Widerstand muss eine Arbeitsstunde werden an diesem Monument einer Gesellschaft ohne Antisemitismus, ohne Rassismus, einer Gesellschaft, die von Toleranz und Humanität geprägt ist!

Das ist unsere Verpflichtung gegenüber den Opfern.






Weitere Reden

20.07.1996
Dr. Bernhard Vogel